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Opium für „die da unten"

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1. Die Sozialpartnerschaft ist eine extrem arbeitsteilige Kultur. Die Trennung zwischen „Insidern" und „Outsidern" ist in diesem Bereich des politischen Systems schärfer als in anderen Bereichen. Dazu zählt der weitgehende Ausschluß der Öffentlichkeit, dazu zählt das besondere Zeremoniell der Sozialpartnerschaft (z. B. „Beiratsstil"). Ihre Legitimation in einem grundsätzlich der Demokratie verpflichteten politischen System erhält sie somit keineswegs durch die Mitwirkung der Betroffenen, sondern auf negative Art — sie wird hingenommen.

2. Die Sozialpartnerschaft ist eine Beglückungskultur. Alle empirischen Daten sprechen dafür, daß die „Insider" und die „Outsider" der Sozialpartnerschaft mit dieser Einrichtung glücklich sind. Die einen sind glücklich, daß sie mittels der Sozialpartnerschaft Güter nach „außen" vermitteln können. Die anderen sind glücklich, daß sie diese Güter in Empfang nehmen können. Die Erhebungen des Bewußtseinsstandes der gesamten Population machen immer wieder deutlich, daß die Sozialpartnerschaft gegenüber dem offenbar Unruhe vermittelnden Parteienwettbewerb des Parlamentarismus als eindeutig positivere Variante des politischen Entscheidungsprozesses eingeschätzt wird.

3. Die Sozialpartnerschaft ist eine Dienstleistungskultur. Das Subsystem der Sozialpartnerschaft besitzt eine objektive Servicefunktion. Es ist durchaus in der Lage, im Rahmen des Gesamtsystems relative Wohlfahrt, relativen sozialen Frieden und damit relative gesellschaftliche Sicherheit zu vermitteln.

Diese objektive Funktion wird durch eine subjektive Servicefunktion ergänzt: Die Sozialpartnerschaft vermittelt auch soziale Wärme; das Bewußtsein, in der Sozialpartnerschaft aufgehoben zu sein. Sie vermittelt somit auch eine immaterielle Sicherheit. Sie ist auch Opium, in diesem Sinne ist sie ein sekundärreligiöses Phänomen.

4. Die Sozialpartnerschaft ist eine Obrigkeitsstaatskultur. Die Sozialpartnerschaft ist die Fremdbestimmung durch eine grundsätzlich demokratisch legitimierte Elite — sie baut auf die Gewöhnung an Fremdbestimmung, die Jahrhunderte hindurch durch nichtdemokratisch legitimierte Eliten erfolgt ist.

Die Sozialpartnerschaft ist somit ein Stück österreichischer Kontinuität, ein Stück Aussöhnung der 2. Republik mit ihrer Geschichte, ein Stück Identität von Gegenwart und Vergangenheit.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck; sein Beitrag ist ein Auszug aus einem Aufsatz in „österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft", 1/1984.

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