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Opportunismus oder Demokratisierung

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Der Autor des heutigen Beitrages ist Leiter der Grundsatzkommission der FCG und Vorstandsreferent in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst. Zum Thema Urwahlen im ÖGB brachte die FURCHE in 18/1979 ein Gespräch mit dem der FCG angehörenden Vorsitzenden der Gewerkschaft öffentlicher Dienst, Rudolf Sommer; in 34/1979 folgte ein Beitrag von Zentralsekretär Hans Klingler (FCG).

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Der Autor des heutigen Beitrages ist Leiter der Grundsatzkommission der FCG und Vorstandsreferent in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst. Zum Thema Urwahlen im ÖGB brachte die FURCHE in 18/1979 ein Gespräch mit dem der FCG angehörenden Vorsitzenden der Gewerkschaft öffentlicher Dienst, Rudolf Sommer; in 34/1979 folgte ein Beitrag von Zentralsekretär Hans Klingler (FCG).

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Die Frage der Urwahlen im österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) ist so grundsätzlich und komplex, daß man sie eigentlich nicht nur aus der Sicht einer Kosten-Nutzen- Uberlegung beantworten sollte, wie dies in der derzeitigen Diskussion über dieses Thema geschehen ist. Es ist vielmehr eine Frage des Demokratieverständnisses.

Der ÖGB setzt sich ständig für eine Demokratiereform ein. Die Gewerkschaftsbewegung fordert mehr Demokratie in Staat, Wirtschaft, Wissenschaft, Schule usw., wie erst jetzt wieder in den Begleitpapieren zum 9. Bundeskongreß des ÖGB nachgelesen werden kann. Bemerkenswert aber ist, daß die Gewerkschaftsbewegung, die für die Überwindung von Oligarchien und Autokratien vehement eintritt, indem sie die Ohnmacht der Organisierten gegenüber der Macht der Organisation vor allem durch Mitbestimmung langfristig beseitigen will, im eigenen Bereich selbst nicht bereit ist, mit gutem Beispiel voranzugehen.

Wäre der ÖGB als das konzipiert, was er immer mehr zu werden scheint, nämlich eine bloße Dienstleistungsorganisation, deren Leistungen von den Mitgliedern in zunehmendem Maße nur mehr konsumiert werden, dann wäre das Demokratieproblem im ÖGB hinter pragmatischen Fragen der Organisation nachrangig. Ich vertrete die Auffassung, daß gerade die Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG) angesichts der wachsenden Bürokratisierung und Zentralisierung in der erstarrten Organisation des ÖGB das damit verbundene Problem der strukturellen Gewerkschaftsmüdigkeit aufgreifen und eine neue, zeitgemäße Gewerkschaftstheorie entwickeln sollte. Eine Gewerkschaftstheorie, die den neuen, geänderten gesellschaftlichen Bedingungen in der Verbändedemokratie besser Rechnung trägt. Vor allem müßte das Gewerkschaftsbewußtsein der Mitglieder im Sinne einer direkteren Anteilnahme an der Entscheidungsfindung und Willensbildung gestärkt werden. Aus den Gewerkschaftskonsumenten müssen mündige Willensträger der Gewerkschaftsbewegung werden.

Gerade weil dem ÖGB im außerparlamentarischen politischen System der Sozialpartnerschaft so viel Macht und Einfluß zukommt, muß jede Form der Oligarchie im Interesse der Demokratie durch ein System nicht nur formeller Wahlmöglichkeit unterbunden werden. Demokratie ohne Kontrolle ist undenkbar. Die entscheidende Kontrolle erfolgt bei jeder Wahl durch die Wähler.

Die Wahl dient aber auch der Elitebildung in der Demokratie. Viele betrachten ihre Funktion als pragmati- sierte Lebensstellung. Der sozialistische Gewerkschaftsideologe Rupert Gmoser sprach sich beim 14. Wiener Europagespräch zu Recht gegen ein Verständnis der Gewerkschaftsfunktion als pragmatisierte Lebensstellung aus. Die Funktionsfahigkeit des notwendigen innerorganisatorischen Kreislaufs sei in Frage gestellt, wenn die Elite keine offene Elite ist, zu der jeder auf Grund seiner Leistung die Aufstiegsmöglichkeit besitzt und aus der jeder jederzeit abberufen werden kann, wenn er seine Aufgabe nicht erfüllt.

Nun ist es ja nicht so, daß im ÖGB etwa keine Wahlen stattfänden. Die Spitzenfunktionäre des ÖGB werden am ÖGB-Kongreß, die Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften auf den Gewerkschaftstagen von Delegierten gewählt. Die Delegierten zu den Gewerkschaftstagen wiederum werden von den Delegierten der Bundessektionen gewählt, die wiederum von den Delegierten der Landessektionen gewählt werden.

Dieses Wahlmännersystem bedingt ein „Wahlrecht”, das unserem demokratischen System und damit unserem Demokratieverständnis zu wenig entspricht. Die österreichische Bundesverfassung und die Landesverfassungen gehen von einem gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Wahlrecht nach den Grundsätzen der Verhältniswahl aus. Die Wahl der Gewerkschaftsfunktionäre aber beruht in der Regel auf einem ungleichen, mittelbaren, zum Teil nicht geheimen (per Akklamation) Mehrheitswahlsystem. Verständlich, wenn die Gewerkschaftsmitglieder bei so diametral entgegengesetzten Voraussetzungen im Vergleich zu den Wahlen in die gesetzgebenden Körperschaften mit Unbehagen erfüllt sind.

Die im Frühjahr d. J. durchgeführte Grundsatzdiskussion innerhalb der FCG ließ das Bedürfnis der Gewerkschaftsmitglieder nach einem den politischen Wahlen in unserem Lande konformen direkten Wahlsystem im gesamten Gewerkschaftsbereich deutlich erkennen. Die Länderkonferenz der Gewerkschaft öffentlicher Dienst vom 25. April d. J. hat daher den einstimmigen Beschluß, den ÖGB zur Schaffung der Voraussetzungen für ein direktes Wahlsystem aufzufordem, nicht ohne Rückhalt in der Mitgliederschaft, also bei den Urwählern, gefaßt

Cui bono, wem nützt es? Die Opportunität von Urwahlen im ÖGB, die schon aus organisatorischen Gründen, wenn überhaupt, noch in weiter Ferne liegen dürften, ist neben der Demokratisierungsfrage sicher auch eine politische Frage, die sich die Fraktionen selbst stellen. Die FCG wäre gut beraten, in diesem Zusammenhang keiner statischen Betrachtungsweise zu verfallen. Es geht nicht um die Frage, wie Urwahlen unter den gegenwärtigen Verhältnissen ausgehen würden, welchen stimmenmäßigen Vor- oder Nachteil man zu erwarten hätte. Die Uberparteilichkeit des ÖGB müßte selbstverständlich durch die Gewährleistung einer FCG-Repräsentanz in allen ÖGB-Organen abgesichert werden.

Als Konsequenz von Gewerkschaftswahlen müßten die Fraktionen im ÖGB künftig statutenmäßig anerkannt werden. Die durch das absolute Konsensstreben im ÖGB unterdrückte Kritikfähigkeit der Fraktionen nach innen und nach außen würde vorteilhaft eine Stärkung erfahren. Grundsätzliche Auffassungsunterschiede in der Gewerkschaftspolitik würden für die Mitglieder transparenter werden. Eine gesunde Konkurrenz würde Nachwuchs und Auslese im Funktionärskader fordern. Die Probleme der fraktionellen Zuordnung von Namenslisten, die es bei Betriebsratswahlen häufig gibt, wären wesentlich geringer - alles Aspekte, die sicher nicht zum Nachteil der FCG sind.

Es muß doch zu denken geben, daß bei den politischen Wahlen rund die Hälfte der Wähler nicht sozialistisch wählen. Das nichtsozialistische Lager ist jedenfalls im ÖGB unterrepräsentiert. Es müßte auch zu denken geben, warum bei den Arbeiterkammerwahlen, die nach einem direkten Wahlsystem durchgeführt werden, die Repräsentanz der sozialistischen Gewerkschafter beträchtlich geringer ist als im ÖGB.

Funktionäre, die einer Urwahl mit dem Argument einer voraussichtlich geringen Wahlbeteiligung begegnen, unterstreichen damit nur das Problem der Gewerkschaftsmüdigkeit, die der Oligarchie Tür und Tor öffnet. Will man sie bekämpfen, dann muß man die Mitglieder beteiligen. Was gäbe es in der Demokratie dafür Wirksameres als die Zuerkennung einer Kontrollfunktion durch direkte Wahlen?

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