6860435-1977_34_05.jpg
Digital In Arbeit

Oppositionspartei zwischen Konsens und Konfrontation

19451960198020002020

Fast 90 Prozent aller Gesetzesvorlagen wurden im Nationalrat mit den Stimmen der beiden Großparteien beschlossen. Trotzdem wirft die Opposition der Regierungspartei mangelndes Demokratieverständnis und Machtpolitik vor. Solche und ähnliche Worte hört man nicht selten aus dem Munde sozialistischer Spitzenpolitiker.

19451960198020002020

Fast 90 Prozent aller Gesetzesvorlagen wurden im Nationalrat mit den Stimmen der beiden Großparteien beschlossen. Trotzdem wirft die Opposition der Regierungspartei mangelndes Demokratieverständnis und Machtpolitik vor. Solche und ähnliche Worte hört man nicht selten aus dem Munde sozialistischer Spitzenpolitiker.

Werbung
Werbung
Werbung

Was ist nun von solchen Aussagen zu halten? Es ist sicherlich richtig, daß in der ersten Hälfte der laufenden Gesetzgebungsperiode 88,05 Prozent aller Gesetzesbeschlüsse mit den Stimmen der beiden Großparteien und 79,35 Prozent sogar einstimmig gefaßt wurden. Diese Statistik übersieht aber einerseits, daß beispielsweise von den 82 Regierungsvorlagen, die im letzten Jahr Gesetzeskraft erlangt haben, mehr als die Hälfte - nämlich 43 - im Ausschuß und 7 sogar noch im Plenum des Nationalrates modifiziert wurden.

Anderseits berücksichtigt eine reine Quantifizierung die Tatsache nicht, daß die einzelnen Gesetze unterschiedliche Auswirkungen haben. Däs abgelehnte Budget, dessen Beschlußfassung etwa ein knappes Drittel aller Plenarsitzungen während eines Jahres beansprucht, wird dabei ebenso als ein Gesetz gezählt, wie beispielsweise die Veräußerung von Bundesvermögen, die eine bloße Routineangelegenheit darstellt.

Die wichtigsten K,onsensgesetze der laufenden Legislaturperiode waren: die Wirtschaftsgesetze, die Kärntner Minderheitenregelung, die Errichtung eines Außenpolitischen Rates, Straßenverkehrsgesetze, Änderungen des Familienlastenausgleichsgesetzes, die Wehrgesetznovelle, diverse Sozialgesetze, die Installierung der Volksanwaltschaft, die Neuordnung des Kindschaftsrechtes, die Verbesserung der Nahversorgung, u. a. m.

Demgegenüber gab es auch einige gewichtige Konfrontationsmaterien, die sich im wesentlichen in folgende drei Gruppen einteilen lassen:

• Vorlagen, die die RegierungspoTiti’h als ganzes betreffen;

• ideologische Konfrontationsthe- njön jiaziJoikt Maßnahmen, die zu erheblichen Belastungen für die österreichische Bevölkerung geführt haben.

Zur ersten Kategorie gehört das Budget, das häufig als das „in Zahlen gegossene Regierungsprogramm“ bezeichnet wird. Die diversen Begleitgesetze - wie Budgetüberschreitungen und Finanzgesetznovellen - zählen ebenfalls hiezu.

In die zweite Gruppe fallen u. a. das

Wohnbauförderungsgesetz - das eine Benachteiligung von Eigentumswohnungen gegenüber Mietwohnungen darstellt -, die Frage des Schutzes menschlichen Lebens, und in Zukunft wahrscheinlich auch die ÖVP-Vorschläge zur Besserstellung von Verbrechensopfern und schärferen Bestrafung von Gesetzesbrechern.

Unter Punkt 3 wären die zahlreichen Steuer-, Tarif-, Gebühren-, Beitragsund Monopolpreiserhöhungen der letzten Zeit ebenso wie die Verschlechterung der Sparförderung zu erwähnen.

Die ÖVP hat in der laufenden Gesetzgebungsperiode auch eine Reihe von weitreichenden Initiativen ergriffen. Die wichtigsten davon sind: Maßnahmen zur Spitalsfinanzierung; Verbesserung der Nahversorgung; Besserstellung von Verbrechensopfern und schärfere Bestrafung von Wiederholungstätern; energiepolitische Vorschläge; baldige Milderung der Lohn- und Einkommensteuerprogression sowie sonstige steuerliche Maßnahmen; Schulgesetze; Gesetz zur Erhaltung der Gesinnungsfreiheit im Berufsleben sowie Demokratiksie- rung des Arbeiterkammerwahlrechtes; Datenschutzgesetz.

Doch die Hauptaufgabe einer Opposition besteht nicht so sehr in der Er- stellühg von Ihitiativen bzw. in der Mitarbeit" an Gesetzesbeschlüssen, sondern zunehmend iii einer verstärkten Kontrolltätigkeit. Denn mit der Entwicklung zum Parteien- und Verbändestaat wird der frühere Gegensatz von Parlament und Regierung durch die Konfrontation von Regierungs- und Oppositionsparteien überlagert und durch unmittelbare Interaktionen von Verbänden und Verwaltung unterlaufen.

Wie hat nun die ÖVP ihre Kontroll- funktion in der laufenden Gesetzgebungsperiode ausgeübt?

Von den 1323 schriftlichen Anfragen, die in dieser Gesetzgebungsperiode an Regierungsmitgliedern gerichtet wurden, stammten 921 oder 69,62 Prozent von der ÖVP. Sie hat somit das Recht, schriftliche Anfragen zu stellen, intensiv ausgenützt.

Von den 282 in der Fragestunde behandelten mündlichen Anfragen - die in der Regel politisch interessantere Themen zum Inhalt haben - kamen 128 oder 45,39 Prozent von ÖVP-Abge- ordneten.

Bedingt durch die Geschäftsordnungsreform ist jedoch der Fragestundenschnitt von 12,7 Anfragen auf 7,6 gesunken. Allerdings wird dieses Manko durch das Instrument der Zusatzfragen wieder wettgemacht.

Dabei werden echte Kontroll- und

Informationsanfragen praktisch nur von Oppositionsabgeordneten gestellt, während die sozialistischen Interpellationen vor allem der Berühmung des jeweiligen Ressortchefs dienen sollen.

Die Dringliche Anfrage wird gerne als eine der schärfsten Waffen der Opposition bezeichnet. Dieses Instrument wurde in der laufenden Gesetzgebungsperiode bisher 12mal eingesetzt, llmal davon von ÖVP-Abgeordneten. Dabei beschritt die große Oppositionspartei im Gegensatz zu früher den erfolgreicheren Weg einer Art Detaildringlichen, wobei versucht wurde, im Rahmen dieser Debatten konkrete Punkte herauszugreifen und zu skandalisieren. Den ersten Anlaßfall hiezu bot der Finanzminister, dem anhand eines Beispieles nachgewiesen werden konnte, daß er Parlament und Öffentlichkeit hinsichtlich seiner Steuererhöhungspläne unrichtig informiert hat. Weiters wurden Dringliche Anfragen zu den Themen Steuern, Raubüberfälle auf Geldinstitute, Probleme der Krankenanstalten, Massenmedien, usw. eingebracht.

In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, daß die Opposition dreimal von der neuen Geschäftsordnungsbestimmung Gebrauch gemacht hat, Be-

sprechungen einer Anfragebeantwortung - also eine Art „kleine“ Dringliche Anfrage - durchzuführen.

In der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode wurden von der ÖVP 5 Untersuchungsausschüsse verlangt bzw. mitbeantragt, von denen allerdings 3 durch die sozialistische Mehrheit abgelehnt wurden. Immerhin war die Konsequenz eines dieser Untersuchungsausschüsse der Rücktritt des Verteidigungsministers, was in der Geschichte der Zweiten Republik eine Einmaligkeit darstellt.

Die ÖVP hat ferner 3 von 4 Mißtrauensanträgen gegen die gesamte Regierung bzw. gegen einzelne Ressortchefs eingebracht. Schließlich seien noch die 50 Entschließungsanträge erwähnt, in denen die Regierung aufgefordert wurde, bestimmte Maßnahmen zu setzen bzw. zu unterlassen. Der überwiegende Teil dieser Entschließungen wurde von ÖVP-Abgeordne- ten eingebracht und von der SPÖ- Mehrheit niedergestimmt.

Nach Ablehnung der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Überprüfung der alarmierenden Entwicklung der Staatsfinanzen durch die sozialistische Fraktion wurde am 12. 11.1975 der Rechnungshof beauftragt, den Vollzug des Budgets im Jahre 1975 einer Sonderprüfung zu unterziehen. Dieser Prüfungsauftrag deckte beträchtliche Mängel der derzeitigen Finanzpolitik auf.

In immer stärkerem Maße wird auch die Gelegenheit wahrgenommen, im Zusammenhang mit Regierungsberichten bzw. Gesetzesvorlagen parlamentarische Schwerpunktdebatten durchzuführen. Hier muß auch die Neugestaltung der Budgetdebatte erwähnt werden. Angesichts der unbefriedigenden Situation der letzten Zeit kam es im Vorjahr zu einer Kürzung der Budgetdebatte von bisher 9 bis 12 Tagen auf 6 Tage.

Ich hoffe, mit diesem Beitrag aufgezeigt zu haben, daß die Ankündigungen des Parteiobmannes über „eine harte, faire und glaubwürdige Opposition“ auf parlamentarischer Ebene weitgehend realisiert werden konnten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung