Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Optimismus gegen Angst
Mit der Regierungsumbildung hat Fred Sinowatz zumindest einen Kraftakt gesetzt. Ist dieser aber gleichzeitig auch ein Rechtsruck in der Sozialistischen Partei?
Mit der Regierungsumbildung hat Fred Sinowatz zumindest einen Kraftakt gesetzt. Ist dieser aber gleichzeitig auch ein Rechtsruck in der Sozialistischen Partei?
Trotzki schrieb einst nach dem Februar 1934: „Dies war keine Partei, die sozialdemokratische Arbeiterpartei war die organisierte Arbeiterklasse."
Natürlich gilt das heute nicht mehr in dem Ausmaß. Aber noch immer ist die SPÖ ein Archipel von vielen Vereinen, angefangen von den Naturfreunden bis hin zum Bund Sozialistischer Akademiker.
So einem Archipel von Vereinen — vielleicht ist das Bild eines
Geleitzugs besser — kann man aber nicht so ohne weiteres einen Kurswechsel zumuten und ihn schon gar nicht durch Personalrochaden herbeiführen.
So wenig man also aus den personellen Veränderungen in der Bundesregierung auf einen neuen Kurs der Regierung schließen kann, so sehr hat aber die Rede des Bundeskanzlers beim Parteirat gezeigt, wohin er steuern möchte und — vor allem — wieviel Dampf er zulegen möchte.
Wie aber läßt sich der Kurs, den Sinowatz fahren will, in das Kon-tinuum „fortschrittlich - beharrend — rückschrittlich" einordnen?
Dazu bedarf es vorerst einer Bestimmung des Kurses, den die Sozialdemokratie in den letzten paar Jahren gefahren ist. Ich würde ihn zwischen beharrend und rückschrittlich einordnen.
Die Jahre 1982, 1983 und sicherlich auch die erste Hälfte 1984 waren von Pessimismus und einer großen Unsicherheit gekennzeichnet. Angst vor der Zukunft, Angst vor der Wissenschaft, Angst vor den technischen Entwicklungen, Angst vor der internationalen Politik.
Sicherlich war der Gesundheitszustand unseres Altbundeskanzlers nicht ohne Bedeutung für die Schaffung dieser eher pessimistischen Atmosphäre. Die Umweltbedingungen haben dabei aber eine noch viel gravierendere Rolle gespielt. Und dann dürfen wir auch nicht vergessen, daß der Zeitgeist ein durchaus pessimistischer war und noch immer ist.
Die sogenannten neuen sozialen Bewegungen, insbesondere die ökologische Bewegung und die Friedensbewegung, sind ja höchst pessimistische Bewegungen. Sie sind bewahrend, mit einer sehr stark rückschrittlichen Schlagseite.
Bezeichnenderweise hat beim Parteirat niemand Geringerer als Josef Hindels, der Prototyp des radikalen Altideologen der SPÖ, vor der Maschinenstürmerei gewarnt und darauf hingewiesen, daß die Arbeiterbewegung den Fortschritt immer in Verbindung mit der Wissenschaft und nicht in der Ablehnung und Angst vor der Wissenschaft gesehen hat.
Die Wahl der Worte ist für den geistigen Zustand einer Bewegung auch sehr charakteristisch. In den fünfziger Jahren, unter unvergleichlich schlechteren Bedingungen, wagte die Sozialdemo-'kratie, die Vollbeschäftigung zur zentralen Forderung zu erheben, weil sie wußte, daß der harte Kern des Wohlfahrtsstaates die Vollbeschäftigung sein muß.
In den letzten Jahren sprach man nur mehr von der Sicherung der Arbeitsplätze. Wenn das nicht konservativ ist, was ist dann konservativ?
Den Preis für den Pessimismus und für die Zukunftsängste hat dann die SPÖ bei den Wahlen bezahlen müssen. Der Wähler will nicht dauernd ein Gruselkabinett zukünftiger Schrecken vorgeführt bekommen, noch dazu garniert mit unangenehmen Steuerbelastungen.
Sinowatz hat nun mit seinem Referat vor dem Parteirat mit aller wünschenswerten Deutlichkeit gesagt, daß er entschlossen ist, die Partei aus diesem „Jammertal" herauszuführen.
Er will Optimismus, er will die Probleme angehen. Und er hat sicherlich mit Ferdinand Lacina jenen Mann im Kabinett, der den Mut und die Kraft und darüber hinaus die intellektuelle Potenz hat, mit einem der schwierigsten wirtschaftlichen Probleme, das auch ein ideologisches Problem der Sozialdemokratie ist, fertig zu werden.
Die Sozialdemokraten waren immer besonders stolz auf die verstaatlichte Industrie, die Elektrizitätswirtschaft und die Bundesbahn. Die Elektrizitätswirtschaft ist zum Prügelknaben der Nation geworden. Die Bundesbahn hat - zu Recht oder zu Unrecht — das Image eines gigantischen bürokratischen Apparats aufgeprägt bekommen, der nichts produziert als Defizite.
Die verstaatlichte Industrie ist im Zuge der Stahlkrise in gigantische Defizite geschlittert. Manche Manager, aber auch Betriebsräte haben dazu beigetragen, ihr das Image einer stockkonservativen, alle Fortschritte ablehnenden Organisation zu verleihen — so eine Art englische Kohlenindustrie mit verzweifelten, hilflos um sich schlagenden Gewerkschafts- und Betriebsfunktionären.
Nur wenn es gelingt, das Steuer herumzureißen, kann ein Bleigewicht am Fuße der Sozialdemokratie beseitigt werden, nämlich eine absinkende Staatsindustrie, die nur den Steuerzahler belastet, aber keinen wirtschaftlichen oder sozialen Nutzen bringt.
Daß sich Sinowatz in der Außenpolitik ganz entschieden auf die Beziehungen zu den Nachbarstaaten konzentrieren will, ist ein Zeichen für Realismus. Und Realismus war immer ein Charakteristikum für fortschrittliche Bewegungen.
Um es also kurz zu machen: Ich ordne die jedenfalls vom Bundeskanzler geplante Positionierung der Sozialdemokratie auf dem Kontinuum reaktionär bis progressiv ein wenig links von der Mitte an. Wir werden also mit einer weniger beharrenden und bewahrenden, also mit einer fortschrittlichen Regierungspolitik konfrontiert sein.
Der Autor ist Generaldirektor der Otterreichischen Nationalbank und Vorsitzender des ÖGB-Kontrollausschusses.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!