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Optimisten im ORF

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Die Autorin nahm an den „Holocausf'-Abenden im ORF Anrufe entgegen und zieht in diesem Bericht ihre persönlichen Schlüsse aus dem, was sie dabei erlebte. Sie ist Jüdin. Ihr Vater starb im KZ, sie verbrachte ihre ersten Lebensjahre in verschiedenen Verstecken und erlebte als Kind in einem niederösterreichischen Dorf den latenten Antisemitismus der Nachkriegszeit.

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Die Autorin nahm an den „Holocausf'-Abenden im ORF Anrufe entgegen und zieht in diesem Bericht ihre persönlichen Schlüsse aus dem, was sie dabei erlebte. Sie ist Jüdin. Ihr Vater starb im KZ, sie verbrachte ihre ersten Lebensjahre in verschiedenen Verstecken und erlebte als Kind in einem niederösterreichischen Dorf den latenten Antisemitismus der Nachkriegszeit.

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Der ORF hatte zwei Wochen vor der Sendung beim Wiener Institut für Zeitgeschichte 20 Experten zum Thema Faschismus bzw. Antisemitismus angefordert, die während und nach den Sendungen Anfragen beantworten sollten, diese Zahl jedoch einige Tage später auf vier reduziert, weil nicht vorgesehen wurde, die Möglichkeit, Fragen zu stellen, auf breiter Basis bekanntzugeben. Einer der vier Experten war ich.

Zumindest ein Teil der ORF-Spitze vertrat den Standpunkt, „Holocaust“

Gesamtzahl der Anrufe: 7361. Davon aus Wien: 5548 (75,4%). Aus den Bundesländern: 1813 (24,6%).

möge möglichst lautlos vorbeigehen. Argumente der Öffentlichkeitsarbeiter des ORF, wie „das Fernsehen ist schließlich nicht der Bildungsmeister der Nation“, „Leute, die etwas wissen wollen, können ja im Lexikon nachschauen“ und „wenn wir die Anfragemöglichkeit bekanntgeben, sind dann alle jene frustriert, die nicht durchkommen“, gingen ebenfalls in diese Richtung. Aber auch in

anderen österreichischen Institutionen dürfte „Holocaust“ schon im vorhinein Unbehagen verursacht haben. In einem Ministerium beispielsweise wurde die Parole herausgegeben, jedes übergroße Engagement sei zu vermeiden, vor den Wahlen wäre es nicht opportun, gewisse Kreise zu vergrämen.

Im Gegensatz zu den Kundendienstmitarbeitern nahm ich nicht nur Stellungnahmen entgegen, sondern suchte das Gespräch mit den schätzungsweise 200 mit mir verbundenen Anrufern. Ich begnügte mich nicht mit „Zustimmung“ oder „Ablehnung“, sondern wollte wissen, mit welcher Begründung sich die Anrufer positiv oder negativ äußerten. Dabei zeigte sich deutlich die Fragwürdigkeit der Auswertung nicht hinterfragter telefonischer Reaktionen.

Die Reaktionen während und nach der Sendung waren an den vier Abenden unterschiedlich. Trotz der als überwiegend positiv ausgewiesenen Schlußbilanz (44,2% positiv zu 32,5% negativ) hinterließen diese Abende bei mir ein starkes Unbehagen. Es resultiert einerseits aus der Struktur der Anrufe und dem Inhalt der Aussagen, die in den veröffentlichten Zahlen nicht zum Ausdruck kommen, und anderseits aus der Art und Weise, wie Österreichs Meinungsmacher das österreichische „Holocausf'-Ergebnis zur Verstärkung bereits bestehender Verdrängungsmechanismen einsetzen.

Die Menschen, die an den ersten drei Abenden bereits während der Übertragung anriefen, äußerten sich fast ausschließlich extrem negativ. Vor allem an den ersten beiden Abenden waren es nicht nur die bereits „klassischen“ antisemitischen Meinungen, die mich erschütterten, sondern der Haß und die Intensität, mit der sie vorgetragen wurden. Formulierungen wie „Volksverhetzung“, „Erpressung des Weltjudentums“, „Lügenmärchen“, „KZs und Gaskammern wurden erst nach dem Krieg errichtet“, „es starben nur 300.000 Juden“ entsprachen genau dem Stil etwa der „Deutschen Natio-nal-Zeitung“. In Ihrer Einheitlichkeit ließen sie auf den harten Kern der rechtsradikalen Szene in Österreich schließen. Am Sonntagabend, dem letzten Teil der Serie, reduzierten sich diese Anrufe jedoch auf eine verschwindende Minderheit.

Nach den Sendungen trafen in erster Linie positive Stellungsnahmen ein. Was mir schon am ersten Abend auffiel, bestätigte sich an den drei weiteren. Dem beinahe körperlich spürbaren Haß und der Intensität der Ablehnenden standen weitgehend lau artikulierte Befürwortungen der TV-Serie gegenüber. Die meisten Nazis und Antisemiten brachten zwar falsche, absurde, erschreckende „Ar-

gumente“, aber viele von ihnen „begründeten“ ihre Einstellung. Die sich positiv äußerten, taten dies - von Ausnahmen abgesehen - zwar allgemein menschlich, aber mit wenig Engagement, ohne „inneres Feuer“.

Bewußte Antifaschisten riefen nur wenige an. Nun ist zwar bekannt, daß Ablehnung in weit stärkerem Ausmaß zur Reaktion führt als Befürwortung. Trotzdem ist bedenklich, daß es den österreichischen Gutgesinnten gerade bei diesem Thema nicht gelungen ist - oder nicht notwendig erschien-, massiv Stellung zu nehmen. Daß viele durch das NS-Regime Betroffene einer Erinnerung ausweichen wollten (die doch anriefen, weinten am Telefon), ist verständlich. Sollte es aber tatsächlich so wenig engagierte Menschen in den jüngeren Generationen geben, die es für notwendig hielten, diese Chance für eine positive Demonstration zu nützen, wo doch überdies mit der organisierten Ablehnung durch die „Holo-causf'-Gegner allgemein gerechnet worden war?

Viel deprimierender als die „klassischen“ antisemitischen bzw. neonazistischen Äußerungen empfand ich

Positive und negative Stellungnahmen von Tag zu Tag (in Klammer jeweils die negativen Urteile): Mittwoch, 28.2.: 24,8% (46,8%); Donnerstag, 1.3.: 40% (40,4%); Freitag, 2.3.: 42,5% (33,3%); Samstag, 3.3.: 51,4% (29,8%); Sonntag, 4. 3.: 51,6% (32,5%); auf den Club 2 am Sonntag bezogene Urteile: 40,5% (38,6%); insgesamt: 44,2% (32,5%).

solche, wie sie in folgenden Telefonaten herauskamen. Eine Studentin erklärte zunächst, daß sie die Serie gut fände, meinte aber weiter: „Ich weiß zwar nichts über die Ursache des Judenhasses, ich bin aber sicher, daß sie selbst daran schuld sind.“ Auf meinen Einwand, daß es genügend Hinweise gäbe, die das Gegenteil beweisen, lautete die Antwort: „Das glaube ich nicht.“

„Alle Juden gehören umgebracht“, meinte ein Mann mittleren Alters. Auf meine Frage nach dem Grund für diese Einstellung ergänzte er, sie seien „alle Geschäftsleute, ein arbeitsscheues Gesindel“. Meine Bemerkung, daß dies doch ein Widerspruch sei, führte zu einer Flut von ordinären, antijüdischen Haßtiraden, obwohl er anfangs sehr ruhig und gewählt gesprochen hatte.

Als wirklich positive Stellungnahme empfand ich die Äußerung: „Dieser Film ist ein Anstoß dazu, daß wir jetzt zu Hause mit unserer Tochter über diese Zeit sprechen. Bisher haben wir das abgelehnt.“ „Ich werde mit allen Mitteln kämpfen, damit so etwas nicht wieder geschieht“, erklärte ein etwa 30jähriger Arbeiter. „Was kann ich dazu tun, damit Jugendliche diesen Film in den Schulen

zu sehen bekommen?“ fragte ein anderer.

Mit den ambivalenten Reaktionen ging und geht man bei der Beurteilung meiner Meinung nach zu leichtfertig um. Bei der Veröffentlichung der Zahlen fielen sie als geringer Prozentsatz unter den Tisch- In vielen Fällen wurden sie der Einfachheit halber eher positiv eingereiht, da eine Kategorie „latenter Antisemitismus“ nicht vorgesehen war. Unter die Kategorie „ambivalent“ fielen allerdings auch Äußerungen im Laufe des Gesprächs wie „Jetzt glaube ich doch, daß Juden auch Menschen sind“ oder „Das ist wirklich schrecklich, was man mit den Juden getan hat, aber warum sind sie nicht weggegangen, wenn sie gemerkt haben, daß man sie nicht mochte?“ So manche latent antisemitische Haltung äußerte sich im Gespräch nach einer grundsätzlich „positiven“ und „erschütterten“ Stellungnahme, etwa mit Wendungen wie: „Wenn das Ausland die Juden genommen hätte, wäre ihnen nichts passiert.“

Die repräsentative telefonische Blitzumfrage bei 377 Fernsehern am Montag nach der Ausstrahlung des letzten Teiles - die während der Abende einlangenden Anrufe waren in ihrer soziologischen Zusammensetzung ja nicht typisch für die österreichische Bevölkerung - hinterläßt ebenfalls einen eigenartigen Nachgeschmack. Noten wie „Sehr gut gefal-

Benotung der „Holocaust“-Sendungen in der Blitz-Meinungsumfrage des Fessel-Institutes: Note 1 („Sehr gut gefallen“): 30%; Note 2: 33%; Note 3:24%; Note 4:8%; Note 5 („Uberhaupt nicht gefallen“): 5%.

len“ und Beurteilungen wie „begeistert und zufrieden“ sagen wenig über die inhaltliche Auseinandersetzung mit „Holocaust“, und Stellungnahmen wie „spannend“ empfinde ich in diesem Zusammenhang als ausgesprochen peinlich.

Auch die Auswertung der telefonischen Stellungnahmen, die in einigen Wochen veröffentlicht werden soll, vermischt formale und inhaltliche Kriterien. Jeder, dem der Film als solcher gefallen hat, wird ebenso unter „positiv“ eingereiht wie derjenige, der sich inhaltlich betroffen äußerte.

Und ambivalente und nicht zuorden-bare Meinungen fallen gemeinsam in eine Kategorie.

Die Österreicher sollen, dies das Resultat, stärker und positiver reagiert haben als die Deutschen. Dies wurde von den Medien allgemein be-

Antworten auf die „Entwe-der-oder-Fragen“ der Blitz-Meinungsumfrage: Eher geschichtlich interessant: 65% - bietet eher nichts Neues: 34% - eher objektiv: 68% -eher einseitig: 28% - eher glaubwürdig: 92% - eher unglaubwürdig: 6%; eher spannend: 85% - eher langweilig: 9% - wirklich ergreifend: 79% - eher rührselig und kitschig: 16% - eher notwendig: 73% - eher überflüssig: 23%.

geistert aufgenommen, ohne die verschiedenen Voraussetzungen zu untersuchen, unter denen die Ausstrahlung in der BRD stattgefunden hat (ungünstige Sendezeit, drittes Programm!).

Im Gegensatz zu Deutschland und sogar Frankreich stellte sich hierzulande niemand dem Problem der österreichischen Mitverantwortung an der Judenvernichtung. Weder in den Stellungnahmen, noch in den Medien tauchte dieser Absichtspunkt auf. Die Ansicht „Wir sind besser als die Deutschen“ und das Fehlen der Auseinandersetzung mit dem vergleichsweise stärker verankerten Antisemitismus in Österreich bilden eine logische Fortsetzung der auch durch „Holocaust“ nicht abgebauten Verdrängung im öffentlichen Leben und in den Massenmedien.

Meine persönliche Stellungnahme zu „Holocaust“ ist zwiespältig. Ich bin immer noch überzeugt, daß die emotionelle Aufbereitung des Films richtig war. Wenn aber auf die Erschütterung keine Fragen folgen, nicht das Bedürfnis entsteht, zu erfahren und zu verstehen, wo die Wurzeln des Nationalsozialismus liegen, werden die Diskussionen um „Holocaust“ nur ein Strohfeuer gewesen sein.

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