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Option — ein Tabu

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1939 stellten Hitler und Mussolini die deutschsprachigen Südtiroler vor die Wahl, ins Deutsche Reich zu übersiedeln oder in der zunehmend „welschen“ Heimat zu bleiben.

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1939 stellten Hitler und Mussolini die deutschsprachigen Südtiroler vor die Wahl, ins Deutsche Reich zu übersiedeln oder in der zunehmend „welschen“ Heimat zu bleiben.

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Der derzeit bekannteste und berühmteste Südtiroler, der Bergsteiger Reinhold Messner aus dem Villnößtal, hatte voriges Jahr die Herausgabe eines Buches über die Option im Jahre 1939 angekündigt. Die Südtiroler, und nicht nur sie, warteten mit Spannung auf das Erscheinen des Werkes. Messner ist auch ein ausgezeichneter Schriftsteller und Redner.

Man wußte, daß Messners Auffassung von der Option im Gegensatz zur Bewertung eines Großteils des politischen und journalistischen Establishment in Südtirol steht. 1981 hatte er in Sulden auf die spitze Frage eines italieni-

sehen Journalisten, er würde von Politikern im eigenen Lande als „Heimatverräter“ bezeichnet, spontan mit der Feststellung gekontert: „Wenn in Südtirol jemand die Heimat verraten hat, dann die Optanten von 1939.“ Messner gestand aber gleich ein, daß er mit dieser Aussage sicher aggressiv reagiert hatte.

Für das Buch „Die Option“ hat Herausgeber Messner selbst nur drei kürzere Beiträge beigesteuert. Die Antworten zum Thema hat er Historikern und Literaten überlassen.

In seinem Beitrag „Fünfzig Jahre vergangen“ erzählt Messner, wie er als Bub mit Begeisterung ein Buch über die Hohe Tatra gelesen habe, das ihm sein Vater einmal gab. Als er dem Vater später einige Episoden aus diesem Buch erzählte, habe dieser gemeint: „Siehst Du, wir wären heute in dieser Gegend, wenn die Dinge anders gekommen wären.“ Später habe er den Vater gefragt, was er mit diesem Satz gemeint hätte. Dieser habe ihm aber das Wort verboten. Auch die Mutter habe die Frage abgetan, sie habe keinen Streit gewollt.

Nach dem Lesen dieser Zeüen verstand ich erst richtig, warum mir Mutter Messner in Sulden, als die Besteigung des vierzehnten und letzten Achttausenders durch Reinhold groß gefeiert wurde, so herzlich für mein Buch „Mit Südtirol am Scheideweg“ gedankt hatte. Darin hätten die Kinder, die immer und immer wieder gefragt hätten, wie es zu dieser Option gekommen sei und wie sie sich abgespielt habe, endlich Auskunft erhalten.

Heute wisse er, schreibt Messner, daß die Südtiroler nicht nur ein „Opfer der Achse Rom- Berlin“ waren. Mit dem Optionsrecht für Deutschland waren die Südtiroler berechtigt zu wäh len, aber sie waren nicht dazu gezwungen. Die völkische Katastrophe von 1939 werde nicht geringer, wenn man den Mantel des Schweigens darüber breite.

Bei der Diskussion im Jahre 1981 sei ihm bewußt geworden, daß die meisten Südtiroler immer noch’nicht gewillt seien, die Option kritisch zu sehen. Messner betont, daß er die Kollektivschuld leugne und den Optanten keinen Prozeß machen wolle, aber es ginge ihm darum zu wissen, warum diese Option immer noch als Opfer, als positiver Beitrag für die großdeutsche und nationalsozialistische Idee verstanden werde. [ Er wünsche sich, daß man jene respektiere, die das Land 1939 nicht verlassen wollten, denen wir das heutige Südtirol als Einheit lyon Land und Menschen wesentlich zu verdanken haben. Die „Verräter“ (Dableiber) von damals sollten wenigstens heute verstanden werden. K.

In einem anderen Beitrag, mit dem Titel „Heimat“, meint Messner, der Begriff Heimat sei abgewirtschaftet. Er sei durch den ständigen Mißbrauch leer gewor den und durch die Geschichte beschädigt: „Wir müssen das Wort Heimat mit neuen Inhalten füllen, wenn wir es wieder benützen.“

Und unter der Überschrift „Ich bin Südtiroler“ schreibt Messner:

„Nur wenn wir Südtiroler unsere Geschichte lernen, wenn wir zu unseren positiven und negativen Seiten stehen, zur Option anno ^1939 ebenso wie zu den Freiheitskämpfen 1809, können wir unser Südtirol-Sein richtig nützen, ohne immer wieder in die gleichen Fallen zu tappen. Es sind nicht immer nur die anderen, die uns unterdrücken, betrügen, verführen. Die Optanten waren nicht nur Betrogene und Verführte, sie haben sich betrügen und verführen lassen. Das soll keine Anklage sein, das ist eine Feststellung, die uns helfen kann, morgen die Fehler von gestern nicht zu wiederholen. In Südtirol ist mehr politische Aufklärung, mehr politische Bildung vonnöten. Ich will etwas in Bewegung setzen, ein bißchen Unruhe in das erstarrte politische Südtiroler Landschaftsbild bringen.“

Der Band, für dessen Herausgabe Messner verantwortlich ist, enthält überdies eine genaue historische Darstellung der „Option und Umsiedlung in Südtirol — Hintergründe — Akteure — Verlauf“, aus der Feder des Historikers Leopold Steurer. Sie zeichnet sich durch Genauigkeit, Sachlichkeit und strenge Objektivität aus.

Der Lehrer und Publizist Sebastian Marseiler hat eine Reihe hochinteressanter Gespräche mit Zeitzeugen, Optanten und Dableibern gesammelt. Diese Gespräche vermitteln besser als Geschichtswerke eine lebendige Anschauung von den Auswirkungen der Option auf die einfachen Menschen.

Die RAI-Journalistin Alessandra Zendron schreibt über „Die Option aus italienischer Sicht“. Es ist dies die erste Untersuchung unter italienischem Blickwinkel. Sie liefert sehr vielsagende Tatsa chen. Alessandra Zendron unterscheidet zwischen den alteingesessenen Italienern und den Neuankömmlingen in der Faschistenzeit. Die Option im gemischtsprachigen Teil Südtirols, in den auf der linken Seite der Etsch liegenden Dörfern zwischen Bozen und Salum, sei fast ausschließlich von wirtschaftlichen Beweggründen bestimmt gewesen. Es habe deutsche Frauen gegeben, die ihre italienischen Männer zur Option bewogen hätten. Und deutsche Männer, die ihre italienischen Frauen mitnahmen, obwohl diese kein Wort der Sprache ihres Bestimmungslandes verstanden.

Der Schriftsteller Joseph Zode- rer erzählt unter dem Titel „Wir gingen“ sehr anschaulich von der

Reise seiner Familie in die „neue Heimat“ Graz, wo sie in einen leeren Trakt des Priesterseminars eingewiesen wurde.

Das Kapitel „Die Option geht weiter“ des grün-alternativen Landtagsabgeordneten Alexander Langer wäre besser nicht in das Buch aufgenommen worden. Es stört zu sehr. Langer bekämpft sicherlich zu Recht die heutige Art der Sprachgruppenerhebung bei den Volkszählungen. In dieser Frage gehe ich mit ihm völlig einig. Dieses Erhebungssystem muß geändert werden. Aber mit der Option von 1939 darf man diese Zählung wirklich nicht vergleichen. Zwischen beiden liegen Welten.

Auch Messner hält fest, daß im Jahre 1939 86 Prozent der Südtiroler für die deutsche Staatsbürgerschaft und für die Aufgabe der Heimat stimmten. Den gleichen Prozentsatz findet man in fast allen einschlägigen Werken zur Option. Messner hat die Zahl also nur übernommen, ihn trifft keine Verantwortung für diese Angabe. Dieser Prozentsatz wurde zugunsten Deutschlands „frisiert“.

Nur wenn man die Südtiroler, die überhaupt keine Erklärung abgaben und damit italienische Staatsbürger blieben, dazurechnet, erreicht man einen Prozentsatz von über 80. Die Südtiroler, die ausdrücklich für die deutsche Staatsbürgerschaft optierten, machten nur etwas über 72 Prozent aus. Man wird diese widersprechenden Zahlenangaben ehestens gründlich überprüfen müssen.

Reinhold Messner hat mit seinem Buch einen wertvollen Beitrag zur Kenntnis der dunkelsten Periode in der Geschichte Südtirols geleistet. Die heutige Jugend dürstet geradezu nach einer Aufklärung über die Option.

Wir alle hoffen und glauben, daß die Jugend, auch und gerade aus dieser unglücklichen Episode der Geschichte, lernen kann und lernen wird.

Der Autor war Redakteur der „Dolomiten“ (1937-1943), in KZ-Haft (ab 1943), Abgeordneter der Südtiroler Volkspartei im Südtiroler Landtag und in Rom (1948-1953, 1968-1972).

DIE OPTION. Herausgegeben von Reinhold Messner. Piper-Verlag, München 1989. 272 Seiten, kart., öS 232,50

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