6833629-1975_01_10.jpg
Digital In Arbeit

Oratorium, Raritäten, Nachklänge

Werbung
Werbung
Werbung

Was J. S. Bach 15 Jahre vor seinem Tode in Leipzig erstmals als „W eihnachtsoratorium” auf gef ührt hatte, war die Zusammenfassung von sechs Kantaten um die Geburt des Herrn. Günther Theuring wählte sie für seinen „Jeunesse-Chor”. Wer ihn zuletzt nach den Sommerferien in der WIG-Halle gehört hatte, mußte trotz der (noch) nicht sehr günstigen Akustik des Konzerthaussaales (Verbesserungen sind beabsichtigt!) über den deutlich gehobenen Leistungsstand des großen Chores staunen: Relativ ausgewogen in den Stimmen, sehr gut in der Tonbildung, folgte er präzise den Anweisungen seines Meisters. Außerdem hatte man im Wiener Kammerorchester mit besten Kräften vom Kontrabaß bis zur Flöte nicht gespart, Josef Böck ans Cembalo und Rudolf Scholz an ein sehr hübsches Orgelpositiv gesetzt und durch maßvolle Striche das Werk auf die Länge von guten zwei Stunden gebracht. Das Soloquartett bot akzeptables Niveau, obwohl Edita Gruberova zu sehr „Oper” und Axelle Gail mit ihrer wertvollen, kultivierten Stimme etwas zu leise sang; die Herren Roger Lucas und Artur Korn vermochten auf achtbare Weise daneben zu bestehen. Der Dirigent bot eine ausgezeichnete Leistung: Durch glücklich gewählte Tempi in Gang gebrachte äußere Bewegung ließ doch auch die innere Ruhe des Bach’schen Kosmos spüren, und somit darf man dieses Konzert auch nach seiner Qualität zu den außerordentlichen zählen.

Im Großen Sendesaal des ORF hatte man wieder einmal Gelegenheit, den ausgezeichneten Dirigenten Miltiades Caridis mit den Wiener Symphonikern zu hören und zu hoffen, dieses Institut werde ihn fester ans Haus binden. Das Konzert, in dessen zweitem Teil meisterlich gefaßte Volksmusik („Vier norwegische , Impressionen” von Stra- winsky) und Kodälys „Variationen über ein ungarisches Volkslied” gespielt wurden, und das am 15. Jänner in ö 1 wiedergegeben wird, begann mit der bläßlichen „Helios- Ouvertüre” von dem dänischen „Spätbrahmsianer” Carl Nielsen und stellte eine Erstaufführung in den Mittelpunkt des Interesses: das Cellokonzert op. 36 des Argentiniers Alberto Ginastera durch seine Gattin Aurora. Das Werk erweckte uns den Eindruck, für einen Solisten mit nur mäßigen technischen Qualitäten geschrieben worden zu sein; es soll mit geringem Aufwand viel Effekt machen, tut es aber mangels musikalischer Substanz keineswegs; nichtssagende und lange Cellokanti- lenen wechseln ab mit lauten Ausbrüchen des Orchesters. Eine zuchtvoll durchkomponierte polyphone Passage des Soloinstrumentes mit den Celli des Orchesters wirkt wie ein Edelstein im Grießbrei.

Der „Mozart-Webern-Jandček-

Zyklus des Ensembles Kontrapunkt unter Peter Keuschnig führt den aphoristischer Schärfe und Kürze verpflichteten Anton von Webern (ihm will man heute gerne sein Adelsprädikat aberkennen, hängt aber bei einem dirigierenden Zeitgenossen ebenso treu daran wie bei einem lebenden Komponisten und dem Karl Maria ohne „N”, wo der Titel außerdem falsch ist!) aus der fast zum musikalischen Getto werdenden Zweiten Wiener Schule heraus. Im ersten Konzert im Brahms- Saal kam dafür allerdings Mozart zu kurz; vermutlich war die feine, ganz auf einen dominierenden Geiger abgestimmte Arbeit des Divertimentos KV 247 doch unterschätzt worden: es lief etwas mühselig und uninspiriert wie eine lästige Pflichtübung ab. Man wird ja erst sehen, ob Keusch- nigs Leute Mozart wirklich „können”. Aber dann…! Weberns Konzert op. 24 hatte logischen Aufbau und innere Spannung, nur das souveräne Klavier (Rainer Keuschnig) nahm in eherner Strenge schon die Kraftakte von Jandčeks „Concertino” vorweg, das anschließend mit rhythmischem Impetus in virtudsem Glanz aufleuchtete. An „Mladi” zeigte Keuschnig zum Ende, was ein guter Dirigent aus einem guten Ensemble machen kann: ein Konzert von Meistersolisten.

‘M ,7ov j&rifm-iisB. isb

Die „reihe” hätte im Brahms-Saal ihren zweiten Schönberg-Abend mit „Pierrot Lunaire” und der Serenade op. 24, die wir hören konnten. Cerha, der Meister der Präzision, überaschite durch eine fast wienerisch gelöste und stellenweise heiter aufgelockerte Interpretation des Werkes, das bei Schönberg zwischen seiner postromantisch-expressiven Periode und der strengen Dodeka- phonik steht. Friedl Kummer als

Bariton-Solist hatte nicht sehr starkes persönliches Profil, konnte aber in Ehren bestehen.

Der dritte Schönberg-Abend der „reihe” begann mit der „Phantasie für Violine und Klavier” op. 47, und Emst Kovacic, einer der besten österreichischen Geiger der jüngeren Generation, lieferte ein Lehrstück an Musikalität, Temperament, Konzentration und Bogenkultur. Seine ebenbürtige Partnerin am Bösendorfer, Käte Wittlidh, gab dann den „Fünf Klavierstücken”, op. 23, intensives Leben und vermittelte mit dem Werk, mit dem gewissermaßen die musikalische Atomspaltung erfunden worden war, bei aller Natürlichkeit der Deklamation doch auch die strenge Logik der Konstruktion. In der „Ode an Napoleon”, die bereits in der vorigen Saison zu hören war, brillierten Friedl Kummer als musikalischer Sprachtechniker von Rang und Friedrich Cerha mit den Seinen durch Virtuosität und kon- zisen Ausdruck. Die intensiv musizierte Suite op. 29 beschloß den bedeutenden Abend im Brahms-Saal.

Im Kuppelsaal des Palais Schwarzenberg gaben die „Instrumentisten Wien” ihren ersten Abend, der Haydn gewidmet war. Nach einer frisch und handfest musizierten frühen „Cassation” (Streichquartett G-Dur, Hob. III: 4) bildeten ein Flötentrio (D-Dur, Hob. IV : 1) r— von Gottfried Hechtl mit aller Anmut des Rokoko avisgestattet — und das Cembalokonzert G-Dur (Hob. XVIII: 9) die Höhepunkte. Ein gutes halbes Dutzend Streicher waren gerade das richtige „Orchester” zur Begleitung von Vera Schwarz, die mit perlender Lauf technik und hoher Musikalität als Solistin brillierte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung