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ORF: Stimmung wieder auf dem Tiefpunkt

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Als Gerd Bacher vor zwölf Jahren Herr über Österreichs Rundfunkanstalt wurde, ist ihm manches gelungen: Er hat neue Leute und frischen Wind in den zur Koalitionszeit verkümmerten Funk gebracht und in der Qualität der Programme, vor allem der Informationssendungen, den Anschluß an Europa vorbereitet Nach wenigen Monaten schon war vieles unter Dach und Fach, der Fahrzeugpark silbergrau lackiert und Bacher selbst zum Tiger avanciert.

Als Bacher ein zweites Mal den ORF übernahm, erwartete man Wunder, die nicht eintrafen: Die grundsätzliche Fragestellung, wie die Metamorphose vom Tiger zur lahmen Ente vor sich geht, ist inzwischen nicht mehr besonders originell.

Die Wiederbestellung von Gerd Bacher zum Generalintendanten im Frühherbst 1978 löste in Österreich ein mittleres politisches Erdbeben aus: Die Medienpolitik der Sozialistischen Partei, die offensichtlich zwei Bacher-Parteigänger im Kuratorium sitzen hatte, war in ihren Grundfesten erschüttert; die mit Erfolgen nicht gerade verwöhnte Volkspartei schien einen vorweggenommenen Wahlsieg zu feiern.

Wenn auch Gerd Bacher ein völlig anderer Typus ist als Josef Taus, so verbindet ihn mit diesem eine gemeinsame Erfahrung: nämlich jene, daß nur der, der im ersten Freudentaumel besonders hoch hinaufgehoben wird, besonders leicht hinunterpurzeln kann.

Gerd Bacher, der als „Retter in der Not“ gefeierte Heimkehrer, hat nach nicht ganz elf Monaten seiner provisorischen Wiederbestellung die Sympathien vieler ehedem loyaler Mitarbeiter verspielt, in aufreibenden hausinternen und parteipolitischen Krämpfen seine Kräfte vergeudet, dafür aber den Abnehmern seiner Programme noch nicht viel Freude bereitet. Dies hat eine Reihe von Ursachen:

• Der Generalintendant Bacher des Jahres 1979 hat andere Freunde und, was mit den Freundschaften nicht ganz ohne Zusammenhang ist, in einem veränderten politischen Umfeld zu arbeiten als der Generalintendant Bacher des Jahres 1967.

• Der Sommer war für politisch Interessierte heuer besonders fad: Was lag also näher, als nach einem völlig entgleisten „Club 2“ den gesamten ORF mit seiner neuen Führungsgarnitur in Frage zu stellen und nach Otto Oberhammer zu rufen?

• Alle, die Gerd Bacher und seine Intendanten mit dem ORF gleichsetzen, haben aber übersehen, daß der Rundfunk aus mehr besteht: Es gibt ein Zentrum auf dem Küniglberg, einige tausend Mitarbeiter darin und eine ganz neue Organisation mit Redakteursräten, Kuratoren, Kommissionen, Intendanten, Hauptverantwortlichen, Neben- und Unterverantwortlichen ...

Daß sich die politischen Ränke, Intrigen und sonstigen Geschichten meist auf wenige Personen an der Spitze beschränken, ist auch ein alter Brauch. Von einem Generalintendanten und von den Intendanten erwartet man, daß sie dem von ihnen geleiteten Bereich ihren persönlichen Stempel aufdrücken.

Bedenkt man, daß der Journalismus von Menschen für Menschen gemacht wird, ist das auch eine durchaus verständliche Sache. Erwartet man sich dann aber vom Generalintendanten und von den Intendanten auch eine politische Beeinflussung ihrer Mitarbeiter, dann ist das schon weniger verständlich. Von Gerd Bacher erwarten sich das aber einige, ebenso von Ernst Wolfram Marboe und Wolf In der Maur.

Der Generalintendant scheint sich bisher vor allem deswegen direkten Beschuß aus den Parteihauptquartieren erspart zu haben, weil er heiße Frontabschnitte vorerst durch das Fernglas (er ist meist in Salzburg, seinem „Castel Gandolfo“, wie gewitzelt wird) beobachtet. Bacher pflegte in den letzten Monaten kaum Kontakte mit Journalisten und zog sich auf die Verteidigungslinie zurück: Ab 22. Oktober gibt es ein neues Programmschema, das man dann mit großem „Komfort“ genießen kann.

Am ehesten hat Bacher noch mit Kritik aus der Küche von SPÖ-Zen-tralsekretär Karl Blecha zu rechnen. Selbst Bundeskanzler Bruno Kreis-ky, der erklärte, er sei sich bewußt, „wie schwer es ist, alle zufriedenzustellen, aber jetzt scheint es eine Krise zu geben“, gibt sich noch eher zurückhaltend. Mit Vizekanzler Hannes Androsch findet der neue alte Generalintendant ein gutes (und vielbesprochenes) Auskommen.

Gerd Bachers Verbindungen zur ÖVP sind merklich seichter geworden. Stimmen, die mit seiner Arbeit alles andere als zufrieden sind, hört man immer wieder, doch scheinen Parteisprecher wie Heribert Steinbauer und Kurt Bergmann, die früher zu Bachers engerem Kreis zählten, größere Flächenbrände gerade noch verhindern zu können.

So verbeißt man sich in Details oder erklärt das Programm in Bausch und Bogen für miserabel - unter Aussparung des Namens Bacher. Die Frage, wie lange man mit Androsch und Bergmann gleichzeitig befreundet sein könne, wird den einen oder anderen in diesem Dreieck eines Tages beschäftigen müssen.

So stehen also die Intendanten der beiden Fernsehkanäle in vorderster Front. (Um den Hörfunk ist es eher still geworden.) Etwas vereinfacht, lassen sich die Hintergründe der zwischen FS 1 und FS 2 hin- und hergeschupften politischen Bälle auf folgenden Nenner bringen: Wolf In der Maur hat als Kreisky-Liberaler den ersten Fernsehkanal von einem schwarz etikettierten Vorgänger (Gerhard Weis) übernommen; im zweiten Kanal folgte auf den Sozialisten Franz Kreuzer der Katholik Ernst Wolfram Marboe.

Der hinter der Bühne vor sich gegangene Kanal-Tausch zwischen den Parteien kam nicht von ungefähr: Seit Anbeginn stand das zweite Fernsehprogramm im Schatten des ersten. Nur FS 1 bietet praktisch ständig ein Massenprogramm.

Den neuen FS-2-Intendanten, Ernst Wolfram Marboe, hofften manche, auf ein Abstellgeleise abgeschoben zu haben. Die doppelte Schwierigkeit des früheren Niederösterreich-Landesintendanten Marboe ist nun die, daß er die Benjamin-Funktion seines Kanals nicht als gottgewollt hinnehmen, sondern FS 1 tat-sächlich die Konkurrenz ansagen, gleichzeitig aber allen jenen in seinem Bereich die Stirn bieten möchte, die nicht-links mit rückschrittlich gleichsetzen. Denkt man an die Staatsoperette, die über den zweiten Kanal flimmerte, denkt man an Trautl Brandstallers „Prisma“, an so manche „Club-2“-Besetzungen, versteht man Marboes Probleme.

Einen Teilerfolg hat Marboe übrigens bereits landen können. Die alljährliche große Fernseherumfrage („Infratest“), die heuer zwischen 24. Februar und 7. März über die Bühne ging, zeigte FS 2 auf der Uberholspur: „Die Reichweite von FS 1 ist gegenüber dem Vorjahr geringfügig zurückgegangen ... (nunmehr 65,1%), die Durchschnittsreichweite von FS 2 jedoch gegenüber dem Vorjahr um fast sieben Prozent auf 29,8 Prozent gestiegen“, hieß es dazu im Pressedienst des ORF wörtlich.

Freilich wurde hinzugefügt, daß die im Befragungszeitraum ausgestrahlte „Holocaust“-Serie an dieser Steigerung den Löwenanteil hatte. Aber gerade „Holocaust“ zeigt laut ORF-Pressedienst, „daß sich die Zuschauer programmbezogen und nicht kanalbezogen entscheiden und daß technische Hindernisse für den FS-2-Konsum keine Rolle mehr spielen“.

Wird es Marboe nun gelingen, das Gesamtangebot des zweiten Kanals zu einem Programm zu formen, das den strengen mit der besonderen Situation eines Sendemonopols verbundenen Auflagen entspricht? Diese Frage wird weitgehend davon abhängen, ob es den Sozialisten gelingt, Marboes Unterfangen als Kampf gegen „Uberale Inseln“ - die da sind: „Ohne Maulkorb“, „Prisma“ und „teleobjektiv“ - zu interpretieren. Weiters davon, ob es zu politischen „Kompensations-Geschäften“ kommt; etwa nach dem Motto: Tausche „Horizonte“-Macher Kurt Toz-zer gegen irgendeinen linken FS-2-Menschen...

All diese Vorgänge bringen mit sich, daß im Hause ORF bereits ein ziemliches Maß an Verunsicherung zu registrieren ist. In diesem Jahr gab es ein Kommen und Gehen, dessen Ende noch nicht abzusehen ist - und dies nicht nur in den Chefetagen.

Die Wiener Redaktion von „Hör zu“, hat vom Küniglberg kräftig personellen Nachschub erhalten, Bewerbungen beim Außenministerium kommen auch immer mehr in Mode. Nach Fernsehmann Hammersky, der bereits als Presseattache in Nairobi sitzt, hat pikanterweise auch Dieter Seefranz einige Zeit vor seinem vielkritisierten „Club 2“ mit Nina Hagen den Sprung ins diplomatische Metier versucht.

Interessanten Zuzug erwartet das Fernsehen dafür aus der Redaktionsstube des SPÖ-Zentralorgans „Arbeiterzeitung“: Hans Besenböck wird demnächst in der „Zeit-imBild-1 “-Redaktion die Riege der Ex-AZ-Redakteure erweitem: Franz Kreuzer und Ulrich Brunner kommen auch aus der „Arbeiterzeitung“.

Bemerkenswert ist übrigens in diesem Zusammenhang, daß es in Österreichs Journalismus einen gewissen Hang gibt, Patzer und echte Fehlleistungen im Bereich des ORF genüßlich breitzutreten, während die „gute Tat“ sozusagen, die gelungene Sendung, nicht registriert wird.

So trat in letzter Zeit nicht nur Nina Hagen vor die Kamera, es gab nicht nur die etwas verunglückte Nieder-österreich-Sendung aus „Unterwegs in Österreich“; es gab auch die Oper „Carmen“ mit 1,7 Millionen Sehern, es gab die Sendung „Licht ins Dunkel“, die trotz des Heiligen Abends vielen in guter Erinnerung blieb, einen „Club 2“ zu „Holocaust“ mit fast 500.000 Zusehern, zwei Karajan-Kon-zerte live, die Zefirelli-Serie zu Ostern sowie die gekonnten, aber fast zu umfangreichen Berichterstattungen über den Papst-Besuch in Polen oder den Wiener Salt-Gipfel.

Dessenungeachtet formieren sich über dem Küniglberg immer bedrohlichere Gewitterwolken. Die „Volksaufwiegler“ und „ORF-Partisanen“ werden das Ihre tun, um die reichlich vorHandenen Konflikte auf die Spitze zu treiben. Ob der Konsument davon etwas haben wird, darf füglich bezweifelt werden. Das Empfinden der Fernsehteilnehmer zählt hierzulande freilich nicht viel; auf TV-Konsumenten hat der ORF ein Monopol. Noch.

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