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Der Teil II der Studie „Gesundheitswesen in Österreich" bietet konkrete Alternativen zum Kranken-anstaltenwesen, die die horrenden Defizite deutlich senken könnten.

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Der Teil II der Studie „Gesundheitswesen in Österreich" bietet konkrete Alternativen zum Kranken-anstaltenwesen, die die horrenden Defizite deutlich senken könnten.

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Das Versorgungsangebot hat in den letzten 30 Jahren erheblich zugenommen. So ist von 1950 bis 1979 die Anzahl der Krankenanstalten in Österreich von 283 auf 315 gestiegen, der normierte Bettenbestand von knapp 64.000 auf knapp 79.000, die Anzahl der Betten pro 1000 Einwohner von 9,2 auf 10,5, die Zahl der Ärzte von 3.528 auf 9.118, und damit ist die Zahl der Betten pro Arzt von 18,1 auf 8,6 gesunken.

So überrascht es nicht, daß auch die Krankenhaushäufigkeit zugenommen hat; im letzten Jahrzehnt (1970 bis 1980) sind die Spitalsfälle von knapp 900.000 auf fast 1,200.000 gestiegen, die Fälle pro 1000 der Wohnbevölkerung von 132,5 auf 159,6.

Die Zunahme der Krankenhaushäufigkeit ist allerdings nicht auf eine allgemeine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung oder auf eine häufigere Spitalsbedürftigkeit zurückzuführen.

Es spielen vielmehr soziologische, ökonomische, organisatorische, psychologische und ethische Gründe eine Rolle: Vollbeschäftigung, Frauenarbeit, Mangel an Möglichkeiten und Bereitschaft zur Pflege nahestehender Mitmenschen, kostenlose Pflege und Verpflegung im Krankenhaus (rund 43 Prozent der im Rahmen der Studie befragten Experten bezeichnen diese Ursache als „sehr bedeutend"), Mangel an Alters- und Pflegeheimen (rund 42 Prozent der befragten Experten bezeichnen die Uberalterung der Bevölkerung als „sehr bedeutende Ursache"), Vertrauen zum Spital und letztlich auch Grenzen der ärztlichen Behandlung außerhalb des Spitals.

Die durchschnittliche Verweildauer in den österreichischen Krankenanstalten ist im letzten Jahrzehnt von 17,0 auf 13,9 Tage gesunken; allerdings ist anzunehmen, daß sich der Rückgang der Verweildauer in den nächsten Jahren deutlich verlangsamen bzw. daß er zum Stillstand kommen wird.

Die aus dieser Entwicklung (und verstärkt durch andere Einflüsse) entstehende „Kostenexplosion" muß gebremst werden: durch eine bessere Organisation der Behandlung und Pflege, eine engere Kooperation der einzelnen Bereiche der stationären Behandlung und der Spitäler mit den frei praktizierenden Ärzten.

Für die Kooperation zwischen mehreren Bereichen der stationären Versorgung stehen interdisziplinäre Aufnahmestationen und allgemeine Nachsorge- und Leichtpflegeabteilungen zur Diskussion.

Die interdisziplinären Aufnahmestationen sollen ein institutionalisiertes Bindeglied zwischen der ambulanten Versorgung außerhalb des Krankenhauses und der stationären Versorgung innerhalb des Krankenhauses bilden.

Dadurch könnten die — durch die meist sehr scharfe Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung bedingten — Mängel in gesundheitsökonomischer Sicht (z. B. unnötige Einweisung, Doppelgeleisigkeit in der Diagnostik, unnötig langer Aufenthalt) vermieden werden.

Zirka 25 Prozent der Pflegetage in österreichischen Krankenanstalten werden durch diagnostische Maßnahmen begründet: Diese diagnostischen Maßnahmen könnten jedoch auch im Rahmen einer prä- oder semistationären Behandlung durchgeführt werden.

Aus gesundheitsökonomischen Gründen wird es notwendig sein, in zunehmendem Ausmaß die Versorgungsintensität — insbesondere im Krankenhausbereich — stärker an die Versorgungsnotwendigkeit anzupassen.

Als geeigneter Schritt in dieser Richtung wird eine stärkere Differenzierung der Pflegeintensität im Krankenhaus durch die Schaffung von Nachsorge- und Leichtpflegeabteilungen angeregt. Ausgangspunkt dafür ist die Überlegung, daß aufgrund der weniger intensiven Pflege die Kosten pro Bett auf nur rund 50 Prozent der durchschnittlichen Kosten gesenkt werden könnten.

Durchschnittlich wird ein Verhältnis von fünf Akutbetten auf ein Nachsorgebett als erstrebenswert angesehen; es könnten somit etwa 20 Prozent der derzeitigen Bettenkapazität in den Akutkrankenhäusern in weniger pflegeintensive Nachsorge- bzw. Leichtpflegebetten umgewandelt werden.

Kooperation zwischen Institutionen der stationären und der ambulanten Versorgung, Kooperation im Rahmen der Diagnostik; Zielvorstellung ist eine möglichst weitgehende Vermeidung von Doppeluntersuchungen; dies setzt eine entsprechende Standardisierung der Diagnostik (Befundmappe) voraus bzw. könnte durch die Einrichtung einer interdisziplinären Aufnahmestation verbessert werden.

Kooperation im Rahmen der Nachsorge: Die Einbeziehung der niedergelassenen Ärzte in die Nachsorgebehandlung wird im „Modell Hauskrankenpflege" vorgestellt.

Da aufgrund der geringen Haushaltsgrößen und der weitgehenden Berufstätigkeit aller Haushaltsmitglieder eine Pflege im Rahmen der Familie ohne geeignete Hilfestellung von „außen" meist nicht möglich ist, ist die Schaffung der infrastrukturellen Voraussetzungen für die Hauskrankenpflege durch Institutionalisierung einer „spitalsexternen Gruppenpflege" erforderlich.

Diese Gruppenpflege soll sich aus Ärzten und aus Pflegepersonal zusammensetzen.

Das beste medizinische Ergebnis wäre wohl zu erwarten, wenn das Modell „Hauskrankenpflege" mit dem Modell „Nachsorge- und Leichtpflege" verbunden würde und beim letztgenannten die vermehrte Einbeziehung niedergelassener Ärzte in die notwendigen therapeutischen Maßnahmen in der Nachsorgephase gesichert wäre.

Dieser Gedanke wurde von mehr als 95 Prozent der im Rahmen der Studie befragten Experten als zumindest „gute Idee" und von fast 94 Prozent als zumindest „teilweise realisierbar" angesehen.

Die Hypothese, daß Patienten aus der stationären Behandlung früher entlassen werden könnten, wenn eine abgestimmte ambulante Nachsorgebehandlung gewährleistet wäre, wird von knapp 95 Prozent der Experten bejaht, wobei kein wesentlicher Unterschied zwischen der Meinung der niedergelassenen Ärzte und der Spitalsärzte bzw. Spitalsverwalter besteht.

Der Autor ist Direktor der Ersten Allgemeinen Versicherungs-AG.

GESUNDHEITSWESEN IN OSTERREICH. Teil II. Von Evelyn Mayer-Deyssig hrsg. im Auftrag der privaten Krankenversicherungen.

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