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Organismen eines größeren Körpers

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Gemeinhin ist „dem Österreicher“ gar nicht bewußt, daß er sein Vaterland mit anderen Volksgruppen teilt. Es bedarf meist einer ausdrücklichen Erinnerung, daß es in Kärnten und sporadisch auch in der Steiermark Angehörige der slowenischen Volksgruppe gibt; im Burgenland die Kroaten und Magyaren, in Wien die Volksgruppe der Wiener Tschechen.

Noch weniger bewußt sind besagtem Österreicher irgendwelche Probleme, die sich mit einer solchen Anwesenheit verbinden. So bleibt Kommunikation, Bewußtsein und das Problematische daran meist den Angehörigen der Volksgruppen selbst und dann noch ihren österreichischen Nachbarn deutscher Zunge vorbehalten.

Wir leben - angeblich - in einer „Informations-Gesellschaft“, was nicht zwangsläufig eine tatsächlich informierte bedeuten muß, jedenfalls aber meint, daß das wesentliche Ingredienz unserer Zeit die Information sei.

So sehr Informationen aus jedem Winkel der Welt und über nahezu jedes Sachgebiet tagtäglich auf uns einströmen, so, daß wir vermeinen, ununterbrochen mit der ganzen Welt zu kommunizieren — was freilich bloß Illusion ist! —, so wenig kommunizieren wir mit diesen unseren Mitbürgern, wenn wir, wie gesagt, nicht ihre mittel- oder unmittelbaren Nachbarn sind, und so spärlich sind wir über sie informiert.

Dieses Manko hat Gründe. Der allererste ist, daß wegen der Streuung und der relativ kleinen Anzahl der Angehörigen dieser

Volksgruppen die „Berührungs-Probleme“ bestenfalls regionale, zumeist bloß lokale Bedeutung haben; zumindest vermeintlich, denn Artikel VII des Staatsvertrages macht die Volksgruppe, ihre Entfaltung und ihre Rechte zu einer Angelegenheit, die ganz Österreich überantwortet wurde.

Die vorgeblichen Probleme Kärntens, des Burgenlandes und allenfalls der Steiermark und Wiens sind gar nicht deren, sondern unser aller Probleme.

Dieses Bewußtsein ist in die Massenmedien nur sehr vereinzelt vorgedrungen. Es ist mir bewußt, daß man mich in Details widerlegen könnte, im großen und ganzen ist es aber doch so, daß sich die mediale Information und Kommunikation etwa der den Volksgruppen zur Verfügung stehenden Medien vornehmlich auf die Angehörigen der jeweiligen Volksgruppe bezieht.

Von rühmenswerten Ausnahmen abgesehen, nehmen die Massenmedien des großen Mehrheitsvolkes in unserem Lande von der Anwesenheit der Volksgruppen eine nur geringe Kenntnis; allenfalls, wenn es mehr oder weniger aufsehenerregende Vorfälle gibt, ist das anders.

Das trifft insbesondere auf die Massenblätter und den Rundfunk zu — sie streben nach maximaler

Reichweite, weshalb für regional und lokal angeblich oder wirklich begrenzte Ereignisse und Entwicklungen „mangels Interesse der großen Allgemeinheit“ der Platz nicht zur Verfügung steht.

Diese kommunikative Schwäche führt zu einer bedrückenden Mentalität: Die Volksgruppen und das Mehrheitsvolk stehen einander gewissermaßen gegenüber, häufig sehr verständnislos, wass die Bedürfnisse und Wünsche des“ jeweils anderen betreffen.

Doch da es sich gleicherweise um Angehörige des Staatsvolkes handelt, sollte die Kommunikation zu einem Miteinander führen, ohne Zwang der Selbstaufgabe, der auch auf ganz natürliche Weise („Assimilationsdruck“) herbeigeführt werden kann.

Wir alle sollten verstehen lernen, daß es zwar einerseits eine eigene Geschichte der Völker und Volksgruppen gibt, die häufig sehr gegensätzlich verläuft, daß aber darüber und in ihrer Konsequenz mächtiger und folgenreicher die Geschichte größerer Regionen (zum Beispiel „Mitteleuropa“) lagert, in welcher sich die „nationalen Geschichten“ als „Beiträge“ ausnehmen.

In diesem Prozeß aber haben — und hätten weiterhin! - hegemo-niale Absichten und Ansichten stets bloß zerstörerische Wirkung.

Was also könnte besser zum Verständnis der Volksgruppen beitragen als das Studium ihrer -und unserer! — Beiträge zur gemeinsamen Geschichte unserer mitteleuropäischen Region und der feste Wille, aus der Geschichte zu lernen.

An diesem Punkte der Überlegungen angelangt, muß man freilich des immer noch bedeutendsten Massenmediums gedenken, das wir haben. Es heißt nicht Zeitung und auch nicht Rundfunk, nicht Buch, Theater oder Film und vieles andere mehr. Es heißt „Schule“! Schule im weitesten Sinne, bis hin zur Erwachsenenbildung.

Und wenn es schon nicht möglich ist, daß, wie etwa in der Schweiz, nahezu jeder auch die Sprache „des anderen“ versteht, so muß es möglich werden, daß wir dennoch einander begreifen. Begreifen als unverlierbare Organismen eines größeren Körpers, deren Bedeutung nicht nach Volumen und Gewicht gemessen werden kann.

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