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Original oder Fälschung?

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Aus einer Fachdiskussion unter Archäologen wurde ein Gelehrtenstreit, in den sogar die Kriminalpolizei eingeschaltet wurde. Anlaß: eine Ritzzeichnung auf einem Ziegel aus dem dritten Jahrhundert.

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Aus einer Fachdiskussion unter Archäologen wurde ein Gelehrtenstreit, in den sogar die Kriminalpolizei eingeschaltet wurde. Anlaß: eine Ritzzeichnung auf einem Ziegel aus dem dritten Jahrhundert.

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Die umstrittene Ritzzeichnung befindet sich auf einem Ziegel aus dem dritten Jahrhundert n. Chr., der 1976 in Aguntum bei Lienz gefunden worden ist. Während Grabungsleiter Wilhelm Alzinger, Professor am Institut für Alte Geschichte und Klassische Archäologie der Wiener Universität sowie Mitglied des Osterreichischen Archäologischen Instituts, aufgrund diverser Expertisen von der Echtheit der Ritzzeichnung überzeugt ist, erklärt Friedrich Brein, Oberassistent am selben Universitätsinstitut, in Vorträgen und Publikationen: „Die Ritzzeichnung ist das Werk eines Spaßvogels.”

Begonnen hatte alles routinemäßig in Aguntum, dem ehemaligen römischen Verwaltungszentrum Osttirols, das seit der Jahrhundertwende ausgegraben wird. Am 4. August 1976 stießen die Spatenforscher auf das Niveau einer römischen Straße, in deren Belag drei flache Dachziegel eingesetzt waren. Am 13. August zog man die in mehrere Stücke zerbrochenen Ziegel heraus und reinigte sie. Erst jetzt bemerkten die Grabungsteilnehmer, daß einige Fragmente des mittleren, aus acht Bruchstücken bestehenden Ziegels mit Ritzungen versehen waren. Nach provisorischer Zusammensetzung der einzelnen Scherben identifizierten die Wissenschaftler die Zeichnung als Stadtplan von Aguntum' mit bereits ausgegrabenen Gebäuden westlieh der Stadtmauer und unbekannten Objekten im Osten: einem forumartigen Komplex mit Tempel und Verkaufshallen, einem szenischen Theater, einem Brunnenhaus sowie mehreren Grabbauten.

Während der Restaurator des österreichischen Archäologischen Instituts die Scherben fachgemäß zusammenkittete und aus Sicherheitsgründen mit einem Härtungsmittel behandelte, berichteten die Zeitungen von dem als Sensation gewerteten Fund, der den Wissenschaftlern die Chance zu bieten schien, in Zukunft anhand des Planes graben zu können. Alzinger zog eine Parallele zwischen dem Agüntiner Stadtplan und dem berühmten Marmorplan aus dem Rom des Kaisers Septimius Severus (193-211 n. Chr.). Zwei Grabungsmitglieder meldeten erste Bedenken gegen die Echtheit der Ritzung an.

Diesem Vorgeplänkel folgten Diskussionen auf akademischem Boden, worauf Alzinger — an der

Klärung des Falles interessiert — den Ziegel den Technikern der Wiener Kriminalpolizei zur Untersuchung übergab. Diese stellten fest, daß die Spuren an den Rändern und Ritzungen auf ein hohes Alter hinweisen. Ein genaues Alter konnten sie nicht angeben.

Daraufhin versuchte der Archäologe, die unbekannten Objekte östlich der Stadtmauer freizulegen. Er fand sie nicht. Nur mächtige römische Kulturschichten.

Jetzt gewannen die Angreifer an Terrain und sprachen fortan von dem „Agüntiner Kuckucksei”, das ein Spaßvogel gelegt hätte, indem er auf einen antiken Ziegel mit einem Nagel eine Zeichnung gemacht, ihn dann mit Zitronensäure oder Harn „antikisiert” und schließlich wieder in die ungefähre Fundlage gebracht habe. Zeit hätte er ja zwischen dem Fund- und Bergungstag genug dafür gehabt.

Daraufhin ließ Alzinger ein Bruchstück des Agüntiner Ziegels am Institut für Technische Physik der Technischen Universität Wien untersuchen, wo man über Geräte verfügt, mit denen man messen kann, ob Ziegel und Ton zeitgleich sind.

Der mit der Untersuchung beauftragte Physiker kam zu dem Ergebnis: Zeichnung und Ziegel sind gleich alt.

Brein jedoch mißtraut dem Gutachten und meint, naturwissenschaftliche Untersuchungen hätten im Falle dieses durch Härtungsmittel malträtierten „Kuk-kuckeies” keine Beweiskraft.

Nun griff Prof. Clemens Eibner vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Wiener Universität ein. Mit der Autopsie prähistorischer Keramik vertraut, nahm er sich den Ziegel mit dem Stadtplan vor, bei dem es sich nach einer Theorie Alzingers möglicherweise um eine Skizze handelt, die ein Stadtplaner gemacht haben könnte, um Stadtvätern zu zeigen, wie Aguntum nach seinen Vorstellungen aussehen sollte.

Schließlich kennt die Archäologie Beispiele für solche Aktionen. So heißt es im Alten Testament im Buch Ezechiel (IV/1): „Du Menschensohn, nimm Dir einen Ziegel und lege ihn vor Dich hin und zeichne darauf die Stadt Jerusalem.”

Wie auch immer: Eibner besah sich die umstrittene Zeichnung auf dem Ziegel unter dem Binokular und machte anschließende Makroaufnahmen. Dabei stellte er fest, die Ritzlinien können nicht von einem Fälscher unserer Tage gemacht worden sein. Denn die Rillen wurden schon vor dem Brand mit einer stumpfen Spitze — keinesfalls einem Nagel — hergestellt. Hätte man sie nach dem Brand gemacht, wären Absplitterungen entstanden. Absplitterungen aber sind nicht sichtbar. Dafür jedoch die Spuren verdrängter Magerungskörnchen des weichen Tones.

Es bleibt abzuwarten, mit welchem Geschütz die Skeptiker jet;zt anrücken. Oder ist der Krieg damit zu Ende...?

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