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Digital In Arbeit

Orwells 1984 ist nicht so fern

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15.000 Schreibmaschinenseiten (DIN A 4) finden auf einer 25 cm breiten Magnetbandspule spielend Platz. Dieses Band kann man entweder in Minutenschnelle duplizieren (ohne verräterische Spuren zu hinterlassen) oder — etwas plumper — einfach entwenden. Auf jeden Fall hat die Tatsache, daß es heute möglich ist, große Mengen von Daten einfach und billig zu speichern, die Gefahr des unberechtigten Zugriffs zu diesen Informationen (trotz eingebauter Sicherungen) vervielfacht.

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15.000 Schreibmaschinenseiten (DIN A 4) finden auf einer 25 cm breiten Magnetbandspule spielend Platz. Dieses Band kann man entweder in Minutenschnelle duplizieren (ohne verräterische Spuren zu hinterlassen) oder — etwas plumper — einfach entwenden. Auf jeden Fall hat die Tatsache, daß es heute möglich ist, große Mengen von Daten einfach und billig zu speichern, die Gefahr des unberechtigten Zugriffs zu diesen Informationen (trotz eingebauter Sicherungen) vervielfacht.

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Durch die rapide Zunahme von EDV-Anlagen wurden nicht nur herkömmliche Verbrechen (wie jener Diebstahl von Kundenadressen auf Magnetband und deren Verkauf an ein Versandhaus bei dem britischen Unternehmen Encyclopedia Britan-ndca, 1970) erleichtert oder deren Durchführung in großem Stil ermöglicht, sondern es begannen sich auch völlig neue Verbrechenstypen, die man mit dem Sammelbegriff „Ccanputerkriminalität“ bezeichnet, zu entwickeln:

• Wahlfälschung (in den Ländern, wo Wahlcomputer verwendet werden — so geschehen in New York, 1972);

• Diebstahl von Computer-Zeit (durch Verwendung eines Computers für private Arbeiten);

• Abbuchung von Beträgen auf Privatkonten oder Bezahlung fiktiver Rechnungen auf Privatkonten (so gelang es einem Angestellten der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, laufend auf diverse Konten Kindergeld-Überweisungen zu bewerkstelligen. Als er durch Zufall ertappt wurde, hatte er bereits rund eine Viertelmillion DM abgezweigt. In einem anderen Fall, der 1973 in Kalifornien aufflog, wurden laufend staatliche Wohlfahrtsunterstützungen an Freunde eines Angestellten überwiesen).

• Fortsetzung der Auszahlung von Pensionen Verstorbener (BRD, 1971);

• eigenmächtige „Lohnerhöhungen“ durch Lochkartenabänderung;

• Aufstellung fiktiver Kundenlisten und Zession von Forderungen;

• eigenmächtiger Materialbezug durch unberechtigte Bestellung und Veräußerung der Ware auf eigene Rechnung

• sowie letztlich der bereits klassische Fall, der an einem Hamburger Geldinstitut passierte: Der Computer berechnete Zinsen bis auf die dritte Dezimalstelle und rundete dann automatisch auf zwei Kommastellen ab. Diese abgerundeten Pfennigbeträge Heß sich ein Angestellter auf einem Spezialkonto gutschreiben. Gewtan in zwei Jahren: rund eine halbe Million DM.

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Fest steht, daß durch moderne Formen der Datenspeicherung herkömmliche Verbrechen (wie Diebstahl von Unterlagen) trotz eingebauter Sicherungen einfacher geworden sind — denn es ist leichter, einige Magnetbänder zu entwenden, als ganze Aktenschränke zu entfernen und daß auch neue Verbrechenstypen entstanden. Ganz zu schweigen von der relativen Einfachheit jeglicher Sabotage, denn auch der EDV-Unkundige kann mit einem Hammer eine Magnetplatte zerschlagen (feinfühligere Typen würden dazu einen kleinen Spielzeugmagneten verwenden, der ohne verräterische Spuren die Datenmenge in Bruchteilen von Sekunden vernichtet).

Und die Privatsphäre?

Abgesehen von den beschriebenen . Möglichkeiten, die das EDV-Zeitalter „erfinderischen“ Untätern, Industriespionen und anderen „Interessenten“ eröffnet, gibt die moderne Form der Datenverarbeitung jedoch auch noch manch anderen Anlaß zur Besorgnis: das Eindringen in die Privatsphäre wird immer leichter und durch die Kumulierung von Informationen geradezu herausgefordert. Das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Achtung des „Privat- und Familienlebens“ (Art. 8 Menschenrechtskonvention) könnte bald zur leeren Hülse werden, falls auf dem Gebiet des Datenschutzes nicht bald zielführende legdstische Schritte unternommen werden.

Arthur R. Miller, Professor an der Juridischen Fakultät der Universität Havard, hat in seinem Buch „Der Einbruch in die Privatsphäre“ die Möglichkeiten des insbesondere politischen Datenmißbrauchs untersucht. Der Bonner Jurist Seidel, Lehrbeauftragter für EDV-Recht, formuliert es prägnanter: „Die befürchtete Untertanen-Kartei, die Auskünfte über Vorstrafen, Gesundheitszustand, Bildungsgrad, private Verhältnisse, Beteiligung an Demonstrationen und Geheimdienstbeurteilungen gibt, ist zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit technisch möglich geworden.“

Jeder von uns ist bereits heute in behördlichen wie auch privaten EDV-Anlagen erfaßt; einige Beispiele:

• Krankenversicherung;

• Strafregister;

• Hochschule;

• private Versicherungen;

• Vereinsregister;

• Bibliotheken;

• Kraftfahrzeugbehörden;

• Autofahrerklubs;

• Kammern;

• Gewerkschaften und ähnlicha Verbände;

• Versandhäuser;

• Reisebüros;

• Spitäler;

• als Angestellter eines Unternehmens;

• Arbeitsbehörden;

• Kreditinstitute;

• Buchklubs;

• Ehevermittlungsbüros.

Eine Erhebung in der Bundesrepublik vermeldet, daß jeder Staatsbürger bei etwa 300 verschiedenen Stellen „aktenkundig“ ist. Zahlreiche dieser Stellen verfügen bereits über EDV-Anlagen, andere werden im Laufe der Zeit auf Computer umstellen. Solange diese Informationen getrennt bearbeitet werden, besteht noch die Chance einer gewissen Wahrung der Privatephäre. Doch gibt es bereits heute Fälle, die klare Verletzungen der Geheimhaltungspflicht und schwerwiegende Eingriffe darstellen.

So sind zum Beispiel aus der Bundesrepublik Fälle bekannt, in denen Firmen Personaldaten (samt Intelligenztest-Auswertungen sowie Mitarbeiterbeurteilung) „vertraulich“ weiterreichen. Daß Kundenkarteien bereits zu einer begehrten „Ware“ geworden sind, ist längst kein Geheimnis mehr. Auch der Fall, daß ein Kreditwerber auf Grund eines vertraulichen Vermerks eines Versandhauses („blieb öfters mit den Raten im Rückstand“) unverrichteter Dinge wieder abziehen mußte, ist keine Fiktion.

Auch muß man sich darüber im klaren sein, daß die Datenkriminalität im öffentlichen Bereich eine weitere Dimension erhält: etwa, wenn ein Beamter der Kriminalpolizei Informationen, zu denen er dienstlich Zugang hatte, um 3500 DM an einen Privatdetektiv verkauft (so 1973 geschehen in Deutschland).

Denkt man sich eine (technisch durchaus erzielbare) Zusammenarbeit von behördlichen und privaten Datenanlagen, dann genügt ein Druck aufs Knöpf chen, und der Österreicher wird „transparent“! Man weiß dann, daß er einmal in psychiatrischer Behandlung oder daß er Alkoholiker war, daß ihm der Führerschein entzogen wurde, daß er zweimal geschieden wurde, 1968 den Konkurs angemeldet hat, Mitglied einer radikalen Partei ist, regelmäßig die „Volksstimme“ oder die „Deutsche National-Zeitung“ bezieht, in der Kartei eines Versandhauses für „Sex-Artikel“ als regelmäßiger Kunde geführt wird und dort mit seinen Raten einige Male in Rückstand geriet, daß er über einen Zweitwohnsitz verfügt, gern schnelle Autos fährt, eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen hat, regelmäßig Geschäftsreisen in Ostblockstaaten unternimmt, bei einer Leihbibliothek nationalsozialistische (oder marxistische) Literatur ausleiht, eine Zahnprothese hat, diese oder jene Vorstrafe erhielt (obwohl diese bereits im Strafregister gefügt ist), daß er während seiner Hochschulzeit in einem Studentenheim gewohnt hat, auf der Universität ein Disziplinarverfahren hatte, seit 1956 Mitglied des Gewerkschaftsbundes ist, einmal drogensüchtig war, dieses oder jenes Religionsbekenntnis hat, einen niedrigen Intelligenzquotienten besitzt und oftmals den Arbeitsplatz gewechselt hat, keine Fremdsprache spricht, an der Universität nur durchschnittliche Erfolge hatte, einmal anläßlich einer links-(rechts-) radikalen Demonstration vorübergehend festgenommen wurde, Wagner-Opern bevorzugt, offensichtlich Hobby-Gärtner ist, da er regelmäßig per Versandhaus Blumenzwiebeln bestellt, gern Leserbriefe mit dieser oder jener Tendenz an Zeitungen schreibt, journalistisch tätig ist, einmal bei einem Volksbegehren unterschrieb, Proponent der „Aktion Leben“ war...

Wahrlich kein angenehmes Gefühl. Es liegt jedoch durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß wir das Orwellsche „1984“ zu einem früheren Zeitpunkt erreichen, wenn nicht — bevor uns die Technik den restlosen Zugriff ermöglicht — entscheidende Schritte unternommen werden. Es ist nicht müßig, historische Spekulationen anzustellen: aber der Gedanke, um wieviel „perfekter“ und lückenloser etwa die Todesmaschine Adolf Hitlers funktioniert hätte, wenn dieser schon über die heutigen technischen Möglichkeiten verfügt hätte, ergibt die Möglichkeit, sich den extremen Datenmißbrauch plastisch zu vergegenwärtigen.

Kein Wunder, daß nicht nur in zahlreichen Staaten an diversen Datenschutz-Gesetzen gebastelt wird, sondern daß sich auch EDV-Experten bereits zunehmend mit dem Datenschutz beschäftigen. So wurde auf einer Computer-Konferenz in den USA ein Katalog von rund 200 Erfordernissen für einen effizienten Datenschutz vorgelegt.

Datenschutz in Österreich

Ein erster Entwurf zu einem Datenschutzgesetz wurde 1971, nachdem die Diskussion um dieses Thema in Österreich eingesetzt hatte, vom Bundeskanzleramt ausgearbeitet; federführend war Staatssekretär Ve-selsky. Dieser erste Entwurf fand wenig Gegenliebe in der informierten Öffentlichkeit und gelangte sehr rasch unter schweren Beschuß der ÖVP, deren Kritik — materiell wie formell — vor allem die folgenden Punkte umfaßte:

• für die Regelung einer so brisaneines neuen, verbesserten Entwurfes initiativ.

In diesem nunmehr vorliegenden Ministerialentwurf, dessen Begutachtungsfrist am 30. Juli 1974 ablief, wurde einer wesentlichen Forderung der Opposition — wenn auch nicht vollinhaltlich — Rechnung getragen: es handelt sich um einen Entwurf zu einem Bundesgesetz, das auch Verfassungsbestimmungen enthällt. Demgegenüber ist die ÖVP mit einem Entwurf zu einem Verfassungsgesetz an die Öffentlichkeit getreten. Er versucht, nicht nur den Datenschutz in seiner Gesamtheit unter Berücksichtigung der rasant fortschreitenden technischen Entwicklung in den Griff zu bekommen, sondern liefert auch gleichzeitig die notwendigen Kompetenzbestimmun-gen wie auch Finanzierungsvorschläge. Der Entwurf verrät die Handschrift des ÖVP-Staatsrechtlers Professor Ermacora.

Ein besonderer Vorzug des Entwurfes ist es weiters, daß er auch die privaten Datenanlagen umfaßt und versucht, die sogenannte „Da-tenkomibination“ zu verbieten.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Datenschutz zu den wohl brisantesten Fragen unserer Zeit gehört. Auch wenn die Gefahren, die durch mißbräuchlichen Zugriff zu Datenmaterial für die zwar verfassungsrechtlich zugesicherte, aber leider noch nicht hinreichend abgesicherte Freiheit des einzelnen entstehen können, weiten Kreisen der Bevölkerung noch nicht bewußt sein mögen, so erscheint eine Behandlung dieser Materie doch vordringlich; denn letztlich steht und fällt mit der Wahrung der Intimsphäre des einzelnen auch unsere demokratische Grundordnung.

Es wäre sinnvoll, wenn die verantwortlichen Politiker beider Parteien auf Grund der nunmehr vorliegenden Entwürfe und Vorarbeiten gezielt miteinander weiterarbeiten, wofür begründete Hoffnung besteht, da sich eine Diskussion um den Datenschutz schon von der Komplexität der Materie her einer tages-politischen Ausschlachtung entzieht. Es ist erfreulich daß die Intentionen beider Entwürfe — von SPÖ wie ÖVP — weitgehend identisch sind.

• „Während bei einer mit herkömmlichen Mitteln geführten Datenbank diese Gefährdung der Privatsphäre wegen der schwierigen Handhabung umfangreicher Dateien noch relativ gering ist, gefährdet der Einsatz der modernen Technik im Hinblick auf die wesentlich leichtere Zugriffsund Verbundmöglichkeit zu den Daten die Privatsphäre in weitaus größerem Maße“ (Erläuterungen des Mini sterialentwurf s).

• „Eine unkontrollierte EDV erzeugt ein Unmutsgefühl und ein Gefühl der Furcht, wenn sich der Bürger der ungeahnten Möglichkeiten dieser technischen Einrichtung bewußt wird“ (erläuternde Bemerkungen des ÖVP-Entwurfs).

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