6826620-1974_15_11.jpg
Digital In Arbeit

Osterliches Premierengedrange

Werbung
Werbung
Werbung

Araber, also Mohammedaner, streben heute danach, die Juden in Israel zu vernichten, Menschen, die zumindest dem Taufschein nach Christen sind, haben mitgewirkt am Mord von Millionen Juden. Toleranz, die Vorstellung, über weltanschauliche Unterschiede hinweg Brüder zu sein, liegt unserer Zeit ferner denn je. Nun spielt das Burgtheater Lessings dramatisches Gedicht „Nathan' der Weise“. Auf dem Hintergrund weltweiter Greuel, des Terrors, der Foltermethoden, kann man diesem Hohenlied der Menschlichkeit nur mit Ergriffenheit folgen.

Hierin durch nachts gestört zu werden, ist ein Verdienst der Aufführung unter der Regie von Michael Kehlmann. Nichts wird umfunktioniert, es geht einzig daruim, unaufdringlich den Gehalt an humaner Gesinnung über mancherlei Wirrnisse hinweg transparent zu machen. Wie eine heute unerreichbare Fata Morgana sprechen die Vorgänge zu unserem Gefühl. Diese starke, ruhig verinnerlichte Wirkung unterstützen die noblen Bühnenbilder von Gottfried Neumann-Spallart. Die Leasing-Zeit wird anvisiert, feingliederige, elfenbeinfarbene Säulengruppen, die Andeutungen eines frühen Rokokos aufweisen, stehen rauimunischließend nebeneinander oder ragen einzeln aus eineÄi weithin gedehnten Land. Farbakzente setzen vorsichtig die Kostüme von Eva Sturminger.

Die Menschlichkeit Nathans bietet Attila Hörbiger überaus schlicht dar, gegenüber bezwingender Herzensweisheit tritt das Intellektuelle zurück. Frank Hoffmann hat als Tempelherr das Jähe, Ungestüme dieses jungen Menschen, Sebastian Fischer ist ein hoheitsvaMer, etwas artifiziell artikulierender Sultan. Der Daja gibt Alma Seidler Naivität und kämpferische Frömmigkeit, durch echtes Gefühl überzeugt Maresa Hörbiger als Recha. Hinter dem Lächeln von Fritz Lehmann als Patriarch verbirgt sich gefährlicher Fanatismus. Dem geringsten Mienenspiel von Alfred Balthoffs drolligem Klosterbruder folgt man erheitert und gebarmt, eine reich facettierte Leistung. Otto Tausig ist ein beweglich gestikulierender Derwisch, Sigrid Marquardt eine klug-vornehme Sittah. *

Das Volkstheater führt in den Wiener Außenbezirken die Posse „Der Zerrissene“ von Nestroy auf, wobei Regisseur Ernst Wolfram Marboe vor allem vergnüglich zur Geltung bringt, was es da an Situationskomik gibt: Die Werbung des Herrn von Lins um das erste Weibsbild, das zufällig bei der Tür hereinkommt, Madame Schleyer; die Turbulenz in der Szene, als Lips und der Schlosser Gluthammer, von denen jeder glaubt, er habe den andern ermordet, einander ansichtig werden und einander für Geister halten. Das wird zu einem Bombenspaß. Harry Fuß ist ein kaum zerrissener Lips, die scharfkantige Weltweisheit servierte er mit Liebenswürdigkeit. Dem Gluthammer gibt Robert Werner vitale Breitspurigkeit. Die Selbstsucht der Madame Schleyer spielt Hilde Sochor witzig aus. Die begabte Silvana Sansoni entspricht als Kathi nicht ganz dem Typ dieser Mädchengestalt. Auf der kleinen Bühne bietet Georg Schmid gut gelöste Bühnenbilder. Eine kleine Band unter Leitung von Norbert Pawlicki vergröbert durch ihre Zusammensetzung die reizvolle Musik von Adolf Müller.

Die drei Bühnen des Theaters in der Josefstadt hatten an drei Tagen nacheinander Premieren. Im Haup't-haus gelangte das Stück „Monsieur Jacob“ zur deutschsprachigen Erstaufführung, das Albert, Husson nach dem Romanfragment „Le Paysan parvenu“ von Pierre de Marivaux geschrieben hat. Marivaux, das ist im Erfassen des Lebensstils ein Inbegriff des achtzehnten Jahrhunderts. Marivaux' Menschen, wurde gesagt, lassen sich von ihren Dienern und Dienerinnen passiv ins Spiel führen. Hier dagegen begibt sich der hübsche Bauernbursche Jacob, ein „Bei ami“ der Ackerfurchen und Wälder, nach Paris, will da vorwärtskommen und wird ständig von Weiblichkeiten bedrängt, durch die er es schließlieh bis zum Steuereinnehmer bringt.

Dieses looker sich entfaltende, aber gegenüber Marivaux etwas vergröberte Stück führt jene männliche Ausstrahlung vor, der alles Weibliche von den Kammerzöfchen bis zu den Herrinnen erliegt. Der Egoismus als Ansporn fast jedweden Verhaltens wird spürbar.

Eben dieses Spielerische drückt sich auch im ständigen Wechsel der Sohauplätze aus, der unter der Regie von Erik Frey mit der Drehbühne unschwer bewältigt wird. Diese Räume und örtlichkeiten charakterisiert Bühnenbildner Gerhard Janda gut durch, auch wenn nur wenige Quadratmeter zur Verfügung stehen. Heinz Marecek hat als Jacob das etwas naiv männlich Sieghafte dieser Figur. Unter den zehn Frauengestalten bieten Eva Kerbler als „Madame“ sinnlichen Charme, Marianne Chappuis das Zielbewußte einer Kammerzofe, Ursula Schult ein Gelüst, das religiöse Hemmung zwar ängstlich, aber doch durchbricht, Vilma Degischer überchargiert eine Frömmlerin, Heide Keller zeichnet eine außerehelichen Erfahrungen nicht abgeneigte Präsddentengattin. Akzente setzen unter den männlichen Darstellern Hans Borsody, Michael Toost, Carl Bosse.

Auch im Kleinen Theater im Konzerthaus wurde ein Stück in deutschsprachiger Erstaufführung herausgebracht: „Der Himmel ist unten“ von Jänos Nyiri, einem Umgarn, der seine Heimat 1956 verließ. Es entstand in Zusammenarbeit mit Marc-Gilbert Sauvajon. In einer ungarischen Schauspielschule von heute gibt der Lehrer Möroi die Aufgabe, jeder Schüler solle das wichtigste Ereignis seines bisherigen Lebens szenisch vorführen. Packender Ansatz: Was ergibt sich? Käroly, einer der Schüler, liebt Ilona, die Tochter eines Obersten, der einst ins Volk schießen ließ, sie ist unschuldig, wird aber, nach Denunziation als Bürgerliche durch einen der Schüler, deportiert. Richtnorm: Fortschritte fordern Opfer. Der Gegensatz von Spiel und Wirklichkeit bricht auf, als das Mädchen Csöpi spielt, was Ilona erlebte, selbst aber geliebt werden möchte. Richtnorm: Privates Glück ist ohne Bedeutung. Alle Schauspielschüler sind Kommunisten, auch Käroly,. nur verlangt er Gerechtigkeit und erwartet sie von einem Kommunismus von morgen, für ihn wird der Himmel erst dann auf Erden sein. Was bietet das Stück? Einblick in bekannte politische Zustände bei unseren Nachbarn, kaum mehr. Unter der Regie von Georg Lhotzky gibt es eine treffliche Aufführung mit Hans Holt als Schauspiellehrer, Miguel Herz-Ke-stranek als Käroly, Johanna Thimig als Csöpi, Ludteig Hirsch als scharfmacherischer Mitschüler. Nur Susanne Granzer überzeugt nicht als Ilona.

In den Kammerspielen besteht in dieser Spielzeit die Absicht, nicht banalen, sondern „gehobenen“ Boulevard zu bieten. Das wurde bisher zweimal erreicht, ansonsten schien diese Absicht lediglich der Name des Autors zu rechtfertigen. Das Stück „Das Kamel geht durch das Nadelöhr“ von FrantUek Langer hatte seinerzeit einen guten Ruf, ist aber doch nur eine Schnulze. Eben wurde die von Peter Loos inszenierte Aufführung — wie vordem Molnärs „Olympia“ — aus dem Theater in der Josefstadt mit einigen Umbesetzun-gen übernommen. Nach wie vor sind Elfriede Ott, Hugo Gottschlich und Jochen Brockmann eingesetzt. Christine Böhm ist es nun, die dem Kellermädchen Susi glaubhaft den sich plötzlich entwickelnden geschäftlichen Elan und das Jungdamenhafte gibt, Alexander Waechter erweist sich als ein sehr schüchternes reiches Bürschchen Alik, Rudolf Rös-ner und Otto Ambros geben den älteren Bewunderern Susis Profil.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung