6826524-1974_15_01.jpg
Digital In Arbeit

Ostern -heute

Werbung
Werbung
Werbung

Alle bedeutenden Religionen haben als Zielpunkt: Leben. Leben, besonders in seiner modischen Wortverbindung „Lebensqualität“, wird erst deutlich, wenn es sich als leuchtendes Ziel von dunklen Hintergründen abhebt.

Der Tod als endgültig scheinende Begrenzung individuellen Lebens, wie auch die Zerstörung der Voraussetzungen, unter denen menschliches Leben überhaupt erst möglich ist, so auch das Dahinvegetieren gesellschaftlicher Gruppen tief unter jener Norm, die von den Menschenrechten her geboten ist, dazu die alten Feinde menschlichen Lebens: Seuchen, Armut, Krieg und Katastrophen bilden jenen dunklen Erfahrungshorizont, auf dem — gleich einem Traum — Leben gestaltbare Formen annimmt.

Träume von Leben bat es immer gegeben, große und kleine: das neue Leben, das man morgen beginnen will; das erfüllte Leben, welches man gerne einer verstorbenen Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zuspricht; das „süße Leben“, für welches man Ehre, Freiheit und Ansehen riskiert, oder das nackte Leben, das man unter Aufgabe aller sonst lebenswerten Güter durch die Bedrohung hindurch rettet.

Dazu kommen die großen Träume vom Leben: die gerechte Gesellschaft, in der alle Gruppen in Partnerschaft am endlosen sozialen Aufstieg ohne Unterdrückung in freier Verantwortung sich gegenseitig Lebenszuwachs spenden, oder der Traum von der erfüllbaren Gerechtigkeit durch die Gesellschaft, in welcher diejenigen Macht haben, die dem Anscheine nach die Gerechtigkeit am besten erfüllen und daher jenen das gerechte Maß an Lebensanteilen zusprechen, welche bereit sind, ihrer Definition von Lebensge-reohtigkelt zuzustimmen.

Die christlichen Kirchen haben im Unterschied zu den menschlichen Träumen vom Leben die Wirklichkeit göttlichen Lebens verkündigt. Um nochmals auf jenen Modeausdruck zurückzukommen: Lebensqualität im christlichen Sinne wäre dann vorhanden, wenn Gott sein Ja zu Mensch und Schöpfung spricht Und dies ist eindeutig durch die Auferweckung Jesu Christi zu Ostern geschehen. „Gott aber hat den Herrn auf erweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft“ (1. Kor. 6,14). Der auferstandene Christus ist der Garant für unsere Auferstehung am Ende der Zeiten. Und wie wir um seinetwillen der Auferstehung und des ewigen Lebens teilhaftig werden, so wird auch die Schöpfung um unseretwil-len der Herrlichkeit eines neuen Lebens teilhaftig. Jetzt aber, das.heißt in diesem Leben, warten wir eines neuen Himmels und. einer neuen Erde, in welchen Gerechtigkeit wohnet. Soweit unsere österlichen Lebenserwartungen.

Sie alle hängen an dem Erstling der Auferstehung Jesus Christus. Ohne Jesus Christus kein Ostern, ohne Jesus Christus keine echte Lebensqualität. Echtes Leben ist durch Jesus Christus erlöstes Leben.

Hier aber, am Erlösungswerk Christi, am Todeskreuz des Naza-reners, scheiden sich zwei Glaubenslinien. Menschliches Denken vermag das Leiden und Sterben des Blutzeugen Christus sinnvoll in seine Gedankenreihe einbauen. Jesu Solidarität mit den Armen, Entrechteten und Leidenden gegenüber den Mächtigen geht soweit, daß er ihr Schicksal auf sich nimmt. Dadurch gibt er ihnen Mut zum Leben, denn Gott hat durch seine Auferweckung sein Martyrium bestätigt und sich in ihm zu den Machtlosen bekannt.

Die christlichen Gesellschaftsreformer und auch die christlichen Politiker bedienen sich gerne dieser Gedanken. Das Gefährliche daran ist nur, daß jeweils von einer menschlich gesetzten Norm her bestimmt wird, wer als entrechtet oder unterdrückt zu galten hat und wer nicht. Hier könnte der Fall eintreten, daß zur Unterscheidung von Leben und Nichtleben der gesellschaftliche Nutzen der einen Gruppe gegenüber ■der gesellschaftlichen Nutzlosigkeit der anderen Gruppe festgestellt würde, oder daß von einer bestimmten Vorstellung von Lebensqualität aus der Tod diese Lebensqualität erst erfüllen würde. Dann wäre Jesus Partei und sein Sterben und Auferstehen gälte nur bestimmten Menschengruppen, anderen aber nicht. Leben wäre teilbar.

Aber ist das der österliche Weg der Christenmenschen? Führt er wirklich zur vollen Lebensqualität?

Wer bis hierher denkt, hat nur eine Seite von Ostern bedacht. Die andere Seite des Erlösungswerkes Christi, die erst ganz zeigt, worin Ostern besteht, wird eigentümlicherweise heute kaum genannt.

Christus hat am Kreuz die Strafe, die wir verdient haben, auf sich genommen und ist an unserer Stelle unter Gottes Zorn gestorben. Der Apostel Paulus sagt: „Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“ (2. Kor. 5,21). Das ist die harte andere Hälfte des Erlösungswerkes Christi. Von ihr ist deshalb selten die Rede, weil sie uns Menschen restlos disqualifiziert: Wir verdienen gar nicht, zu leben. Der Tod ist die fällige Bezahlung für unsere Sünde, sagt derselbe Apostel. Darum sind wir restlos angewiesen auf die Begnadigung durch Gott. Unsere Schuld hat Leben und erst recht ewiges Leben verwirkt. Gott aber hat das Opfer Jesu angenommen und ihn auferweckt, darum schenkt er auch uns um Jesu willen das ewige Leben.

Ostern heißt: bedingungslos geschenktes Leben. Und ohristliche Lebensqualität würde dann heißen: Ein Leben, das wir dankbar immer wieder neu und unverdient aus Gottes Hand empfangen.

So wie wir vor Gottes Urteil alle gleich sind, sind wir vor Gottes Lebenszuspruch alle gleich. Darum gibt es letztlich vor Gott keine Unterschiede zwischen uns Menschen. Lebensunwertes Leben kann es vor Gott nicht geben, gleich, welche Maßstäbe die Menschen auch setzen. Ostern heute — heißt darum der Lebenszuspruch der Christenheit an alle Verachteten, Unterdrückten, Verfolgten, Leidenden und Zukurz-gekommenen: Nicht weil sie solches Unrecht von uns Menschen oder von einem dunklen Schicksal erfahren, sondern weil sich Gott ihrer in Christus erbarmt hat. Lefoenszuspruch der Christenheit heißt darum: Liebe aus Gnade, nicht Liebe aus Mitleiden allein. Christliche Solidarität steht letztlich nicht in der Gemeinschaft des Leidens unter der Schuld der anderen, sondern in der Gemeinschaft der Vergebung unser aller Schuld vor Gott.

Ostern — heute bedeutet, Gott auf den auferstandenen Gekreuzigten ansprechen, heißt immer wieder, zum Kreuz Christi zurückzukehren und Gott um Vergebung anzuflehen. Dann wird uns gewiß auch die österliche Lebenskraft des Auferstandenen zuteil werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung