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Ostern leben und freudig bezeugen

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Ein Stück Welt vor Finsternis und Kälte bewahren. Gedanken zum Osterfest.

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Ein Stück Welt vor Finsternis und Kälte bewahren. Gedanken zum Osterfest.

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Einige Päpste haben nach ihrer Wahl den Namen Paschalis angenommen. Das bedeutet „österlicher Mensch“ und ist eigentlich ein Wesensname für jeden Christen. Wer so heißt, der bezeugt, daß Ostern nicht nur ein Tag im Kirchenjahr, und daß jeder Sonntag ein kleines Ostern ist, was in der frühen Zeit der Kirche sehr bewußt war. Ostern ist vielmehr ein Grundprinzip des christlichen Lebens überhaupt.

Im Durchschnittsbewußtsein der westlichen Christenheit ist, anders als in der Ostkirche, längst schon Weihnachten zum Hauptfest des Jahres geworden. Ein nachchristliches Mißverständnis, das in Goethes Beschreibung eines Osterspazierganges im „Faust“ bereits wirksam ist, hat Ostern überdies auf ein Frühlingsfest reduziert. Das Christentum ist aber keine Naturreligion, wenngleich die Betrachtung der Natur als Schöpfung zu den Hauptperspektiven des christlichen Glaubens gehört. Inmitten der Pracht des Frühlings ist Ostern daher kein Fest der Natur, sondern feiernde Einkehr in die Tiefe der Geschichte.

Erinnert und nachvollzogen wird der große Gestus der Fußwaschung, in dem Jesus abschiednehmend alles versammelte, was er inmitten der Jünger durch drei Jahre gesagt und getan hatte. Erinnert wird an das Paschamahl, das Israel in Eile hielt, bevor es aus dem Sklavenhaus des Pharao fortzog, und an das andere Paschamahl, das Jesus mit den Jüngern schon im Schatten des Kreuzes beging. Auch der Exodus Israels aus Ägypten und der Exodus Christi aus Tod und Grab in die österliche Herrlichkeit des Vaters werden feiernd vergegenwärtigt.

Ostern ist aber nicht nur Erinnerung, sondern ebenso und mehr noch Offenheit in die Zukunft hinein. Der Osterengel läßt den Jüngern nach dem Zeugnis des Markus-Evangeliums sagen, daß der auferstandene Christus ihnen nach Galiläa vorausgehen wird. Darum nennen die Kartäuser den größeren der beiden Kreuzgänge ihrer Klöster die „große Galiläa“. Jeder Schritt der Mönche im Rahmen dieser großartigen Architektur wird verstanden als ein kleines Stück des Weges der Nachfolge, der dem wiederkehrenden Christus entgegenführt. Als Weg auf Christus hin wurden auch die alten Kirchen verstanden, die in Richtung Osten erbaut waren. Das Licht der am Morgen aufsteigenden Sonne war und ist in diesen Räumen ein Sinnbild für Christus, das Licht der Welt.

„Eilen laßt uns, Lichter tragend, Christus entgegen, der wie ein Bräutigam aus dem Grabe hervorgeht ... Freue dich, tanze im Reigen, Jerusalem“ singt die orthodoxe Kirche am Ostersonntag. Zwei Grundelemente österlicher Spiritualität kommen in diesem liturgischen Text zum Ausdruck: Freude über die Erlösung durch das Leiden, Sterben und die Auferstehung Christi und Ausgespanntsein hin auf seine Wiederkunft.

Wer die Osternachtsfeier in einer großen Benediktinerabtei, wer eine griechische oder russische Osterliturgie miterlebt hat und wer die vielen Ostermotive in der russischen Literatur vor der Oktoberrevolution oder auch in der Gegenwart kennt, der weiß um die schöpferische Kraft der christlichen Osterfreude.

Und wer die Statuten der klugen Jungfrauen in der Vorhalle des Freiburger Münsters oder die Gesichter der romanischen Lettnerfiguren im Dom von Naumburg kennt, der wird ergriffen sein von diesem Schauen ins Offene, dem Ausschauen nach dem wiederkehrenden Bräutigam und Herrn.

Noch wirksamer als in der Kunst ist die Osterfreude dort, wo sie im Alltag durch Christen gelebt und ansteckend bezeugt wird: Freude am Herrn oft inmitten freudloser Zustände und gegen sie; mystische Freude des Apostels Paulus und anderer Zeugen Christi im Gefängnis und in anderer Drangsal; paradoxe Freude dessen, der von sich sagen kann, wenn er schwach sei, dann sei er stark, weil die Freude am Herrn seine Stärke ist.

Die Christen sollen die Welt mit den Gaben des Heiligen Geistes nähren, hat das jüngste Konzil gesagt. Diese Geistesfrüchte, Geistesgaben sind Flammen vom großen Feuer jenes Geistes, der zu Ostern und Pfingsten über die Kirche ausgegossen wurde. Wo ein Christ diese ihm anvertraute Flamme hütet, dort bewahrt er ein Stück Welt, ein Stück Gesellschaft vor Finsternis und Kälte.

Viele solche Christen gibt es inmitten der wimmelnden Menge der Menschheit. Immer sind es zu wenige, gemessen an dem, was zu tun wäre. Aber sie reichen aus, um das Licht weiterzugeben, das am ersten Osterfest der Welt aufgegangen ist.

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