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Osterspaziergang

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Der erste Spaziergang war traurig, und ein Spaziergang war er schon gar nicht: Denn drei Frauen waren auf dem Weg zum Grab Jesu Christi, um seinen Leichnam zu salben. Es hat so ausgesehen, als würde der erste Osterspaziergang einfach ein pietätvoller Friedhofsbesuch werden. Und dann hat es auch noch praktische Schwierigkeiten gegeben: „Wer wird uns den Stein wegwälzen, daß wir den Leichnam herrichten können?"

Und dann die große Überraschung. Sie sehen, daß der Stein längst weggewälzt ist. Und das Grab war leer - Grüfte sind kein Aufenthaltsort für einen Gottessohn.

Wenn heutzutage Menschen in eine Kirche gehen, dann geht es ihnen oft ähnlich wie den drei frommen Frauen vor langer Zeit. Sie werden das Gefühl nicht los, daß sie irgendwie einen Friedhofsbesuch machen, daß sie ein Haus betreten, wo der Gottessohn begraben liegt: so gut eingemauert, daß er nicht herauskann. So als sollte es einen religiösen Betriebsunfall wie die Auferstehung von den Toten kein zweites Mal geben.

Allerdings - in der Gruft wird dem Leichnam des Gottessohnes jede nur erdenkliche Ehre erwiesen. Und wenn er nicht sowieso schon tot wäre, so hätten sie ihn längst zu Tode gesalbt mit ihren salbungsvollen Reden, den Dogmen des Todes, den Vorschriften im Dienst der Angst. Er ist gestorben - und Friedhofsgärtner und Museumsbeamte erklären den ehrfürchtigen Gruftbesuchern, was er eigentlich sagen wollte.

Doch das alles ist nur ein böser Traum. Denn der Stein vor der Gruft kommt nicht zur Ruhe. Es kommt immer wieder ein Engel, der den Stein wegwälzt. Das Grab Christi erkennt man daran, daß es leer ist und das Salbungspersonal seine Arbeitsplätze verloren hat.

Und das ist das Erlebnis des Osterspazierganges: Es wird ununterbrochen auferstanden. Und wer diese Auferstehung verzögern oder verhindern will, der wird schon seinen Engel finden.

Goethe hat schon recht, wenn er sagt:

.Jeder sonnt sich heut so gern; sie feiern die Auferstehung des Herrn: denn sie sind selber auferstanden - aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern... aus dem Druck von Giebeln und Dächern, aus der Straßen quetschender Enge, aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht sind sie alle ans Licht gebracht."

Wenn er wirklich auferstanden ist von den Toten, dann sollten Kirchen eigentlich Institute sein, wo man „auferstehen" lernen kann. Und wer auferstehen gelernt hat, der kann nur leicht amüsiert über jene Totengräber lächeln, die einen Friedhof für ein Endlager von Menschen halten. Fröhliche Auferstehung.

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