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Digital In Arbeit

Osteuropäisches Dilemma

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Normalerweise sind sie die politische „Saure-Gurken-Zeit” - die Sommermonate eines Jahres, wenn Regierende und Regierte sich irgendwo an einem sonnigen Winkel von den Strapazen der Arbeit erholen. In Osteuropa ist das nicht viel anders - normalerweise. In diesem Sommer haben die Ereignisse im kommunistischen Osten dankbaren Redakteuren westlicher Massenmedien indes immer wieder politisch hochbrisanten Stoff für Schlagzeilen geliefert:

Die Prager Obrigkeit etwa, die unbemerkt von der Weltöffentlichkeit einen Monsterprozeß gegen die unliebsamsten Systemkritiker abrollen lassen wollte; die DDR, die ein verschärftes neues Strafrecht einführte, wohl auch mit dem Hintergedanken, damit noch rigoroser gegen Regimekritiker Vorgehen zu können. In noch dickeren Balkenlettem aber beherrschte die wirtschaftliche Entwicklung im Ostblock die Berichterstattung!

Denn deutlicher als in diesem Sommer sind die ökonomischen Schwierigkeiten der kommunistischen Länder Osteuropas kaum jemals zutage getreten. Die weltwirtschaftlichen Krisenerscheinungen haben sich - und das ist jetzt klarer denn je - über den Eisernen Vorhang hinweg ausgebreitet. Dabei sind Inflation und Energiekrise aus ideologischen Gründen im kommunistischen Propaganda-Alltag totgeschwiegene Themen, aber nichtsdestoweniger stark verbreitete Symptome der ökonomischen Krise - auch in dieser, den halben europäischen Kontinent umspannenden Versuchsanstalt marxistisch-leninistischer Weltverbesserei.

Für einen Knalleffekt in dieser Hinsicht sorgte Rumäniens „Condu- cator”, Nicolae Ceaucescu Anfang August: Daß er den Autotouristen aus den kommunistischen Bruder- ländem den Benzinhahn zudrehte, indem er auch von ihnen harte - sprich: westliche - Devisen an den Tankstellen verlangte, ließ erahnen, wie prekär die Energiesituation auch innerhalb der östlichen Wirtschaftsgemeinschaft Comecon (Council for mutal economic aid, im Osten RWG, Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, genannt) sein muß.

Die vielzitierte „sozialistische Solidarität” wurde durch die rumänische. Maßnahme zur inhaltslosen Phrase. Dabei hatte Bukarest handfeste Gründe für seine bürokratische Rücksichtslosigkeit: Rumänien muß zwei Drittel seines Erdöl-Bedarfs gegen harte Währung im Nahen Osten decken. Die Forderungen Bukarests nach vergünstigten Öllieferungen aus der Sowjetunion aber wurde auf einer Comecon-Tagung von Moskau strikt abgelehnt. Dem sowjetischen Njet folgte dann die am 1. August in Kraft getretene Verordnung der rumänischen Regierung.

Schon vor diesem rumänischen Alleingang hatten die drastischen Preiserhöhungen in Ungarn und in der CSSR überdeutlich die wirtschaftliche Krise im Ostblock signalisiert. Damit wurde auch die Inflation offensichtlich, die es aus ideologischen Gründen im Kommunismus eigentlich gar nicht geben dürfte.

Es gibt sie, so in ihrer versteckten Form, gekennzeichnet durch die Menschenschlangen vor Konsumgüterläden oder deren leeren Regalen, in der Einführung neuer Verpackungen mit geringerem Inhalt bei gleichbleibendem Preis und dergleichen mehr. Es gibt ebenso die offene Inflation in Form der eben schon erwähnten Preissteigerungen.

Und ebenso wie im Westen kann in kommunistischen Volkswirtschaften zwischen „hausgemachter” und „importierter” Inflation unterschieden werden. Während die hausgemachte Inflation ihre Ursachen vor allem im sozialistischen Wirtschaftssystem hat, ist die importierte Inflation in erster Linie eine Folge der zunehmenden weltwirtschaftlichen Verflechtung der kommunistischen Staaten Osteuropas, seit sie aus ihrer außenwirtschaftlichen Isolierung herausgetreten sind.

Einhergegangen ist mit dieser weltwirtschaftlichen Verflechtung des Ostblocks ein Phänomen, das den kommunistischen wie den westlichen Staaten immer mehr zu schaffen’ macht: Die Verschuldung der Oststaaten bei den westlichen Handelspartnern, die sich inzwischen schon dem Betrag von 50 Milliarden Dollar nähert!

Dabei schlittern die kommunistischen Volkswirtschaften in ein immer größer werdendes Dilemma: Wurden die Kredite zuerst hauptsächlich für Investitionsgüter verwendet, müssen nun einige Oststaaten - neben der Sowjetunion auch Polen und die Tschechoslowakei - immer größere Devisenbeträge für Getreidekäufe im Westen aufbringen. Das aber verringert die Möglichkeiten dieser Staaten, westliche Industriegüter und Technologien, die die kommunistischen Länder dringend für ihr wirtschaftliches und industrielles Wachstum benötigen, zu erwerben.

Eine prekäre Lage auch im Energiebereich: Die Sowjetunion, auf deren Territorium 97 Prozent der Ölvorkommen im Comecon-Raum lagern und die ihren „Bruderstaaten” 80 Prozent des Erdöls liefert, läßt die Preise seit der Ölkrise von 1973 stetig dem Weltmarkt folgen. Sie nähert sich bei der Belieferung ihrer Come- con-Partner sogar schon den OPEC-Preisen.

Ja Moskau verlangt auch schon OPEC-Preise in harter Währung für jene Mengen, die über den vereinbarten Kontingenten liegen. Was eines Tages dazuführen muß, daß Come- con-Länder auf dem Erdölmarkt wohl selbst als Käufer auftreten - dann nämlich, wenn die sowjetischen Erdöllieferungen das volle Weltmarktpreis-Niveau erreicht haben.

Die Folge dieser Entwicklungen waren die rapiden Preissteigerungen für Konsumgüter, Benzin und zum Teil auch Lebensmitteln in einigen Comecon-Ländem. Bis vor kurzem konnte das Preisniveau für diese Güter durch hohe Subventionen künstlich noch niedrig gehalten werden. Aber - und das zeigen die jüngsten Preiswellen - man war an einem Punkt eingelangt, ein dem die Plan- Bürokraten nicht mehr anders konnten als den Konsumenten einen realistischen Preis abzuverlangen.

Allen voran sind es die Ungarn, die der wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen versuchen: Mit der ungewöhnlich weitreichenden Teuerungswelle dieses Jahres versucht Budapest die subventionierten Verbraucherpreise abzubauen und die Nachfrage über den Preis zu regulieren.

Während die Ungarn für ihre restriktiven Maßnahmen einen gewissen Ausgleich in Form von höheren Löhnen geschaffen haben, ist das in anderen Comecon-Ländern fast gar nicht möglich: Es gibt in ihnen schon zuviel Kaufkraft, für die keine Ware vorhanden ist.

In Polen und in Rumänien wirkt zudem noch ein anderes - zeitgeschichtlich motiviertes - Trauma bei allen Überlegungen und Plänen über Preiserhöhungen mit: Als Polens Parteichef 1976 ohne Vorwarnung eine Erhöhung verschiedener Grundnahrungsmittel zwischen 30 und 100 Prozent verfügte, gingen die Arbeiter der Industriestädte Ursus und Radom auf die Barrikaden. Angesichts einer niedergebrannten KP-Zentrale in Radom und unter dem stärker werdenden Druck der Demonstranten nahm Warschau die Preiserhöhungen zurück.

1977 streikten mehr als 30.000 Bergarbeiter im rumänischen Schilltal, die die miserable Versorgungslage und die niedrigen Löhne und Renten nicht mehr länger hinnehmen wollten. Ceaucescu persönlich mußte die aufgebrachten Bergarbeiter beschwichtigen. Die Frage des Lebensstandards ist in der rumänischen Politik seitdem zunehmend berücksichtigt worden.

Gerade die polnischen Ereignisse von 1976 und die rumänischen von 1977 zeigen aber auch eines: Daß die Bevölkerung der kommunistischen Staaten Osteuropas auf wirtschaftliche Verschlechterungen äußerst empfindlich reagieren. Sie werden es wohl kaum in Kauf nehmen, daß das ohnehin recht dünne Konsumpolster - von dem sie sich eigentlich erwarten, daß es dicker wird - wieder dünner wird.

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