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Osteuropas Bauern drängen in die EG

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Die Kollektivierung der Landwirtschaft Osteuropas hat sich als Fehlschlag erwiesen: Am augenfälligsten zeigt sich das Fiasko der Sozialisierung darin, daß selbst ehemals bedeutende Agrarregio-nen heute zur Ernährungssicherung auf Importe angewiesen sind. Dies in einer Zeit, in der sich die Bauern Westeuropas nur mit Mühe wachsender Agrarüber-schüsse erwehren können.

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Die Kollektivierung der Landwirtschaft Osteuropas hat sich als Fehlschlag erwiesen: Am augenfälligsten zeigt sich das Fiasko der Sozialisierung darin, daß selbst ehemals bedeutende Agrarregio-nen heute zur Ernährungssicherung auf Importe angewiesen sind. Dies in einer Zeit, in der sich die Bauern Westeuropas nur mit Mühe wachsender Agrarüber-schüsse erwehren können.

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Gemessen an westeuropäischen Standards werden im Agrarsektor der Oststaaten Ressourcen verschwenderisch eingesetzt, das Produktionsergebnis ist mäßig und die Produktivität niedrig. Schwere Mängel und Probleme gibt es auch in den nachgelagerten Bereichen wie Transport, Lagerung, Kühlung, Be- und Verarbeitung und Verteilung der Agrarpro-dukte bis hin zu den Verbrauchern. Hohe Verluste und Qualitätseinbußen sind die Folgen. In der ehemaligen Sowjetunion gehen etwa 20 bis 30 Prozent der Getreideernte verloren, mehr als der gesamte Importbedarf. Bei den leichter verderblichen Erzeugnissen Obst, Gemüse und Kartoffeln werden die Verluste auf etwa 40 Prozent geschätzt.

Im Agrar- und Ernährungssektor erweist sich der Übergang zur Marktwirtschaft als besonders schwierig. Zentrale Fragen sind die Entzerrung des Preissystems verbunden mit ei- , nem Abbau der hohen Stützungen, die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse am Boden und an den Betriebsmitteln, der Aufbau neuer Betriebsstrukturen sowie die Schaffung von Rahmenbedingungen, die die Entfaltung einer wettbewerbsorientierten Landwirtschaft ermöglichen.

Prognosen über den möglichen Erfolg der Agrarreformen in den Oststaaten bleiben letztlich Spekulation. Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es keinen plausiblen Grund, warum das hohe natürliche Potential dieser Länder in Zukunft nicht besser genutzt werden könnte. Die größten Reserven haben die ehemalige UdSSR, Rumänien und Polen. Sie verfügen über gute Voraussetzungen, wieder bedeutende Agrarproduzenten zu werden.

Gelingen die Reformen, dann werden die Oststaaten weniger Agrarwa-ren importieren und zunehmend in den Export drängen. Der naheliegendste Absatzmarkt für Agrarwaren aus dem Osten ist Westeuropa. Einige Länder, darunter der traditionelle Agrarexporteur Ungarn, aber auch Polen und die CSFR, bemühen sich jetzt schon auf diesen kaufkräftigen Märkten Fuß zu fassen beziehungsweise ihre Stellung auszubauen.

Der Angebotsdruck aus dem Osten wird zunehmen. Dies auch deshalb, weil diese Länder in der Erzeugung von Agrarwaren am ehesten international wettbewerbsfähig sind und dringend Devisen benötigen. Der von Überschüssen geplagten westeuropäischen Landwirtschaft wächst damit im Osten eine neue, aggressive Konkurrenz heran.

Wichtige Wettbewerbsvorteile der Osteuropäer im Agrarhandel sind billige, reichlich verfügbare Arbeitskräfte und günstige natürliche Voraussetzungen für die landwirtschaftliche Erzeugung. Ihre Nachteile sind oft niedrige Qualität, veraltete Technologien, ein unzureichendes Management, geringe Marktkenntnisse, fehlende Flexibilität und mangelnde Erfahrung in der Vermarktung. Ostwaren haben zudem in Westeuropa ein schlechtes Image. Die Stärken der westeuropäischen Ernährungswirtschaft sind ihr technologischer Vorsprung, ein effizientes Management, Flexibilität, qualifizierte Arbeitskräfte, hohe Qualität, Innovation und Erfahrung im Marketing. Westwaren haben in den Oststaaten generell ein positives Image; dies gilt im besonderen Maße für Nahrungsmittel.

Billige Arbeitskräfte, günstige natürliche Voraussetzungen und aufnahmefähige Teilmärkte bieten westlichen Unternehmen Anreize, im Osten in die Nahrungsmittelverarbeitung, teils auch in die Agrarproduktion zu investieren. Die Kombination von westlichem Management, Know-how, Technologien und Marketingerfahrung mit niedrigen östlichen Lohnkosten erlaubt in vielen Fällen ein sehr wettbewerbsfähiges Angebot, das auch auf die westeuropäischen Märkte drängen wird.

Wie weit jedoch Agrarwaren aus dem Osten in Westeuropa tatsächlich Fuß fassen können, wird letztlich von der Handelspolitik entschieden. Die westeuropäischen Märkte sind derzeit noch gegen die billige Ostkonkurrenz gut abgeschirmt. Allerdings wächst der Druck zugunsten substantieller Konzessionen.

Die EG hat Ende 1991 Polen, Ungarn und der CSFR im Rahmen der „Europaverträge" eine begrenzte Marktöffnung zugestanden. Mit den EFTA-Staaten, unter anderem auch Österreich, wird derzeit darüber verhandelt. Die angestrebte Liberalisierung des Agrarhandels im Rahmen des GATT würde die Position derOst-staaten auf den Westmärkten wesentlich stärken. Westeuropa kann der neuen Konkurrenz aus dem Osten nicht ausweichen. Der politische und wirtschaftliche Druck zur Öffnung seiner Märkte wird weiter steigen. Um die davon drohenden Verluste zu minimieren, muß die Emährungswirtschaft ihre Stärken betonen. Produktdifferenzierung, Innovation, Konzentration auf Qualität und damit dasobere Preissegment sind oft zitierte Kernpunkte einer Offensivstrategie die auch danach trachten wird, ihren Vorsprung im Marketing voll auszuspielen. Daneben ist zu überlegen, die Präsenz auf den Ostmärkten durch den Aufbau eigener Produktionen beziehungsweise Beteiligungen an bestehenden Unternehmen auszubauen. Teils werden auch Exporte hochwertiger Erzeugnisse möglich sein.

Der österreichische Agrarhandel mit den Oststaaten war bisher in etwa ausgeglichen. 1991 gingen rund 26 Prozent (4,2 Milliarden Schilling) der Exporte nach dem Osten; von den Agrarimporten entfielen 11,5 Prozent (vier Milliarden Schilling) auf Lieferungen aus Oststaaten. Damit konnte das bestehende Potential der Handelsbeziehungen bei weitem nicht ausgeschöpft werden. Der wichtigste Abnehmer österreichischer Agrarwaren war 1991 Polen, gefolgt von Jugoslawien und Ungarn. Auf der Importseite dominierte Ungarn, gefolgt von Polen, der CSFR und Jugoslawien.

Die österreichische Emährungswirtschaft geriet durch die Liberalisierung in Osteuropa in eine ähnliche Position wie jene Westeuropas. Durch die geographische Nähe und die traditionell guten Kontakte Österreichs zum Osten werden die aufgezeigten Tendenzen sowie auch die sich abzeichnenden Chancen und Risken noch akzentuiert.

Der Autor ist Agrarexperte des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung(WIFO) in Wien.

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