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Osteuropas „Kampf an der Erntefront6 6

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„Schlacht um das Getreide”; Neue Erfolge an der ,,Erntefront”; „Kampf ums Brot” - geradezu martialisch berichten Ostblock-Massenmedien derzeit über die Einbringung der Ernten in ihren Ländern.

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„Schlacht um das Getreide”; Neue Erfolge an der ,,Erntefront”; „Kampf ums Brot” - geradezu martialisch berichten Ostblock-Massenmedien derzeit über die Einbringung der Ernten in ihren Ländern.

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Daß der Ton so kriegerisch ist (bei einem so friedlichen und nützlichen Geschäft) darf freilich nicht verwundern: Die einstigen „Kornkammern” in Ost- und Südosteuropa haben sich unter dem kommunistischen System fast durchgängig zu Getreide-Importländern entwickelt. Dies bringt die ohnehin mit schweren Problemen und Westverschuldung ringenden Volkswirtschaften noch mehr ins Schleudern.

In der DDR, wo derzeit kaum ein Tag ohne neuen Bericht über die Situation in der Ernteschlacht vergeht, stagnieren die Erträge pro Hektar seit längerer Zeit. Das hat im vergangenen Jahr Getreide-Importe im Wert von einer Milliarde D-Mark erzwungen - zu bezahlen in harten Devisen. Denn die UdSSR, früher Hauptgetreidelieferant für die DDR, steuert heuer ihrer vierten Mißernte hintereinander entgegen.

Kein Wunder, daß SED-Chef Erich Honecker dem Getreideproblem die gleiche Dringlichkeit wie der Erdölversorgung zumißt und von der „strategischen Bedeutung” verringerter Importe durch gesteigerte Eigen-Erträge die Rede ist—hat doch die DDR eine höhere Pro-Kopf-Verschuldung als Polen. Im vergangenen Planjahrfünft lag die Abhängigkeit der DDR von Importen bei 28,2 Prozent (zum Vergleich die UdSSR, dort betrug sie etwa 20 Prozent).

In Polen wird, folgt man der offiziellen Presse, gegenwärtig ein „Kampf ums Brot geführt, der gewonnen werden muß, weil es einfach keinen anderen Ausweg gibt”.

Trotz der heurigen Trockenheit wird man von einer etwas vergrößerten Gesamtanbaufläche rund 20 Millionen Tonnen in die Scheuer fahren können, geringfügig mehr als im vorigen Jahr. Die Importe werden heuer — laut Plan — um das Fünffache verringert werden.

Von 1976 bis 1981 mußte ja Polen im Westen 37 Mio. Tonnen Weizen und 8 Mio. Tonnen Futtermittel einkaufen. Die Kredite, die dafür aufgenommen worden sind, machen heute mehr als ein Drittel der polnischen Schulden bei den westlichen Banken aus.

So gesehen ist der „Kampf auf den Feldern”, der übrigens auch von Soldaten in Uniform bei „freiwilligen” Hilfseinsätzen bei den Privatbauern geführt wird, einer der wichtigsten für General Jaruzelski.

In der CSSR, wo man im letzten Jahr bei der Getreide-Ernte mit 1,6 Mio. Tonnen unter den Planzielen geblieben ist, zählt man geradezu ängstlich und panisch jede eingebrachte Tonne. Wenn man nämlich nicht die angepeilten elf Mio. Tonnen Getreide wird einbringen können, so die Zeitung „Rolnicke Noviny”, ”dann muß das weitreichende Konsequenzen für die Balance am Binnenmarkt und für die gesamte wirtschaftliche Situation haben”.

Der pessimistische Unterton ist leicht erklärt: Die in immer größere Schwierigkeiten trudelnde CSSR-Volkswirtschaft und auch die ideologisch-grundsätzlichen Bedenken der Dogmatiker in der Prager Führung erlauben es nicht, harte Devisen für Getreide-Importe flüssigzumachen.

Schon die Importe der 1,6 Mio. Tonnen im Vorjahr waren groß-teils nur durch den Rückgriff auf Devisen-Reserven möglich. Wenn heuer, wie die USA prognostizieren, wieder um eine Million Tonnen zu wenig geerntet werden wird, werden zunehmende Versorgungsschwierigkeiten und eine Verringerung des Viehbestandes in der CSSR unumgänglich sein.

Rumänien, das im vergangenen Jahr mit 3,7 Mio. Tonnen unter den (ehrgeizig gesetzten) Planzielen bei der Getreideernte blieb, hat seine Massenmedien zwar wiederum mit Frontberichten von der Ernteschlacht „bereichert”, doch fehlen heuer konkrete Prognosen und läßt sich noch kein Gesamtbild gewinnen. Ähnlich wie in Polen geht es aber auch in Rumänien um „Sein oder Nicht-Sein”.

Getreide-Importe sind auf Grund der angespannten Devisen-Situation und Verschuldung nicht möglich, die Lebensmittelknappheit begünstigt politische Gärung.

Im RGW-Bereich können derzeit nur Ungarn und Bulgarien mit ausreichenden Ernten rechnen. Die Magyaren haben gute Chancen, das ehrgeizige Planziel von 14,2 Mio. Tonnen Getreide und Futtermittel heuer zu erreichen (1980 waren es 13,8 Mio. Tonnen gewesen, 1981 12,7 Mio. Tonnen). Damit dürfte der geplante Export von einer Million Tonnen Weizen und Mais sein Scherflein zur Stabilisierung der Außenhandelsbilanz beitragen. Ähnliches gilt für Bulgarien.

Das blockfreie Jugoslawien, das ebenfalls derzeit fast jeden Tag Meldungen, Reportagen und Statistiken über den aktuellen Stand der Ernte verbreitet, scheint nach offiziellen Angaben den für heuer geplanten Ertrag von 15,5 Mio. Tonnen einbringen zu können.

Dies reicht jedoch nicht aus, die — so die Belgrader „Politika” -„Stabilisierung und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Landes zu sichern”. Denn erst bei einer Produktion von 20 Mio. Tonnen jährlich würde der inländische Bedarf völlig abgedeckt sein.

Was Jugoslawiens „grünem Plan” und seiner Verwirklichung entgegensteht, hat erst jüngst die Parteiführung in Zagreb festgestellt: Ungenutzte Flächen, nicht zweckmäßige Nutzung, Spekulation, Mißbrauch und unerfüllte Pflichten sowie mangelnde Mechanisierung und Ersatzteilschwierigkeiten.

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