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Otto Wagners Erben

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Wie weit muß Denkmalschutz bei technischen Zweckbauten gehen? Eine neunzig Jahre alte Wiener Stadtbahnbrücke erhitzt derzeit, Denkmalschützer, Architekten, Techniker und Bürger.

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Wie weit muß Denkmalschutz bei technischen Zweckbauten gehen? Eine neunzig Jahre alte Wiener Stadtbahnbrücke erhitzt derzeit, Denkmalschützer, Architekten, Techniker und Bürger.

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Wiens Stadtväter neigen dazu, den Ausbau des U- Bahn-Netzes einerseits durch den Bau völlig neuer Linien (bisher Ul, demnächst U3), anderseits durch Umbau bzw. Erweiterung bestehender Linien (bisher U2 und U4, demnächst U6) voranzutreiben, um möglichst rasch auf möglichst viele U-Bahn-Kilome- ter verweisen zu können.

Nun erregt die geplante Umstellung einer bestehenden Linie die Gemüter. Im Zuge der Umwandlung der Stadtbahn-Gürtellinie in die U6 drohen der von Otto Wagner, dessen Todestag sich am 11. April zum 65. Mal jährte, entwor-

fenen Brücke zwischen den Stationen Gumpendorfer Straße und Meidling-Hauptstraße Veränderungen, wenn nicht Abbruch.

Wiens Stadtplanung sieht nämlich vor, daß die von Heiligenstadt kommende U6 nach der Gumpendorfer Straße die alte Route verläßt, bei einer neu zu bauenden Station Längenfeldgasse das Niveau der U4 erreicht (Umsteigemöglichkeit), dann den Bezirk Meidling quert und vorläufig bis zur Philadelphiabrücke, später sogar bis Siebenhirten geführt wird.

Das Problem dabei ist nur, daß sich just zwischen Gumpendorfer Straße und Längenfeldgasse ein das Stadtbild prägendes, unter Denkmalschutz stehendes Bauwerk befindet, die 90 Jahre alte Stadtbahnbrücke von Otto Wagner, die die neue Linienführung kaum unbeschadet überstehen dürfte.

Um eine optimale Lösung im Sinne einerseits des Denkmalschutzes und anderseits der Erfordernisse des geplanten U- Bahn-Betriebes zu finden, wurde im Vorjahr ein Wettbewerb aus geschrieben. Anfang März verkündete die Jury, daß die optimale Lösung nicht zu finden war. Daher wurde kein erster Preis vergeben.

Einen zweiten Preis erhielt der zur Weiterverfolgung empfohlene Entwurf Heintz-Requat-Rein- thaler-Traxler, der auf eine möglichst getreue Rekonstruktion der alten Brücke mit modernen Materialien abzielt.

Ebenfalls einen zweiten Preis bekam das Projekt Schäfer-Kotz, das keine Kopie der alten Brücke anstrebt, sondern die alten Pfeiler weitgehend wiederverwenden, aber mit einem neu gestalteten ■Tragwerk versehen will (Bild oben). Auf jeden Fall müssen die Pfeiler geringfügig versetzt werden. Das Tragwerk muß Statikern zufolge erneuert werden, um der U-Bahn-Belastung gewachsen zu sein, aber auch tiefer gelegt werden, um bei der Längenfeldgasse bereits das Niveau der U 4 zu erreichen.

Formal war die Jury sicher im Recht, als sie zwei Projekte ablehnte, die nicht der Forderung nach Niveaugleichheit von U4 und U6 im Bereich Längenfeldgasse entsprachen. Nach diesen Entwürfen bliebe allerdings die Otto- Wagner-Brücke komplett erhalten. Die Längenfeldgasse wäre dann eine zweistöckige Station wie viele andere auch, mit Rolltreppen und Liften zum Umsteigen.

Hier aber setzt die Kritik der österreichischen Gesellschaft für Architektur, ausgedrückt in ei-

nem offenen Brief an Bürgermeister Leopold Gratz, und des österreichischen Kunstsenates, erkennbar in einer Diskussion in der Akademie der Bildenden Künste, an. Die Ausschreibung des Wettbewerbes habe Projekte zur Erhaltung der Brücke ausgeschlossen. Die Erhaltung müsse aber Vorrang vor dem Abreißen und Wiederaufbauen in mehr oder weniger ähnlicher Form haben.

Während Wiens Planungsstadtrat Rudolf Wurzer Ausschreibung und Entscheidung der Jury verteidigt, will Kulturstadtrat Helmut Zilk bis zu den Wahlen schweigen, macht aber „kein Hehl daraus, zu jenen zu gehören, die für die Erhaltung der Brücke sind“. Für die Erhaltung sei auch die Wiener ÖVP, erklärt deren Landtagsabgeordneter Peter Mayr.

Für Mayr stellen sich nach dem Wettbewerb vier Fragen: Wann wird überhaupt der erste „Sil berpfeil“, also U-Bahn-Zug, über die bis auf weiteres als Stadtbahn (mit Oberleitung) betriebene U-6-Trasse fahren? Wie lange hält das gegenwärtige Tragwerk noch? Wie viele Häuser und Leute wären in Meidling davon betroffen, wenn bei Erhaltung der Brük- ke ab der dahn zweistöckigen Station Längenfeldgasse eine neue Linienführung nötig wird? Wieviel Zeit geht durch eine Umplanung verloren?

Der Wettbewerbszweite Friedrich Schäfer findet, daß der Standpunkt des Ingenieurs gegenüber dem des Architekten in der Diskussion zu kurz kommt. Er hält einen sturen Denkmalschutz bei einem technischen Zweckbau für falsch und zitiert Otto Wagner („Die Baukunst unserer Zeit“): „Die künstlerische Durchbildung von Brücken wird daher in den meisten Fällen nichts als betonte Brückenköpfe und ein reicher ausgestattetes Brückengeländer zu zeigen haben.“

Im Bundesdenkmalamt ist man offenbar an einer neuerlichen Prüfung jęner Projekte interessiert, die auf Erhaltung der Brük- ke hinauslaufen. Würde nun eine zweistöckige Station Längenfeldgasse eine Brücke über die Schönbrunner Straße erforderlich machen? Keineswegs, meint Architekt Hermann Czech, dessen Projekt beim Wettbewerb scheiterte, die U6 könnte trotzdem vor der Schönbrunner Straße „untertauchen“.

Das letzte Wort in dieser Angelegenheit dürfte noch lange nicht gesprochen sein. Der Wettbewerb hat mit Sicherheit nur eines geklärt: die zeitweise herumgeisternde Schnapsidee von zwei Brücken nebeneinander (eine als Denkmal, eine als moderne Ver- ‘;ehrsverbindung) ist tot.

Dagegen hatte sich vor allem uch der Wiener Mittelschulprofessor und Geschäftsführer des „Instituts für Österreichkunde“, Hermann Möcker, engagiert, der sehr fundierte Vorschläge zur Wiener Verkehrsplanung vorgelegt hat. Für ihn ist die U6 gar nicht so dringend, sondern eher eine Stadtbahnverbindung (also vorläufig mit Oberleitung) von der Gumpendorfer Straße zum Matzleinsdorfer Platz und weiter über den dort schon vorhandenen Straßenbahntunnel Richtung Südbahnhof. Diese Verbindung wurde schon von Otto Wagner vorgesehen, Bürgermeister Gratz strebt in diesem Bereich bekanntlich einen Straßentunnel an. Eine Umsteigmöglichkeit von dieser Linie zur U4 wäre im Bereich Margaretengürtel vorzusehen.

Wann fährt die U-Bahn?

Möckers Konzept sieht eine Stadtbahnlinie Gl von Heiligenstadt bis zum Südbahnhof (in fernerer Zukunft vielleicht noch weiter nach Erdberg) und eine Stadtbahnlinie G2 von Floridsdorf über 20. Bezirk, Gürtel, Otto-Wagner- Brücke (unverändert und ohne- Station Längenfeldgasse) und die geplante U-6-Trasse vor. Die Umstellung auf U-Bahn-Betrieb und Verlängerung bis Siebenhirten wird allerdings nicht nur nach Meinung Möckers noch längere Zeit auf sich warten lassen.

Bis dahin wird wohl noch viel Wasser den Wienfluß unter der Otto-Wagner-Brücke hinunterfließen.

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