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Packung o.k., Pille falsch
Die Lasche ist vielleicht abgerundet statt eckig. Der Farbton der Packung spielt leicht ins Rötliche. Wer weiß das schon so genau? Die Herstellerangabe stimmt. Aber das Medikament ist falsch.
109 Kinder starben zum Beispiel im September in Nigeria. Die Ärzte hatten ihnen das aspirinähnliche Paracetamol verschrieben. Das Lösungsmittel des Sirups war jedoch nicht verträgliches Propylen-Glykol, sondern giftiges Diethylen-Glykol.
In Nigeria sind Fälschungen von pharmazeutischen Produkten an der Tagesordnung. Nur bei einem Drittel der erhältlichen Medikamente sei in der Packung tatsächlich enthalten, was daraufsteht, zitierten die „Roche Nachrichten" Emil Es-sien, Pharmazieprofessor an der Universität Lagos.
Erhard P. Geisler, Geschäftsführer der Pharming, einer freiwilligen Interessenvertretung der Pharma-hersteller, will nicht ausschließen, daß auch Österreich von dieser Kriminalität erfaßt werden könnte.
Doch die Hürden sind hoch. Das österreichische Arzneimittelgesetz garantiert hohe Arzneimittelsicherheit. Nach dem Antrag auf Zulassung beim Gesundheitsministerium durchläuft jedes neue Medikament ein aufwendiges Prüfverfahren, das mehrere Millionen Schilling kosten kann. Hersteller und Inhaltsstoffe müssen genauestens genannt werden. Erst wenn Verträglichkeit und Nebenwirkungen feststehen, erhält das Medikament eine Registriernummer, mit der es für den österreichischen Markt zugelassen wird. Importe müssen über einen inländischen Depositeur abgewickelt werden, der für die einwandfreie Qualität haftet. In den meisten Fällen ist es eine Niederlassung der Herstellerfirma.
Der Pharmavertrieb läuft über einige wenige große Unternehmen, die großteils direkt bei diesen Vertretungen kaufen. Sofern sie doch Arznei waren direkt importieren, hat ein Herstellerzertifikat detaillierte Information über Bezugsquelle und Ware zu garantieren. Sollte eine entsprechend aufwendige Fälschung dieses Kontrollsystem jedoch unterlaufen, so besteht wenig Chance, dies zu entdecken. Sollten Packung, Kontrollnummer und Herstellerzertifikat exakt gefälscht sein, ginge „das Medikament bis zum Patienten", so Geisler.
Der Importeur ist zwar verpflichtet, von jeder Warensendung Proben zurückzuhalten und mehrere Jahre aufzubewahren, doch chemische Stichproben werden normalerweise nicht gezogen. Die Arzneimittelkontrolle des Gesundheitsministeriums nimmt zwar chemische Analysen vor, jedoch erfolgt dies sporadisch oder im Anlaßfall.
Ärzte, Apotheker und Zulassungsinhaber unterliegen einer strengen Meldepflicht für jeden Zwischenfall. Deshalb kann Renate Pichler, die zuständige Beamtin der Arzneimittelüberwachung (Sektion Volksgesundheit), bis heute Fälschungen auch ausschließen. Freilich gebe es wenig Möglichkeit, einen solchen Fall zu entdecken, bevor ein Patient betroffen sei. „Wir erhalten jedoch immer wieder Telegramme aus dem Ausland, die auf solche Vorkommnisse aufmerksam machen."
Meist sind es bekannte Arzneien, die als Fälschungen auftauchen: das Herzmittel Selokeen, Adriamicin gegen Leukämie, Fansidar gegen Malaria. Mitte letzten Jahres entdeckte Hersteller Hoffmann-La Roche, ebenfalls in Nigeria, Fansidar-Tabletten, die zwar gegen Typhus und Salmonellenerkrankungen geholfen hätten, jedoch ausgerechnet nicht gegen das tödliche Malariafieber.
Es war nicht der erste Fall. Deshalb will der Schweizer Konzern in Zukunft eng mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammenarbeiten, um die Fälschungen einzudämmen. Die gleiche Absicht hat der britische Hersteller Glaxo geäußert. Die WHO ist in immer größerem Ausmaß mit den Folgen dieser Vorfälle konfrontiert.
Wer sind die Täter? Vom kleinen Apotheker in Thailand bis zum high-tech Produzenten in Griechenland oder der Türkei ist alles vertreten. Das US-Nachrichtenmagazin „Newsweek" vermutet, Italien könnte vielleicht ein Zentrum der weltweiten „Pillen-Piraterie" sein, hinter der vermutlich das organisierte Verbrechen steht.
Bis 1978 wurden in Italien keine internationalen pharmazeutischen Patente registriert. Einige Firmen der chemischen Industrie gingen einfach dazu über, bekannte Arzneien für den Export „nachzubauen". Denn Medikamentenfälschung ist ein einträgliches Geschäft. Mit geringen Investitionen werden enorme Profite erzielt.
Oft sind jene Länder, die Patente nicht anerkennen, die Ursprungsländer der Falsifikate. Etwa Indien oder Thailand. „Versorgt" werden vor allem Schwellen- und Entwicklungsländer Afrikasund Asiens. Für den Import von Arzneimitteln notwendige Devisen fehlen. Engpässe werden von skrupellosen Händlern genützt. Inoffiziell bezogene Phar-mazeutika werden im Schatten fehlender Gesetze und untätiger Gesundheitsbehörden ganz offiziell verkauft. Die hohen Preise westlicher Produkte - sie kosten oft bis zu viermal mehr als ihre Imitationen -und die fehlende Kaufkraft der Bevölkerung sorgen für ungebremste Nachfrage.
Doch selbst die USA haben in wachsendem Ausmaß mit solchen Vorkommnissen zu kämpfen. Auch Europa bleibt keineswegs verschont, betroffen sind die Niederlande, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und die Schweiz.
Der österreichische Markt ist für Pharmaf älscher allerdings eher uninteressant. Neben geringen Absatzmengen besteht ein wesentlich niedrigeres Preisniveau als in vielen anderen europäischen Ländern, eine Kommission setzt den volkswirtschaftlich gerechtfertigten Preis fest, die Krankenkassen verstärken den Preisdruck. Absolute Barrieren gegen Fälschungen sieht Franz Zeidler, Generaldirektor der Arbeitsgemeinschaft der pharmazeutischen Großhändler (ARGE Phar-mazeutica), jedoch darin nicht.
Eine Schwächung der hohen österreichischen Arzneimittelsicherheit befürchtet Herstellervertreter Geisler durch einen EG-Beitritt. Im Sinne des freien Warenverkehrs könnte dann ohne weiteres ein griechischer Großhändler in Österreich zugelassene Medikamente liefern.
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