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Päpstlicher als der Papst ?

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Es ist ein etwas merkwürdiges Jubiläum, auf das die historischen Kalender für den Juni 1972 aufmerksam machen: Auf Betreiben Bismarcks wurden die sogenannten Jesuitengesetze für das Deutsche Reich beschlossen und erhielten durch Verkündigung am 4. Juli 1872 Rechtskraft. Das Gesetz besagte, daß der Jesuitenorden und die ihm verwandten Redemptoristen, Lazari-sten, die Priester vom heiligen Geist und die Gesellschaft vom heiligsten Herzen Jesu für das ganze Reichsgebiet verboten, ihre Niederlassungen aufgelöst und Widersprüche gegen dieses Gesetz unter Strafverfolgung gestellt würden. Die Aufregung war ungeheuer, nicht nur bei den Katholiken, nicht nur in Deutschland und Europa, sondern in der ganzen zivilisierten Welt. Bismarck mußte feststellen, „daß die Stimmung innerhalb des Deutschen Reiches auf dem Gebiete des konfessionellen Friedens eine getrübte ist". Gleichwohl wollte er den Kampf. In der Rede vor dem Deutschen Reichstag am 14. Mai 1872 hatte er ausgerufen: „Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig."

Seither steht das Wort — „nach Canossa gehen wir nicht" — unter Büchmanns „geflügelten Worten" und ist weltberühmt geworden.

Man muß das Jesuitengesetz im Zusammenhang mit dem sogenannten Kulturkampf sehen, der gleich nach der Reichsgründung von 1871 begann. Bismarcks Tat, die Gründung des Deutschen Reiches als Folge des militärischen Sieges über Frankreich, stand unter dem Zeichen einer Gegengründung zum alten Deutschen Reich. Das stammte aus dem Mittelalter und hatte unter einer katholischen Dynastie gestanden. Das neue Reich wurde von Preußen majorisiert, und das Herrscherhaus war evangelisch. So kam es gleich nach der Proklamation des Reichs zur Gründung einer katholischen Partei, die auf den Namen „Zentrum", die Bezeichnung für die katholische Fraktion im alten preußischen Landtag, zurückgriff.

Die Gründung einer konfessionellen Partei war in der europäischen Parlamentsgeschichte bis dahin unbekannt. Bismarck witterte in ihr den Hort der Opposition gegen seine kleindeutsche Politik, gegen den Vorrang Preußens, und obendrein sah er sie als Partisanin des soeben durch das erste Vatikanische Konzil gestärkte Papsttum. Er beschloß, den Kampf aufzunehmen. Die katholische Abteilung des Kultusministeriums wurde aufgehoben, die Aufsicht über die preußischen Schulen wurde den Kirchen genommen und dem Staat übergeben. Im November

1871 wurde ein Kanzelparagraph beschlossen, der den Geistlichen verbot, politische Meinungen zu vertreten, und dann kam das Jesuitengesetz. Es war die Maßnahme mit der größten Wirkung. Der Orden war wissenschaftlich und pädagogisch eine Großmacht, und die Reaktion der Gegner, des liberalen Bürgertums, zeigte, daß man mit dem Verbot der Jesuiten dem Katholizismus eine Niederlage beigebracht zu haben glaubte.

Es sollte aber anders kommen: Bei den nächsten Wahlen erhöhte das Zentrum die Zahl seiner Abgeordneten von 58 auf 100. Damit war die katholische Partei der entscheidende Faktor des Deutschen Reichstags geworden. Man konnte nur gegen sie oder mit ihr regieren — und daraus zog das Zentrum seine Folgerungen. Es zeigte sich, daß es infolge des konfessionellen Prinzips Anhänger in allen Teilen des Volkes hatte: beim Adel, beim Bürgertum, bei den Bauern und den Arbeitern. Es war die erste moderne Volkspartei.

Die Jesuiten waren Verfolgungen, Verboten und Beschlagnahmen ihres Eigentums gewohnt. Katholische Staaten wie Spanien haben den Orden zeitweise ausgewiesen. Ein Papst (Clemens XIV.) hat ihn auf politischen Druck sogar für einige Zeit aufgehoben. 1820 hatte Rußland die Jesuiten ausgewiesen, und in der Schweiz ist ihr Niederlassungsrecht bis in die jüngste Zeit beschränkt; erst jetzt soll der Jesuiten-Artikel der Verfassung aufgehoben werden. Auch England und die nordischen Staaten haben die Jesuiten jahrhundertelang nicht zugelasen. Das deutsche Verbot traf die Gesellschaft Jesu um so unerwarteter, als der preußische König Friedrich II. (der „Große") dem Orden sogar während seiner Aufhebung durch den Papst Zuflucht gewährt hatte. Während der Orden anfänglich glaubte, es handle sich um ein vorübergehendes Verbot, und er sich obendrein als Opfer einer umfassenden politischen Intrige Bismarcks gegen die Opposition und die „Ultramontanen", die Anhänger der Kurie, betrachtete, so zeigte die rasche Verschärfung des Kulturkampfs durch die Gesetze vom Mai 1773, daß es bitterernst wurde. Bismarck stellte fest, daß ehrliche preußische Gendarmen, mit dem Schleppsäbel an der Seite, sich bei der Jagd auf Soutanenträger lächerlich machten.

Der Orden zog die Konsequenzen. Die Masse seiner Mitglieder ging in die Nachbarländer. Die ordenseigenen Ausbildungsstätten wurden andern Orden oder dem Weltklerus übergeben. Auf keinen Fall aber gab der Orden seinen Anspruch auf Deutschland auf: Wie früher die englischen Ausbildungshäuser nach Belgien und Frankreich verlegt worden waren, verlegte die deutsche Provinz ihr Kloster, mit der ordenseigenen Universität und dem Priesterseminar, nach Holland, in die Provinz Limburg, in die kleine Stadt Valkenburg. Rasch entstand ein großes Kollegiatshaus, und hier wurde der deutsche Nachwuchs geschult.

Obwohl das Zentrum immer wieder versuchte, die Aufhebung der Jesuitengesetze im Reichstag zu erreichen, und obwohl Bismarck den Kulturkampf 1878/79 abklingen ließ, kam es erst 1904, unter dem Reichskanzler von Bülow, zu einer teilweisen Aufhebung des Verbots: Jesuiten deutscher Herkunft und mit deutscher Staatsangehörigkeit durften im Reich tätig sein. Das übrige Gesetz wurde erst während des ersten Weltkriegs, im April 1917, aufgehoben, und zwar im Zusammenhang mit der Reform des Preußischen Dreiklassenwahlrechts, zu der sich Wilhelm II. unter dem Druck der Verhältnisse gezwungen sah. Der Orden erhielt das Recht zur t Niederlassung und das Recht zum i Schulbetrieb — Rechte, mit denen i sich unter den Verhältnissen des

! ersten Weltkrieges wenig anfangen s ließ. Aber sie boten die rechtliche i Voraussetzung für die Freiheit der

■ Jesuiten und den raschen Wieder-t aufbau der Provinzen auf dem Bo-

■ den des Reichs in den zwanziger

■ Jahren.

Es gibt einen lateinischen Spruch, auf den sich die Jesuiten viel zugute halten. Er lautet: sint ut sunt, aut non sint. Das heißt: Sie sollen sein wie sie sind, oder sie sollen überhaupt nicht sein. Tatsächlich haben sich die Jesuiten im Laufe ihrer 400jährigen Geschichte, auch in der Einstellung zur Kirche und zum Papst, oft gewandelt. Damals, im 19. Jahrhundert, waren sie die Kerntruppe der katholischen Kirche, und daraus erklärt sich, daß Bismarck, das liberale Bürgertum und die Masse der deutschen Protestanten in den Jesuiten ihre ärgsten Gegner sahen, und wo es an sachlichen Argumenten fehlte, da erfand man die Legende von einer doppelten, falschen und verlogenen jesuitischen Moral. Nur so ist zu erklären, daß der Bann gegen die Gesellschaft Jesu im wilhelminischen Deutschland noch eine ganze Generation lang nach Beendigung des Kulturkampfs seine Gültigkeit behielt, und mit ihm die unterschwelligen Ängste, die Vorurteile und Verleumdungen, die während des Dritten Reiches in der von Ludendorff erfundenen Behauptung gipfelten, Juden und Jesuiten hätten eine Verschwörung gegen das Deutsche Reich angezettelt.

Abgesehen von den aktuellen Anlässen, hatten der Kulturkampf und die Vertreibung der Jesuiten ihren Grund in einer Uberspannung des klerikalen Prinzips. Es galt schon damals als unangebracht und es stand im Widerspruch zum Zeitgeist. Und wenn man heute sieht, daß die Jesuiten innerhalb der Kirche auf der anderen Seite des Feldes stehen, bei den Progressiven, so ist das eine Entwicklung, die uns ebenso zu denken geben muß wie die Verhältnisse vor hundert Jahren, als die Jesuiten päpstlicher als der Papst waren und sich dafür aus Deutschland vertreiben lassen mußten.

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