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Palästinenser-Problem: Diaspora auf arabisch

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Im Hauptquartier der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PÜO) muß es in den letzten Tagen und Wochen hoch hergegangen sein. Denn was sich da weltweit in der Nahostdiplomatie abgespielt hat, war Wasser auf ihre Mühlen und hat die PLO ihrem Ziel einige Schritte näher gebracht: internationale Anerkennung als die einzig rechtmäßige Vertretung des palästinensischen Volkes zu gewinnen.

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Im Hauptquartier der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PÜO) muß es in den letzten Tagen und Wochen hoch hergegangen sein. Denn was sich da weltweit in der Nahostdiplomatie abgespielt hat, war Wasser auf ihre Mühlen und hat die PLO ihrem Ziel einige Schritte näher gebracht: internationale Anerkennung als die einzig rechtmäßige Vertretung des palästinensischen Volkes zu gewinnen.

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Markiert diese Entwicklung auch einen Wendepunkt in dem über weite Strecken blutig geführten Kampf der PLO um internationale Anerkennung und um das Recht auf einen eigenen palästinensischen Staat, bleibt doch für alle an diesem Konflikt Beteiligten die Situation so verworren und unlösbar wie eh und je: Für die Palästinenser ebenso wie für die Israelis, für die arabische Welt ebenso wie für die Großmächte.

Dabei hängt es in erster Linie vom Palästinenser-Problem ab, ob es überhaupt jemals zu einem friedlichen Nebeneinanderleben zwischen Arabern und Israelis kommen kann. Denn vor allem der palästinensische Anspruch auf einen eigenen Staat hat die Region zum vielzitierten „Pulverfaß Nahost” werden lassen, und es ist ja auch immer wieder zu heftigen Explosionen gekommen.

Seit gut einem halben Jahrhundert stehen hier Krieg, Terrorüberfälle und Antiterroraktionen - etwa in Form von brutalen Bombenangriffen auf Flüchtlingslager - auf der Tagesordnung. Die jüngste Geschichte des Nahen Ostens - so scheint es - ist mit Blut geschrieben worden, überschattet von unendlichem menschlichen Leid und Elend.

Und die Leidtragenden sind in erster Linie die Palästinenser: die arabischsprechenden Bewohner Palästinas (siehe Stichwort), zwischen 3,5 und 4 Millionen Menschen, durch die nahöstlichen Kriegshandlungen in der ganzen Region verstreut, die meisten von ihnen Muslime, aber auch viele Christen darunter.

Heimatlos sind ein Großteil der Palästinenser seit 1948. Damals endeten die britischen Mandatsverpflichtungen über Palästina. Ins Spiel kam ein von einer politisch-juristischen UN- Sonderkommission ausgearbeiteter Plan, nach dem Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat geteilt werden sollte. Am 14. Mai 1948 wurde schließlich auch der unabhängige jüdische Freistaat Israel proklamiert

Die Palästinenser hingegen hatten sich dem UN-Teilungsplan von Anfang an widersetzt. Denn dieser Plan sah für den jüdischen Staat über 56

Prozent der Fläche des Mandatsgebietes Palästina vor, dagegen weniger als 44 Prozent für den arabischen und internationalen Teil. Und das, obwohl die arabischsprechende Bevölkerung zu jener Zeit noch mehr als zwei Drittel der Gesamtbevölkerung ausgemacht; über 90 Prozent des Bodens sich in arabischen Händen befunden hatten.

Der arabische Angriff, dem der israelische Unabhängigkeitskrieg von 1948 folgte, verschlechterte die Lage für die Palästinenser noch mehr: Den jüdischen Verbänden gelang es infolge der Kampfhandlungen, 77 Prozent des ehemaligen britischen Mandatsgebietes in ihre Hände zu bekommen und zu behaupten, darunter auch die Neustadt von Jerusalem. Jordanien annektierte Territorien westlich des Jordans (Cisjordanien), Ägypten den Gaza-Streifen.

Das Resultat der israelisch-jordanischen Kriege: Hunderttausende palästinensische Flüchtlinge leben heute verstreut in den arabischen Staaten - oder besser: sie vegetieren in Flüchtlingslagern in Jordanien, Libanon, Syrien, Gaza-Streifen und Cisjordanien - Brutherde auch für extremistische Ideologien aller Art, die in blutigen Terroraktionen Hoffnung auf eine bessere Zukunft verheißen.

Während des israelischen Unabhängigkeitskrieges von 1948 waren schätzungsweise über eine Million Palästinenser aus den arabischen und israelischen Gebieten geflohen. Der Sechstagekrieg von 1967, in dem die Israelis den Gaza-Streifen und Cisjordanien erobert hatten und seitdem besetzt halten, trieb 437.000 Palästinenser allein nach Jordanien.-

In Israel selbst leben heute noch 500.0 Palästinenser, in den von Israel besetzten Gebieten Cisjordanien und Gaza-Streifen rund 1,1 Millionen. (Was die Zahl der Palästina-Flüchtlinge in den arabischen Ländern betrifft, siehe obenstehende Graphik aus „New York Times”.)

Freilich, nicht alle von ihnen sind in Flüchtlingslagern untergebracht, und nicht alle zerfetzen in Guerilla- Ausbildungslagem mit auf sowjetischen Maschinengewehren aufge- pflanzten Bajonetten Strohpuppen, auf denen David-Sterne die vermeintlichen Opfer markieren sollen. Die andere Realität ist: Die Möglichkeiten der arabischen Gesellschaft ausnützend, haben sich die Palästinenser zur weitaus mobilsten Bevölkerungsgruppe entwickelt.

Sie haben in der arabischen Welt heute die höchste allgemeine Bü- dungsrate, sind akademisch am weitesten fortgeschritten, dominieren die Wirtschaft Jordaniens, sitzen in Schlüsselpositionen der syrischen Bürokratie, bilden das professionelle Rückgrat von Ölstaaten wie Kuwait und zählen zu den bedeutendsten Meinungsbildem im arabischen Medienwesen.

Gewissermaßen eine Ironie der Geschichte: Die Staatenwerdung Israels hat in der Folge die Diaspora der Palästinenser ausgelöst, die erstaunliche Parallelen zur Diaspora der Juden aufweist!

Was die PLO betrifft, handelt es sich um eine Dachorganisation, die aus vielen, recht unterschiedlichen Guerillagruppen zusammengesetzt ist, was aber nicht bedeutet, daß die PLO ausschließlich eine Bande rücksichtsloser Mörder ist, wie das Israels Premier Menachem Begin gerne darstell t.

Sicher, die PLO hat immer wieder zu Terrormaßnahmen als politisches Kampfmittel zurückgegriffen. Der PLO-Chef hat aber gerade in letzter Zeit auch bewiesen, daß man im PLO-Führungsteam mit allen Wasser der internationalen Diplomatie gewaschen ist- nicht zuletzt ein Resultat der Rückendeckung, die gemäßigte arabische Ölstaaten der Organisation gewähren.

Wichtig ist im Zusammenhang mit der jüngsten Entwicklung die Tatsache, daß diese einigermaßen einheitlich ausgerichtete Kraft der PLO, die nach außen gerichtete Diplomatie, durch die internationalen Erfolge an Boden gewonnen hat: Das kann gleichbedeutend sein mit einer Stärkung der gemäßigten Kräfte innerhalb der PLO, bei einem gleichzeitigen Zurückdrängen der radikal-militanten Strömungen - Pluspunkte für die Diplomatie gegenüber dem Terror!

Beigetragen haben dazu das Treffen Kreisky-Brandt-Arafat im Juli dieses Jahres, die Eröffnung eines PLO-Büros in Ankara und in absehbarer Zeit wahrscheinlich auch in Griechenland, Italien und Portugal, ebenso wie die Affäre um den amerikanischen UN-Botschafter Andrew Young, der sich heimlich mit einem PLO-Vertreter getroffen hatte und darauf zurücktreten mußte. Denn jetzt stellt auch ein Großteil der US- Bürger die Frage, warum die Vereinigten Staaten eigentlich nicht mit der PLO sprechen sollen.

Daß ein ‘ arabisch-israelischer Friede ohne PLO-Beteiligung an den .Verhandlungen nicht möglich ist, behauptet etwa der ehemalige US- Unterstaatssekretär George W. Ball, der eine breite Meinungsströmung innerhalb des State Departments repräsentiert: Ball glaubt, daß „die Vereinigten Staaten keine andere Wahl haben, als die gemäßigten PLO-Elemente in Friedensgespräche einzubeziehen”.

Aber selbst wenn die USA und unter ihrem Druck auch die israelische Regierung ihre Haltung gegenüber der PLO ändern und sie als Gesprächspartner anerkennen sollten, bleiben die Aussichten auf eine Lösung ‘ des Palästinenser-Problems äußerst spärlich. Die wesentliche Frage im Falle von Gesprächen: Wo sollten die naoh Palästina zurückkehrenden Araber leben?

• Im Gaza-Streifen und in Cisjordanien könnten schon auf Grund der geographischen Größe kaum Hunderttausende zurückkehrende Palästinenser einigermaßen zufriedenstellende Lebensbedingungen finden.

• Genausowenig könnte Israel die Heimkehrer aufnehmen. Die höhere Geburtenrate der Palästinenser würde die Israelis alsbald zu einer Minderheit im eigenen Staat werden lassen und damit das Konzept eines jüdisch-nationalen Staates völlig durcheinanderbringen.

• In Transjordanien leben allein schon über eine Million Palästinenser und stellen damit mehr als die Hälfte aller Einwohner dieses Territoriums. Jordanien wird kaum mehr Palästinenser aufnehmen können, hat ihre Anwesenheit die haschemi- tische Dynastie doch schon einmal an den Rand des Untergangs gebracht und in einen blutigen Krieg mit der PLO geführt.

Freilich, nicht alle Palästinenser würden ihre Positionen in der arabischen Welt aufgeben und in einen neugegründeten palästinensischen Staat zurückkehren. Aber ihre Lage in den arabischen Staaten wird immer unsicher bleiben. Denn sollte die eigene Bevölkerung in den arabischen Staaten einmal das Bildungsniveau der Palästinenser erreicht haben, würden diese wohl aus ihren wichtigen Positionen hinausgedrängt.

Ist also die Lösung des Palästinenser-Problems überhaupt nicht möglich? Gelöst werden kann es jedenfalls nur, wenn all die aufgeworfenen Fragen und Tatsachen bei der Konfliktlösung berücksichtigt werden. Sonst wird an das „Pulverfaß Nahost” immer Vonirgendeiner Seite her eine Lunte brennen …

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