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Palmes heißer Sommer

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Nach den letzten Wählerbefragungen, durchgeführt von einem Institut, dem man große Zuverlässigkeit nachsagt, haben in den Monaten März und April 4 Prozent der Gesamtwählerschaft, somit genau 10 Prozent der eigenen Wählerschaft, der Sozialdemokratie den Bücken gekehrt. Niemals zuvor hat die Arbeiterpartei innerhalb so kurzer Frist einen so schweren Rückschlag hinnehmen müssen. Mit nur 38,5 Prozent hat die Partei zum erstenmal wieder jenen Punkt erreicht, von dem aus sie in den zwanziger Jahren ihren Siegeszug angetreten hat.

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Nach den letzten Wählerbefragungen, durchgeführt von einem Institut, dem man große Zuverlässigkeit nachsagt, haben in den Monaten März und April 4 Prozent der Gesamtwählerschaft, somit genau 10 Prozent der eigenen Wählerschaft, der Sozialdemokratie den Bücken gekehrt. Niemals zuvor hat die Arbeiterpartei innerhalb so kurzer Frist einen so schweren Rückschlag hinnehmen müssen. Mit nur 38,5 Prozent hat die Partei zum erstenmal wieder jenen Punkt erreicht, von dem aus sie in den zwanziger Jahren ihren Siegeszug angetreten hat.

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Seit fast fünfzig Jahren haben Wahlen oder Wählerbefragungen anderer Art der schwedischen Arbeiterpartei niemals weniger als 40 Prozent der Stimmen zugesprochen; schon das Märzergebnis von nur 42,5 Prozent war für die Partei alarmierend, konnte sie doch zu diesem Zeitpunkt zusammen mit den Kommunisten nur über 46,5 Prozent der Wählerstimmen verfügen, während die drei bürgerlichen Oppositionsparteien 51 Prozent Sympathisanten gewinnen konnten. Nun steht nach der letzten Untersuchung das Verhältnis zwischen Rechts und Links 43 zu 54, und bis zur nächsten Wahl sind es nur noch vier Monate. Es bedürfte einer ganz außerordentlichen Anstrengung von Seiten der Arbeiterpartei, um — aus der Sicht Olof Palmes und seiner Parteifreunde — die Sache wieder ins Lot zu bringen. Es gibt jedoch nur wenige Beobachter, die glauben, daß sich die Kluft von elf Prozent in der kurzen noch verbleibenden Zeit überbrücken läßt, obwohl sich die Führung der Arbeiterpartei natürlich optimistisch gibt und Wirtschaftspläne diskutiert, deren Durchführung zehn Jahre und mehr erfordern würde.

Die Ursachen des Vertrauensverlustes liegen ziemlich klar zutage: die Durchsetzung eines umfassenden Kernkraftprogramms, das sogar von einer Mehrheit der eigenen Parteianhängerschaft abgelehnt wird, der Aufbau einer immer härter und rücksichtloser auftretenden Steuerbürokratie, die sich zu einem Staat im Staate entwickelt hat und auch unter den einfachen Bürgern auf tiefes Mißtrauen stößt (nicht zuletzt auch wegen ihrer völlig unberechenbaren Entscheidungen, die ebenso vernichtend hart wie auch erstaunlich milde und wohlwollend sein können!) — und neben all dem noch schwere Mißgriffe in der staatlich geleiteten Industrie, die schwedische Steuerzahler Milliardenbeträge kosten werden. Betrachtet man die Situation auf dem Arbeitsmarkt allein, dann schneidet hier die schwedische Regierung besser ab als die meisten anderen Regierungen in den industrialisierten Ländern, doch dieser Erfolg wurde mit einem Anschwellen des bürokratischen Apparates und einer Verstärkung der Staatsgewalt erkauft, die weit in sozialdemokratische Kreise hinein Bedenken erweckt haben. Waren es früher nur Randschichten der Anhängerschaft, die sogenannten Marginalwähler, die in Zeiten der Flaute die Partei verließen, so sind es jetzt überwiegend alte treue Parteimitglieder, die aus Protest zur Zenterpartei oder zu den Kommunisten abwandern. Trotz innerer Zersplitterung konnten nach der oben genannten Untersuchung die Kommunisten ihren Stand von 3,8 auf 4,5 Prozent erhöhen und damit wieder einmal die „Sperrzone“ überschreiten. Die Zenterpartei konnte von 19,5 auf 22,5 Prozent vorprellen. Was der schwedischen Sozialdemokratie nottut, ist zweifellos eine Zeit der Selbstbesinnung und der Regeneration in Oppositionsstellung.

Es gibt trotz allem Beobachter, die glauben, Olof Palme habe noch eine minimale Chance, bis zum 19. September den verlorenen Boden wiederzugewinnen. Der Schock des Untersuchungsergebnisses werde die Partei zwingen, alle Kräfte zu mobilisieren und auch den letzten früheren „Sofa-Wähler“ auf die Beine zu bringen. Die Gewerkschaftszentrale wird dazu zweifellos Mittel wie nie zuvor zur Verfügung stellen, und auch die Beamtenverbände neigen dazu, Olof Palme einem noch unerprobten Staatsmann aus den Reihen der jetzigen Opposition vorzuziehen. Der Zenterparteiführer Thorbjörn Fälldin würde als Leiter einer bürgerlichen Regierung noch akzeptiert werden, doch die etwaige Besetzung des zweitwichtigsten Postens in der Regierung, des Amtes des Außenministers, verursacht jetzt schon Kopfzerbrechen.

Es ist letzten Endes die mangelnde Geschlossenheit im bürgerlichen Lager und die daraus resultierende Unsicherheit in bezug auf seine Absichten, auf die sich heute noch die Hoffnungen der regierenden Arbeiterpartei stützen. Gerade im Hinblick auf die Kemkraftpolitik sind die bestehenden Gegensätze enorm. Die Zenterpartei verlangt die sofortige Beendigung aller weiteren Ausbauten und sogar den Abbruch der schon bestehenden Anlagen, die Konservativen aber unterstützen das Ausbauprograrhm der Arbeiterpartei und wollen es sogar noch von 13 auf 19 Kraftwerke erweitern. Hier eine verbindende Brücke zu finden, scheint nahezu unmöglich zu sein. Darin liegt die einzige Chance der Arbeiterpartei, sich an der Macht zu halten.

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