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Palmes „Smörgäsbord“

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Sprecher sind außer Staatsminister Olof Palme Finanzminister Gunnar Sträng, der Führer der Gewerkschaftszentrale Gunnar Nilsson und der Zentralsekretär der Arbeiterpartei, Sten Andersson. Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß die Parteileitung die repräsentative Versammlung — es werden an ihr nicht weniger als 600 Delegierte teilnehmen — um die Zustimmung zu einer Regierungspolitik ersuchen wird, der auch die liberale Volkspartei zustimmen kann, und die möglicherweise sogar im Regierungszusammenwirken mit dieser Partei durchgeführt werden soll.

Fast 18 Jahre lang regiert die Sozialdemokratie Schwedens nun allein. Einige Jahre lang konnte sie dies, gestützt auf eine absolute Majorität im Parlament, tun. Seit einer Reihe von Jahren aber braucht sie dazu die Stimmenhilfe der Kommunisten, die nach der Einführung des Einkammer-Reichstages 17 Mandate im Parlament erobert hatten und seit dem September des Vorjahres sogar deren 19 besitzen. Doch auch mit Hilfe der Kommunisten verfügt die Arbeiterregierung nur über die genaue Hälfte aller Stimmen im Parlament und in nicht weniger Fällen konnte sie nur mit Hilfe der Frau Fortuna über die Hürden kommen.

Wiederholt entschied das Los aber auch gegen die Regierung, und es ist verständlich, daß man aus dieser peinlichen, von so vielen Fragezeichen umstellten Situation herauskommen möchte.

Es stehen dafür zwei Wege zur Verfügung: die Auflösung des Parlaments aus Anlaß einer Regierungsniederlage und die Ausschreibung von Neuwahlen; oder der andere Weg einer weitgehenden Verständigung mit einer der Oppositionsparteien, der im Parlament eine sichere Mehrheit schaffen und Neuwahlen überflüssig machen würde. Radikale Kreise in den Gewerkschaften und im großen Jugendverband sind für die Parlamentsauflö-sumg, zumal nach der Veröffentlichung eines Untersuchungsergebnisses, 'das von einer Verbesserung des Ansehens der Regierung unter der Wählerschaft spricht. Die Regierung selbst aber hat einmal ums andere-mal festgestellt, daß sie keinen wirklich schwerwiegenden Grund für vorzeitige Neuwahlen sehen könne und den Weg eines Kompromisses mit der Opposition vorziehe. Um der Opposition den Puls zu fühlen, hat die Regierung deshalb die Führer der Oppositionsparteien zu einer eingehenden Aussprache über ein großes „Reformpaket“ eingeladen, die

dann während einiger Tage in strenger Abgeschiedenheit auf Schloß Ha-ga stattfand. Es drehte sich dabei um folgende Fragen: Herabsetzung des Pensionsalters von 67 auf 65 Jahre, eine allgemeine Verbesserung der Volkspensionen, Steuerermäßigungen für kleinere und mittlere Einkommen, Maßnahmen gegen die Inflation und Erleichterungen für den kleinen Sparer. Darüber hinaus sollten die Führer dieser Parteien erklären, ob sie bereit seien, zur Finanzierung dieses Reformpaketes beizutragen.

Die beiden Flügelparteien, Kor-er-vative und Kommunisten, schieden zuerst aus dem Kreis der Zusammenarbeitswilligen aus, die Zenterpartei stimmte fast allen Plänen der Regierung zu, wünschte jedoch eine Vorverlegung der Pensionsreform (der die Gewerkschaften aus verschiedenen Gründen auf keinem Fall zustimmen wollen) und übrig blieb als ernstzunehmender Verhandlungspartner die Liberale Volkspartei, mit der sich denn auch die Arbeiterpartei innerhalb weniger Tage auf ein Arbeitsprogramm einigte, das bei etwas großzügiger Auslegung als ein gemeinsames Regierungsprogramm bezeichnet werden kann, obwohl die Volkspartei — jedenfalls vorläufig — auch weiterhin formell außerhalb der Regierung bleibt.

Es war wieder einmal ein Schach-zug des politischen Routiniers Palme Der Regierung gelang es, die Opposition zu zersplittern, Neuwahlen zu vermeiden und sich gleichzeitig von der Abstimmungshilfe der Kommunisten freizumachen. Der Führer der Volkspartei, Dr. Gunnar Helen, nahm die Gelegenheit wahr, sich von der Bindung an die Zenterpartei zu befreien und einen eigenen Kurs zu steuern, der in wenigen Tagen der Volkspartei jene Reformen brachte, für die sie durch fast zwanzig Jahre unter wechselnden Führungen gekämpft hatte: Das Pensionsalter wird am 1. Juli 1976 von 67 auf 65 Jahre herabgesetzt, die Bezüge der Volkspensionäre werden zu Beginn des nächsten Jahres erhöht, die Steuerbelastung der Weinen und mittleren Einkommen wird vermindert, der Effekt der Marginalsteuern ebenso, kleine Unternehmer, Landwirte, Handwerker, Kaufleute und freischaffende Künstler brauchen für die ersten 10.000 Kronen Einkommen keine Arbeitgeberbeiträge mehr bezahlen, die Krankenkassenbeiträge der Arbeitnehmer werden abgeschafft und die kleinen Sparer erhalten einen größeren steuerfreien Betrag zubilligt. Nicht zu Unrecht spricht die Tageszeitung „Dagens Nyheter“ davon, daß die Volkspartei von Olof Palme an einen reich besetzten „Smörgäsbord“ herangeführt worden sei, der ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Nicht recht verständlich ist nur, warum die Volkspartei nicht auch gleich auf die Überlassung einiger Sitze in der Regierung bestanden hat.' Es gab — und gibt immer noch — in Schweden nicht wenige Beobachter, die in Gunnar Helen den kommenden Außenminister sehen wollen. Nach so langer Wüstenwanderung wäre dies für die Volkspartei ein enormer Erfolg.

Im Schmollwinkel stehen nun die Zenterpartei, die ihre Wahlsiege der letzten Jahre nicht ausnützen kann, und die offensichtlich verstörte schwedische KP, die sich plötzlich aus ihrer Schlüsselstellung verdrängt sieht. Man kann gespannt sein, wie sich der außerordentliche Reichskongreß der Arbeiterpartei nun zur völlig geänderten Situation stellen wird.

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