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Panarabische Groß-Intifada?

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Seit einer Woche fallen Bomben auf den Irak. Die „Weltgemeinschaft" unter Führung der USA will Kuweit befreien und Iraks Militärkapazität zerschlagen. Aber was kommt nach dem Fall Saddams? Mißgunst und Haß der Araber auf Israel und die USA können mit Waffengewalt genausowenig ausgemerzt wie demokratische Reformen eingeleitet werden. Führt die „Weltgemeinschaft" jetzt den „letzten" Abschreckungskrieg?

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Seit einer Woche fallen Bomben auf den Irak. Die „Weltgemeinschaft" unter Führung der USA will Kuweit befreien und Iraks Militärkapazität zerschlagen. Aber was kommt nach dem Fall Saddams? Mißgunst und Haß der Araber auf Israel und die USA können mit Waffengewalt genausowenig ausgemerzt wie demokratische Reformen eingeleitet werden. Führt die „Weltgemeinschaft" jetzt den „letzten" Abschreckungskrieg?

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Bei Betrachtungen über den Irak nach Saddam Hussein hat man den gewiß naheliegenden Vergleich zu Rumänien angestellt und gesagt, es gäbe außerhalb der Regimeclique keine Elite mehr, die über Erfahrung im Regieren verfüge, deshalb müsse die Badgader Regierung wohl oder übel erst einmal intakt gehalten werden, damit es überhaupt weitergehen kann mit den Regierungsgeschäften und dem Zusammenhalt des Landes.

Dem muß aber entgegengehalten werden, daß gut eine Million Iraker wahrscheinlich in ihr Land zurück-

kehren werden. Die meisten von ihnen gehören zur Elite. Viele kommen sogar aus dem Regierungs-apparat beziehungsweise der Baath-Partei.

Man sollte nicht vergessen, daß sich zahlreiche Kader erst während der letzten Jahre ins Ausland abgesetzt haben, nachdem Saddams Alleinherrschaft immer unerträglicher wurde. Einige Stützen des Regimes sind erst nach der Besetzung Kuweits am 2. August letzten Jahres geflohen, weil sie die Folgen dieser Aktion klar erkannten. Der Irak hat eine breitere Bildungsschicht als viele andere arabische Staaten. In dieser Hinsicht ist es also gar nicht so schlecht bestellt um das Zwei-Strom-Land.

Problematisch dagegen ist die enge Bindung vieler Schiiten an den Iran. Unter den irakischen Arabern sind die Schiiten in der Mehrzahl. Sie liegen bei weitem nicht alle auf der „Linie des Immams Khomeini". Doch ist die pro-iranische Partei der Islamisten straff organisiert. Zehntausende von kürzlich entlassenen irakischen Kriegsgefangenen sind während der langen Jahre im Iran einer gründlichen Gehirnwäsche unterzogen worden und verstärken nun die Reihen der Islamisten.

Sie sind alles andere als Demokraten und ihre Propaganda richtete sich gerade gegen die fortschrittlichen Elemente in der Politik der Baath-Partei. Esdarf janicht übersehen werden, daß diese Partei ursprüglich einen durchaus positiven Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung des Irak leistete und dann erst später von Saddam und seinem Clan gewissermaßen gekapert und zweckentfremdet wurde. Zu den unbestreitbaren Errungenschaften gehört eine bemerkenswerte Emanzipation der Irakerinnen, die zum Beispiel durch eine fortschrittliche Familiengesetzge-

bung geschützt werden, welche noch aus der Zeit vor Saddams zwölfjähriger Diktatur stammt.

Gerade dagegen aber richtet sich der Zorn der Islamisten. Sie wollen es den Männern wieder ermöglichen, ihre Frauen nach Belieben zu verstoßen, ohne je irgendeiner Ex-frau Unterhalt zahlen zu müssen. Als hätte das Land keine anderen Sorgen. Für die christliche Minderheit von knapp zehn Prozent haben die schiitischen Islamisten noch weniger Verständnis. Der Säkularismus der Baath-Partei ist ihnen ein Greuel. Sie erklären ihn als antiislamisches Machwerk des syrischen Parteigründers Michel Aflaq der zufälligerweise Christ war. Verständlicherweise hat die kleine christliche Minderheit ihr Heil gerade bei der Baath-Partei gesucht. Jetzt muß sie die Rache der Islamisten fürchten, die natürlich viel daraus machen, daß Saddams getreuer Außenminister Tarik Aziz nicht Moslem, sondern Katholik ist.

Autonomie für das kurdische Drittel des Landes kommt den Islamisten natürlich auch nicht in den Sinn; denn darin läge unter anderem auch eine Bedrohung Irans. Khomeini war kaum an der Macht, da zogen seine Revolutionswächter gegen die iranischen Kurden zu Feld und mordeten noch schlimmer als zuvor die Truppen des Schah. Der Iran ist sich in diesem Punkt mit Ankara einig: Die irakischen Kurden müssen niedergehalten werden, damit sie nicht den Anstoß zur Befreiung der Kurden Irans und der Türkei geben können.

Hier haben die USA von vornherein Verrat am Selbstbestimmungsrecht der Völker geübt und die demokratischen Prinzipien, für die sie gegen Saddam in den Krieg zogen, mit den Füßen getreten.

Um nämlich die Mitwirkung Ankaras und das Stillhalten Teherans zu erwirken, nahm Washington von jeder Unterstützung der irakischen Kurden abstand, ja ermunterte sie nicht einmal. Als Kurdenführer Jalal Talabani im August 1990 die USA besuchte, wurde er nicht einmal von unteren Beamten der Regierung Bush empfangen. Das ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch politisch bedenklich, denn die Kurden haben am beständigsten gegen Saddam Widerstand geleistet. Außerdem stellen sie die stärkste und geschlossenste Opposition gegen das Regime dar, aller inner-kurdischen Querelen ungeachtet. Meint

das amerikanische Außenministerium es etwa ernst mit der mehrfach geäußerten Meinung, man habe kein Konzept für den Post-Saddam-Irak, sondern gehe allein von der generellen Erwartung aus, daß das irakische Volk sich dann seine Regierung werde frei wählen können? Im Falle der Kurden (25 Prozent der 17 Millionen Iraker auf einem Drittel des Territoriums) bedeutete das unweigerlich weitreichende Autonomie in einer „irakischen Bundesrepublik" die gegenüber Iran, der Türkei und auch Syrien von vornherein schutzbedürftig wäre.

Auf der regionalen Ebene hängt nach dem erfolgreichen Vorgehen der USA und ihrer Alliierten alles davon ab, wie schnell und wie wirksam eine internationale Konferenz zur Lösung des Palästina-Problems zustande kommt beziehungsweise wie ernsthaft Washfhgton sich in dieser Hinsicht engagiert. Katastrophal wäre es, wenn die USA sich weiterhin gegen eine solche Friedenskonferenz sperrten. Obwohl es ja jetzt nicht mehr um für oder wider Saddam geht. George Bush mußte notgedrungenermaßen gegen Saddam Hussein vorgehen, weil sonst Jizchak Schamir losgeschlagen hätte.

Durch ein ähnlich forsches Vorgehen zugunsten der Palästinenser könnten sie nun den Zorn der übrigen Araber und sonstigen Moslems ebenfalls in Zustimmung umwandeln - und im Endeffekt wären ihnen auch viele Israelis dankbar, vielleicht sogar eine Mehrheit, bringt doch der Friede neben einem Ministaat der Palästinenser mehr als die Herrschaft über das aufrührerische Disney-Land, genannt Westbank.

Geht der US-Regierung aber hierbei der Atem aus, oder gibt sie gar dem Druck von Kriegstreibern wie dem israelischen Verteidigungsminister Mosche Arens nach, dann verliert sie im nachhinein noch die jetzigen arabischen Verbündeten, dann käme es doch noch zur panarabischen Groß-Intifada, zu einer Massenauflehnung der Kleinen, die sich ohnmächtig fühlen gegenüber der Großmacht Amerika. Dieser Aufruhr würde sogar Teile Asiens und Lateinamerikas miteinbeziehen, die nicht im Bannkreis des Islam stehen.

Im Irak haben die USA die Rolle der UNO übernommen. Jetzt kommt es darauf an, diese Rolle überzeugend weiterzuspielen.

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