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Panische Angst vor jeder Reform

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Janez Staniö ist der Autor, der in der Parteielite in Belgrad für Unmut sorgt. Bislang wagte nur eine Zeitung ein Hintergrundgespräch. Hier ein Auszug aus dem Interview.

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Janez Staniö ist der Autor, der in der Parteielite in Belgrad für Unmut sorgt. Bislang wagte nur eine Zeitung ein Hintergrundgespräch. Hier ein Auszug aus dem Interview.

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Die Teilrepublik Slowenien wird oft als Vorreiterin der politischen Liberalität in Jugoslawien bezeichnet. Während in Kroatien und Bosnien eine Verhärtung der ideologischen Positionen der Partei zu beobachten ist, zeigt man sich in Slowenien eher unbeeindruckt von dieser Entwicklung. In der slowenischen Hauptstadt (Laibach) ist es sogar zu einem verhältnismäßig freien Dialog zwischen der herrschenden KP und der regimekritischen Intelligenz gekommen, der anderswo in Jugoslawien undenkbar wäre.

Themen wie die Massenerschießung der „Demobranzen“ in Kocevski Rog 1945 (slowenische Heimwehrleute, die während des Krieges gegen Tito-Partisanen gekämpft hatten) oder das Problem der „Dachauer Prozesse“ konnten erstmals in der Öffentlichkeit frei diskutiert werden. In den sogenannten „Dachauer Prozessen“ sind in den Jahren 1948 und 1949 ehemalige slowenische Häftlinge aus dem KZ Dachau wegen angeblicher Zusammenarbeit mit Nazi-Gestapo zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Später gab die Partei indirekt zu, die Prozesse seien montiert gewesen und die ehemaligen KZ-Häftlinge größtenteils schuldlos verurteilt worden.

Allein die Tatsache, daß heute darüber offen diskutiert werden darf, zeugt von der Liberalität, die derzeit in Slowenien herrscht.

In dieser Atmosphäre konnte auch das Buch des slowenischen Journalisten Janez Stanic entstehen, das sicherlich zu den sensationellsten Büchern zählt, die in einem kommunistischen Land über ' den Kommunismus geschrieben worden sind. Allerdings mußte der Autor, der lange Zeit als Korrespondent der Laibacher Zeitung „Delo“ in der UdSSR tätig war, sein Buch mit dem bemerkenswerten Titel „Weiße Flecken des Sozialismus“ (Bijele pjege socijalizma, Globus) in Zagreb verlegen lassen, weil die slowenische KP signalisierte, man wolle im Augenblick keinen Ärger mit dem großen Bruder in Moskau. Die kritische Zagreber Studentenzeitung „Studentski list“ ist bislang die einzige Zeitung in Jugoslawien, die es wagte, ein Gespräch mit dem unangenehmen Autor zu veröffentlichen.

Doch aus dem Gespräch mit der Studentenzeitung ist mehr geworden: Ein Bericht über die verschiedenen Epochen der Kommunistenherrschaft, aber auch eine ehrliche Analyse über die (Un)Wandelbarkeit des kommunistischen Systems. Für den Journalisten und Ostblockkenner Janez Stanic ist der KPdSU-Chef Michail Gorbatschow die Führungsperson, die für lange Zeit die Geschicke der kommunistischen Führungsmacht bestimmen wird. Janez Stanic: „Gorbatschow ist sicherlich ein Mann, der Veränderungen herbeiführen will. Allerdings hat mich seine Disziplinie-rungskampagne' skeptisch gestimmt, vor allem der Kampf gegen den Alkoholismus. Gewiß, der Alkoholismus ist ein ernstes Problem in der UdSSR, es ist geradezu schrecklich, wieviel die Russen und die Ukrainer trinken. Doch was ist in Wirklichkeit geschehen? Man hat Schnellgerichte geschaffen, die das Land durchqueren auf der Suche nach .Alkoholdelinquenten'. Der Unglückselige wird gefaßt und verurteilt, er verliert seinen Arbeitsplatz und muß dann nach Sibirien oder Zentralasien auswandern, also in Landesteile, wo es nicht genug Arbeitskräfte gibt. Damit zeigt Gorbatschow, daß er wenig Sinn für das einzelne Individuum hat, er verfährt mit ihm mit derselben Brutalität wie einst Iwan der Schreckliche in seiner ,Opri-tschnina'...“.

Studentski list: „Wie kann sich das kommunistische System in Osteuropa heute überhaupt halten?“

Stanic: „Einzig und allein durch militärische Gewalt. Das hat man in Deutschland (Anm: DDR) 1950 gesehen, in Ungarn 1956, und dasselbe sieht man heute in Polen.“ Durch den Militärputsch in Polen ist die brutale Komponente des sogenannten „realen Sozialismus“ wieder einmal zum Vorschein gekommen. Stanic: „Jaruzelski ist ein Diktator, sein Regime ist eine Militärdiktatur, und seine Machtübernahme war damals ein Militärputsch. Damit will ich nicht sagen, daß Jaruzelski kein polnischer Patriot ist. Vielleicht haßt er sogar die Russen, aber seine Vorgangsweise war die eines Diktators.“

Die Volksvertretungen in den Ostblockländern seien lediglich Massenversammlungen, bei denen Beifall geklatscht wird, behauptet der slowenische Journalist. Stanic: „Bei einem Parteikongreß in Rumänien ist ein 84jähriger Altkommunist aufgestanden und hat offen gesagt, Ceausescu betreibe Personenkult. Was glauben Sie, was dann geschehen ist? Um einen Skandal zu vermeiden, sind alle Kongreßteilnehmer gezwungen worden, eine Resolution zu unterschreiben, in der der altgediente Parteigenosse als Revisionist und Abweichler abgestempelt worden ist. Oft ist für die Menschen in den kommunistischen Ländern die Kultur das einzige Ventil, um ihre politischen Frustrationen loszuwerden, und in diesem Bereich werden die meisten politischen Polemiken ausgefochten.“

Staniö: „Vor dem Aufstand der Kosovo-Albaner 1981 war in Jugoslawien die Albanerfrage ein Tabu. Heute werden politische Polemiken zum Thema Kosovo wiederum im kulturellen Bereich ausgetragen.“ Schuld dafür trage in erster Linie das Meinungsmonopol dar KP im Bereich der Informationspolitik. In Jugoslawien sei dieses Monopol von Republik zu Republik unterschiedlich.

Studentski list: „Es wird oft behauptet, die Massenmedien seien in Slowenien liberaler als in den anderen Landesteilen.“ Staniö: „Sehen Sie, in Slowenien kann das österreichische und italienische Fernsehen empfangen werden. Jede von den Regimezeitungen veröffentlichte Meldung ist dadurch leicht überprüfbar.“

Studentski list: „Man erzählt sich hinter vorgehaltener Hand, die liberalen Blätter, wie „Nova revija“ oder „ladina“ hätten insgeheim den Segen einiger liberaler Kräfte in der Partei.. Stanic: „Das glaube ich nicht. Ich glaube sogar, daß diese Zeitungen der Partei ein Dorn im Auge sind. Jedes kommunistische System hat panische Angst vor demokratischen Reformen. Auch bei uns in Slowenien.“

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