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Papst aus Polen auf Petri Stuhl

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Mit großem Erstaunen nahm die Welt abermals die Wahl eines neuen Papstes auf, und abermals waren es nur ganz wenige gewesen, die den Namen Karol Wojtyla genannt hatten - noch viel weniger als bei Albino Lu-ciani. Immerhin war von Wojtyla vor Konklavebeginn zaghaft als von einem entfernt denkbaren Kompromißkandidaten die Rede gewesen.

Bücken wir auf die Ereignisse dieses 16. Oktober 1978: Um 18.45 Uhr verkündete der rangälteste Kardinal, Pertcle Felici, vor etwa 150.000 Gläubigen auf dem Petersplatz das traditionelle „Habemus papam“. Als er zunächst nur den Vornamen nannte, herrschte Stille unter der Menge, die das letztemal schon bei „Albi-num ...“ wußte, wer gemeint war. Als der Name Wojtyla genannt wurde, flammte Beifall auf, der sich verstärkte, als sich herausstellte, daß der neue Papst ein Pole war.

Beim ersten Segen urbi et orbi zeigte sich, daß der erste Pole auf dem Stuhl Petri recht gut Italienisch spricht. Da war nun die Freude noch größer, und wir können annehmen, daß Italien den ersten ausländischen Papst seit 450 Jahren in Treue annehmen wird.

Karol Wojtyla, dieser überaus geistreiche, spirituelle Kardinal aus Krakau, wurde am 18. Mai 1920 als Sohn eines Arbeiters in Wadowice bei Krakau geboren. Er ist also erst 58 Jahre alt. Sein ursprünglicher Berufswunsch war, Sprachwissenschaftler und Theaterfachmann zu werden. (Hierin zeigt sich eine gewisse Geistesverwandtschaft mit dem 1405 im oberösterreichischen Aspach, heute Bezirk Braunau, geborenen Aenaeas Silvius Piccolomini, der sich als humanistischer Schrift-

steller einen Namen gemacht hatte, ehe er 1458 Papst Pius II. wurde. D. Red.)

Karol Wojtyla studierte zunächst Philosophie, mußte aber während des Krieges in einer Fabrik arbeiten. In diesen Jahren wuchs sein Interesse an Theologie. An der Jagelionischen Universität studierte er in der Folge Philosophie und Theologie, empfing 1946 die Priesterweihe und vollendete seine Studien während eines zweijährigen Rom-Aufenthalts

an der von Dominikanern geleiteten Päpstlichen Universität Angelicum. In dieser Zeit lernte er auch die italienische Sprache.

Anschließend hielt er sich in Frankreich und Belgien auf, wo er in der katholischen Jugendbewegung arbeitete und sich besonders als Seelsorger der aus Polen stammenden Arbeiter Nordfrankreichs und Belgiens annahm. Man könnte fast sagen, er sei damals ein Arbeiterpriester gewesen.

1948 kehrte Wojtyla in seine polnische Heimat zurück und studierte weiter Philosophie und habilitierte sich 1953 mit einer Arbeit über die „Möglichkeiten der Entstehung einer katholischen Ethik in Anlehnung an das System von Max Scheler“.

Wie zu erwarten, schlug er die Hochschullaufbahn ein, lehrte in Krakau und dann der Katholischen Universität von Lublin, wo er zuletzt deren Lehrstuhl für Philosophie innehatte. 1958 wurde er zum Weihbischof von Krakau ernannt und war damals mit 38 Jahren Polens jüngster Bischof.

Mit großer Energie setzte er sich für die Erneuerung des Katholizismus im Sinn einer theologischen und philosophischen Erneuerung ein, wobei er sich besonders für die Aufwertung der Laien im Leben der Kirche aussprach. Sein Buch mit dem Titel „Liebe und Verantwortung“ wurde so etwas wie ein theologisches Standardwerk in Polen.

1964 wurde der gelehrte Weihbischof dann Erzbischof von Krakau. In den schwierigen Problemen, die das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im kommunistischen Polen kennzeichnen, zeigte Wojtyla eine große Verbundenheit mit Kardinal Wyszinski, war jedoch darum bemüht, sich aus der Tagespolitik herauszuhalten.

In einem Aufruf zum 20. Jahrestag der Befreiung der Insassen des Hitler-Konzentrationslagers von Auschwitz betonte Wojtyla 1965: „Bemühen wir uns, mit den Augen des Glaubens auf dieses gigantische Kaivaria unseres Zeitalters zu schauen. Wir glauben, daß die furchtbaren Leiden und der Tod, den so viele Menschen aus verschiedenen Religionen, Nationen und Weltanschauungen erlitten haben, nicht vergeblich gewesen sind, sondern beitragen zur Bekehrung der Menschheit auf dem Weg zur Gerechtigkeit und einem wahren Frieden.“

Die französische Tageszeitung „Le Monde“ nannte Wojtyla einmal den „dynamischesten Mann der katholischen Kirche in Polen“. 1967 ernannte ihn Papst Paul VI. zum zweiten polnischen Kardinal. 1969 erschien sein Buch „Person und Arbeit“, 1972 ein Werk über das Zweite Vatikanische Konzil. Besondere Aufmerksamkeit wurde im Vatikan

der Tatsache geschenkt, daß Paul VI. ihn 1976 bat, unter seiner Leitung Exerzitien mitmachen zu dürfen.

Mit seiner Namenswahl hat sich Johannes Paul II. klar und eindeutig in die Reihe seiner drei Vorgänger gestellt, mit denen eine neue kirchenpolitische Linie begonnen hatte: eine Kirche, die sich viel stärker als früher dem Volk verbunden weiß, sich im besonderen der Nöte der Verlassenen und Armen annehmen will, zugleich aber auch einer Kirche, die versucht, von gewissen gesellschaftspolitischen Formen wegzukommen, um stärker den Grundforderungen des Evangeliums entsprechen zu können.

Der neue Papst kann, soweit eine erste Einschätzung überhaupt schon möglich ist, als Mann der Mitte mit einer gewissen Tendenz ins Konservative eingestuft werden (so problematisch solche Einstufungen überhaupt sind). Vor allem aber ist er ein Seelsorger durch und durch, und das ist ja immer der große Wunsch gewesen, der in diesen Tagen vor dem Konklave laut wurde.

Daß er dazu beitragen wird, die moderne Kirche mit der modernen Geisteswelt und Kultur in einen fruchtbaren Dialog zu bringen, ist eine der Hoffnungen, die am Beginn dieses unter;so dramatischen Aspekten beginnenden neuen Pontifikates stehen.

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