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Papst besucht eine Kirche im Umbruch

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Johannes Paul II. hält sich gegenwärtig im größten katholischen Land der Erde zum bisher längsten Besuch seines Pontifikates auf. Es ist die zweite von drei großen apostolischen Reisen in die südliche Hemisphäre der Welt im Verlauf dieses Jahres.

Brasilien ist nach der Sowjetunion, Kanada, China und den Vereinigten Staaten von Nordamerika das fünftgrößte Land der Welt. Seine Gesamtfläche von 8.511 km2 macht fast die Hälfte von ganz Lateinamerika südlich des Äquators aus. Die Gesamtbevölkerung beträgt 10 Millionen, davon sind 60 Prozent Mulatten und Mestizen, 10 Prozent Schwarze und nur 180.000 Indianer. Die Bevölkerungszuwachsrate liegt bei 3 Prozent. 93 Prozent der Bevölkerung sind katholisch.

Die 344 Bischöfe des Landes sind in der nationalen Bischofskonferenz von Brasilien zusammengeschlossen. Der Mangel an Priestern ist drückend. Während in den meisten katholischen, europäischen Ländern das Verhältnis von Priestern zu Gläubigen unter 1:1000 liegt, ist es in Brasilien bei 1:6000.

Der Papst wird während seiner 13tä-gigen Reise mit einer Fülle von politischen, sozialen, wirtschaftlichen, ja selbst ökologischen Problemen konfrontiert. Er betonte inzwischen mehrmals, daß auch diese Reise vorwiegend seelsorglichen Charakter trägt.

Zwei Themen stehen in den über 40 vorgesehenen Ansprachen im Vordergrund. Die Beschlüsse der dritten Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla(1979) in ihrer Anwendung auf die Situation von Brasilien, sowie das Thema des 10. euchari-stischen Nationalkongresses: „Eucharistie und Migration”. Mit dem schwer übersetzbaren Wort „Migration” ist die starke Binnenwanderung arbeitsuchender Menschen, ja ganzer Familien, innerhalb Brasiliens gemeint.

Die Situation der Kirche in Brasilien ist nur von ihrer Geschichte her richtig zu verstehen. An ihrem Anfang war sie die typische Kolonialkirche, die portugiesische Krone und später die vom Mutterland unabhängige Monarchie wies ihr die religiöse und schulische Erziehung der Bevölkerung sowie verschiedene soziale und kulturelle Aufgaben zu und gewährte ihr dafür Schutz und Unterstützung.

Damit war aber auch eine starke Abhängigkeit von den politischen und wirtschaftlichen Kräften gegeben. Nach der Revolution (1889) entschied sich die junge Republik für die Trennung von Kirche und Staat, ohne daß es zu verfolgungsähnlichen Konflikten gekommen wäre Wie in Mexiko. An den gewachsenen kirchlichen Strukturen selbst änderte sich nicht viel.

Dies alles hatte eine gewisse Entfremdung der einfachen Bevölkerung von der Kirche zur Folge. In der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts erkannte die Kirche in ganz Lateinamerika, nicht zuletzt unter dem Druck nicht sozial vorgehender Regierungen und noch viel weniger sozial denkender multinationaler Konzerne, ihre soziale Verantwortung in neuer Weise, was in den Dokumenten von Medellin, welche 1968 die zweite Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe verabschiedeten, ihren Niederschlag gefunden hat.

Innerhalb Lateinamerikas zeigt sich die brasilianische Kirche für die sozialen Anliegen besonders aufgeschlossen, was vor allem auf die Bischöfe aus dem Franziskanerorden zurückgeht. Die Rolle, welche gerade diese Bischöfe im inzwischen beendeten Metallarbeiterstreik in Sao Paulo einnahmen, wirft indes die Frage auf, wo die Grenzen der Kirche im Mitwirken an solchen und ähnlichen Konflikten liegt.

Mit Interesse sieht man einer Stellungnahme des Papstes entgegen. Vermutlich wird die Ansprache vor der Vollversammlung der brasilianischen Bischöfe in Fortaleza am 10. Juli diese Frage in ihrer grundsätzlichen Dimension aufgreifen.

Johannes Paul II. wird am 9. Juli in Fortaleza den 10. eucharistischen Nationalkongreß eröffnen. Das Thema „Eucharistie und Migration” zeigt uns den zweiten Schwerpunkt in den Ansprachen des Papstes: die Bewältigung der sozialen Probleme aus der Kraft des christlichen Glaubens.

Nach Meinung von Kardinal Aloisio Lorscheider, dem Erzbischof von Fortaleza, soll der Kongreß die wirkliche Situation in aller Härte aufzeigen, in der Millionen von Brasilianern zu leben gezwungen sind. Auf der Suche nach Arbeit, Land und Nahrung, wandern 30 Millionen (allein sieben Millionen in der Region Nord-Ost) im Land umher.

Tausende fühlen sich von den Großstädten des Südens wie von einem Magnet angezogen - Sao Paulo wuchs in wenigen Jahren auf Uber 8 Millionen Einwohner - wo sie bessere Lebensbedingungen und eine schulische Ausbildung für ihre Kinder erhoffen. Ihr Leben endet aber fast immer in den wie Pilze aus dem Boden schießenden Slums der Großstädte, den Orten von Armut, Elend, Erniedrigung und Verzweiflung, vielfach auch der Brutstätten der Immoralität und des Verbrechens.

„Wir werden auf diesem Kongreß großes Gewicht auf das Thema „Brüderlichkeit” legen, erklärte Kardinal Lorscheider. „Wir werden die Beziehungen untersuchen, die zwischen der Amtskirche und dem Volk Gottes bestehen, wir werden nach Möglichkeiten suchen, wie wir zugunsten unserer bedürftigsten Brüder in unserem Land eintreten können.”

Als weitere Anliegen des Kongresses nannte der Kardinal die seelsorglichen Aufgaben, insbesondere der Verkündigung des Evangeliums und der religiösen Vertiefung der brasilianischen Bevölkerung.

Mit einer symbolischen Geste, wie sie Papst Wojtyla liebt, wird der Besuch enden. Auf ausdrücklichen Wunsch wird Johannes Paul II. die eher unbedeutende Stadt Manaus- im Herzen

Amazoniens besuchen um für die Respektierung der Rechte der Indianer einzutreten und auf die ungeheuren ökologischen Gefahren hinzuweisen, die durch die anhaltende Abholzung bestehender Urwaldgebiete entstehen. Von dort wird der Papst nach Rom zurückfliegen, wo er am Vormittag des 12. Juli erwartet wird.

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