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Papst besucht Land voll sozialer Unruhe

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Die Ermordung des Erzbischofs von San Salvador, Romero, ist ein weiteres Zeichen für die tiefe soziale Unrast, die Lateinamerika erfüllt. Die Kirche wird sich in diesem Spann ungsfeld ihrer A ufgabe als A n wältin der A rmen immer deutlicher bewußt. Daher kommt auch dem bevorstehenden Papstbesuch in Brasilien so große Bedeutung zu. Über Aspekte der Reise und der Situation der Kirche in Brasilien sprach FURCHE-Korrespondent P. Heinrich Segur SJ mit dem brasilianischen Kardinal Lorscheider.

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Die Ermordung des Erzbischofs von San Salvador, Romero, ist ein weiteres Zeichen für die tiefe soziale Unrast, die Lateinamerika erfüllt. Die Kirche wird sich in diesem Spann ungsfeld ihrer A ufgabe als A n wältin der A rmen immer deutlicher bewußt. Daher kommt auch dem bevorstehenden Papstbesuch in Brasilien so große Bedeutung zu. Über Aspekte der Reise und der Situation der Kirche in Brasilien sprach FURCHE-Korrespondent P. Heinrich Segur SJ mit dem brasilianischen Kardinal Lorscheider.

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FURCHE: Herr Kardinal, soweit bisher bekannt ist. reist der Papst vom 13. bis 19. Juli nach Brasilien. Sie sind Präsident der Brasilianischen Bischofskonferenz, mich interessiert, warum der Papst aus den über 30 Einladungen gerade die nach Brasilien angenommen hat.

KARDINAL LORSCHEIDER: Wir brasilianischen Bischöfe hatten schon Paul VI. gebeten, auch unser

Land zu besuchen. Brasilien ist schließlich das größte katholische Land der Welt. Wir sind 120 Millionen Einwohner, wenigstens 100 Millionen sind katholisch.

Wir meinten auch, daß der Besuch des Papstes sowohl für die Kirche im allgemeinen als auch für die ganze Arbeit der Kirche in Brasilien von großem Nutzen sein werde. Nicht zuletzt erwarten wir auch Impulse für die gesamte Entwicklung unseres Landes.

FURCHE: Ich stelle mir vor, daßdie Vorbereitungen bereits auf vollen Touren laufen.

LORSCHEIDER: In den Vorbereitungen haben wir vor allem das Anliegen vor Augen, daß der Papst zu den verschiedenen Gruppen der brasilianischen Bevölkerung spricht. In Fortaleza z. B. wird er den 10. Eucharistischen Kongreß feierlich abschließen. In diesem Zusammenhang ist eine Konferenz mit allen brasilianischen Bischöfen vorgesehen. Das ist zumindest unser Vorschlag.

Danach wird er in Sao Paulo mit Arbeitern zusammentreffen und zu ihnen sprechen. In Rio de Janeiro wird er mit den Priestern zusammenkommen. In Nordbrasilien ist ein Treffen mit Missionaren und mit Indianern vorgesehen.

FURCHE: Und mit den breiten Schichten des Volkes?

LORSCHEIDER: In der Vorbereitung des Besuchsprogramms achten wir ganz besonders darauf, daß möglichst viele Menschen den Papst sehen können, vor allem die Armen, denn gerade sie können nicht nach Rom kommen. Dieeinzige Möglichkeit den Papst zu sehen ist, daß der Papst zu ihnen kommt.

Wir planen, daß Johannes Paul IL, wenn er unsere Städte besucht, durch die Straßen fährt, was unter Umständen 3-4 Stunden in Anspruch nehmen wird. Natürlich sind wir uns bewußt,n daß dies für den Papst sehr ermüdend werden wird, aber, wenn viele Menschen den Papst sehen wollen, dann ist dies in unserem volkreichen Land nicht anders möglich.

FURCHE: Jeder Besuch des Papstes ist zugleich auch eine Begegnung mit einem bestimmten Volk und dessen besonderen Problemen. Was ist nach Ihrer Meinung das größte Problem der Kirche in Brasilien?

LORSCHEIDER: Unser größtes Problem istdie Armut des Volkes. Meine Diözese liegt im Nordosten, in einem armen Staat. Hier beobachtet man eine starke Unterdrückung des Volkes. Aus diesem Grund begreife ich sehr gut das

Anliegen der „Theologie der Befreiung".

Ein zweites Problem ist der Priestermangel. Es fehlt uns in Brasilien an einer ausreichenden Zahl von Priestern. Mit der Schließung der Seminarien in manchen Gebieten Brasiliens beging man einen Fehler. Heute öffnet man sie wieder. Und tatsächlich zeigen sich auch wieder mehr Berufungen zum priesterlichen Amt.

Derzeit kommt jedoch noch immer die Hälfte aller Priester aus dem Ausland. Auch unter uns Bischöfen sind sehr viele ausländischer Herkunft oder ausländische Missionare, die zu Bischöfen geweiht worden sind.

Ein weiteres Problem ist das der Familien. Wegen der drückenden Armut werden viele Familien zur Ubersiedlung gezwungen. Häufig übersiedelt allerdings nur der Mann und plant, die Familie später nachkommen zu lassen. Häufig aber kehrt er nicht mehr zurück, weil er inzwischen eine neue Familie gegründet hat.

FURCHE: In Europa spricht man viel von der nichtbewältigten sozialen Frage in Lateinamerika und von der Mitschuld der Kirche.

LORSCHEIDER: In der wirtschaftlichen Planung unseres Landes gilt der Mensch sehr wenig. Leider haben die wirtschaftlichen. Zielsetzungen Vorrang vor den gesellschaftlichen und sozialen. Dies beunruhigt die Kirche. Sie sagt immer wieder offen ihre Meinung: Zuerst kommt der Mensch und dann erst kommen die wirtschaftlichen Ziele.

FURCHE: Herr Kardinal, die vergangene Bischofssynode über „die Katechese in der Welt von heute" betonte sehr stark die Basisgemeinschaften. Wie steht es mit ihnen in Brasilien? ■

LORSCHEIDER: Die Seelsorge stützt sich gegenwärtig in Brasilien sehr stark auf diese Basisgemeinschaften. Warum? Wir wollen, daß die Gläubigen am kirchlichen Leben wirklich teilnehmen und untereinander ins Gespräch kommen können. Viele stehen bei uns immer noch am Rande des gesellschaftlichen Lebens. Sie alle wollen wir in unser kirchliches Leben einbeziehen. Uns scheint, daß auf dem Weg der Basisgemeinschaften Wirksames geleistet werden kann.

FURCHE: Die letzte brasilianische Bischofskonferenz beschäftigte sich besonders mit der Armut der Landarbeiter. Zu welchen Ergebnissen kamen die Bischöfe?

LORSCHEIDER: Wir sprachen über dieses Thema, weil drei Gebote Gottes hier richtungweisend sind. Das 7., das 10. und das 5. Gebot. Heute beobachten wir ein großes Interesse für die ländlichen Gebiete. Die Reichen nehmen es in Besitz und vertreiben die Armen. Deswegen verabschiedeten wir ein Gesetz, in welchem wir die Landarbeiter, die in vielen Gebieten unseres Landes wirklich sehr arm sind, verteidigen.

Wir faßten folgende Beschlüsse: I. Eine Uberprüfung des kirchlichen Eigentums in Brasilien: Haben wir Eigentum übrig oder nicht? Sollten sich in unseren Diözesen Ländereien befinden, die überflüssig erscheinen, werden wir Wege suchen, diese in das Eigentum des Volkes überzuführen. 2. Geeignete Initiativen zur Sicherstellung der Rechte der Landarbeiter sollen ergriffen werden. Aus diesem Grunde werden wir auch Interessenverbände, welche die Rechte der Landarbeiter vertreten, fördern. 3. Eine weitverbreitete Mentalität, derzufolge man sich des Volkes bedienen kann, statt dem Volke zu dienen, müssen wir zu ändern versuchen. Diese Mentalität herrscht auch im Staat.

Nicht die staatlichen Einrichtungen stehen zur Verfügung des Volkes, sondern das Volk muß zur Verfügung des Staates stehen. Wir Bischöfe sind der Meinung, daß gerade hier der große Fehler liegt, welcher uns in eine Richtung hintreibt, die wirklich nicht christlich ist.

Wir gingen von der Uberzeugung aus, daß Gott die Erde für alle Menschen bestimmt hat. Daher sollen die Güter so verteilt werden, daß jeder Mensch die Bedingungen zur Entfaltung seines Lebens vorfinden kann. Die christliche Offenbarung zeigt, wie alle Menschen untereinander sich als Brü-8er finden sollen. Deshalb können wir nicht als Feinde leben!

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