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Papst kontra Diözesanbischof

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Dem katholischen Erzbischof von Seattle (USA), Raymond Hunthausen, wurde unlängst ein Teil der Vollmachten entzogen und seinem Weihbischof Donald Wuerl übertragen. Auf welcher kirchenrechtlichen Basis?

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Dem katholischen Erzbischof von Seattle (USA), Raymond Hunthausen, wurde unlängst ein Teil der Vollmachten entzogen und seinem Weihbischof Donald Wuerl übertragen. Auf welcher kirchenrechtlichen Basis?

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Die Frage nach dem bischöflichen und päpstlichen Amt in Abgrenzung und Bezug ist nicht zu trennen von dem Bild, das die Kirche von sich selbst entwirft beziehungsweise das ihr in seinen Grundzügen vorgegeben ist. Nach der Lehre des II. Vatikanischen Konzils ist die Kirche nicht als monolithischer Block, gleichsam als eine einzige große Weltdiözese mit dem Papst an der Spitze, aufzufassen, sondern sie stellt sich als eine Gemeinschaft von Teilkirchen (Diözesen) dar. Uber diese sagt die Kirchenkonstitution (Nr. 23): „... in ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche“.

Dies bedeutet im einzelnen, daß die Teilkirchen (Diözesen) mit ihrem Bischof ein Grundelement der Kirchenverfassung bilden. In Wortverkündigung und Sakra-mentenspendung nehmen der Bischof — und in seinem Auftrag Kleriker und Laien - die Grundvollzüge des christlichen Heilsdienstes wahr. Der Bischof ist Träger des dreifachen Amtes Christi, des Lehrer-, Priester- und Hirtenamtes. Dabei handelt der Bischof nicht kraft päpstlicher Vollmacht, er ist somit nicht Stellvertreter (Vikar) des Papstes, sondern besitzt eine ihm direkt von Christus, dem Haupt der Kirche, zukommende sogenannte eigenberechtigte Vollmacht zur Leitung des ihm anvertrauten Teils des Gottesvolkes.

Da sich die (Gesamt)Kirche als Gemeinschaft (communio) von Teilkirchen versteht, bedeutet dies aber auch für den einzelnen Bischof, daß er sein Amt in Einheit und grundsätzlicher Ubereinstimmung mit den übrigen Bischöfen und an deren Spitze dem Papst ausüben muß.

Der Papst kann die bestehende Kirchenverfassung, wonach die Gesamtkirche eine Gemeinschaft von Teilkirchen ist, nicht aufheben. Er kann nicht anstelle der eigenberechtigten Diözesanbischö-fe überall päpsthche Vikare einsetzen. Die Grundämter der Kirche, das päpstliche und das bischöfliche Amt, sind kirchlicher Verfügbarkeit insoweit entzogen, als sie weder als solche aufgehoben noch auch so weit ausgehöhlt werden können, daß etwa den Bischöfen keine eigenverantwortliche Leitungsvollmacht in ihren Diözesen verbliebe. Hier handelt es sich um jeder positivrechtlichen Regelung vorgegebene, sozusagen „eingestiftete“, das heißt von Christus vorgezeichnete Verfassungselemente. Damit ist freilich noch nicht gesagt, daß die konkrete historische Abgrenzung der beiden Ämter nicht sehr verschiedene Ausformungen erhalten kann.

Dem Papst als Haupt des Bischofskollegiums kommt neben seiner Eigenschaft als Bischof von Rom auch das Wächteramt über die übrigen Teilkirchen zu. Wenngleich er, dem Gesagten zufolge, zwar den Episkopat als solchen nicht ausschalten kann, ist es ihm trotzdem möglich, in einzelnen Fällen korrigierend in die

Dies bedeutet, daß er die Leitungsgewalt eines einzelnen Di-özesanbischofs einschränken, ja diesen sogar absetzen kann. Gegen eine vom Papst getroffene Maßnahme ist kein Rechtsmittel an eine übergeordnete Instanz möglich, weil es eine solche nicht gibt. Auch das ökumenische Konzil ist dem Papst nicht übergeordnet.

Das gegenwärtige Kirchenrecht (Codex Iuris Canonici von 1983) sieht den Fall eines päpstlichen Eingreifens in die Leitung einer Diözese vor allem in der Weise vor, daß dem Diözesanbischof ein Auxiliarbischof (Weihbischof) zur Seite gegeben wird, der mit besonderen Vollmachten ausgestattet ist (can. 403 2). Während unter gewöhnlichen Umständen der Diözesanbischof selbst um die Bestellung eines Auxiliarbischof s (Weihbischofs) ansucht — pastorale Erfordernisse werden als Begründung dafür vor allem genannt—, wird „bei schwerwiegenden Umständen, auch persönlicher Art“, dem Diözesanbischof ein Auxiliarbischof sozusagen „verordnet“.

Im Falle von Erzbischof Raymond Hunthausen ist dies in der Weise geschehen, daß ein schon amtierender Weihbischof nachträglich vom Papst mit besonderen Vollmachten ausgestattet wurde, wodurch die Befugnisse des Diözesanbischofs entsprechend eingeschränkt wurden. Wie weit diese Begrenzungen im einzelnen gehen, darüber gibt das allgemeine Kirchenrecht keine Auskunft. Can. 405 2 enthält lediglich die lapidare Bestimmung, daß der mit besonderen Vollmachten ausgestattete Auxiliarbischof (Weihbischof) den Diözesanbischof bei der Leitung der gesamten Diözese unterstützt und ihn bei Abwesenheit oder Verhinderung vertritt.

Überdies ist der Diözesanbischof verpflichtet, den mit besonderen Vollmachten ausgestatteten Auxiliarbischof zu seinem Generalvikar, das heißt zu seinem Stellvertretungsorgan im Bereich der bischöflichen Verwaltung zu ernennen.' Diese Bestimmung stellt sich als eine Verschärfung der allgemein für den Diözesanbischof geltenden Verpflichtung dar, die in der Diözese amtierenden Auxiliarbischöfe zu Generalvikaren oder wenigstens Bischofsvikaren zu ernennen (can. 406 2).

Die Ernennung eines Auxiliar-bischofs mit besonderen, die Gewalt des Diözesanbischofs einschränkenden Vollmachten stellt sich als eine äußerst schwerwiegende Maßnahme dar, die nur bei Vorliegen entsprechend gewichtiger Gründe gerechtfertigt, in manchen Fällen vielleicht geradezu geboten erscheint. Diese Gründe können in der Person des Diözesanbischofs liegen, und zwar mit oder ohne sein persönliches Verschulden.

Im Falle von Erzbischof Hunthausen wurde verfügt, daß die Verantwortung für den Bereich der Priester ausbildung, der kirchlichen Gerichtsbarkeit, der Liturgie, der Seelsorge an aus ihrem Amt geschiedenen Priestern, der kirchlichen Sittenlehre und des kirchlichen Gesundheitswesens in Hinkunft beim Weihbischof liegen werde.

Das allgemeine Kirchenrecht gibt keine Antwort auf die Frage, inwieweit den hier geschilderten Maßnahmen eine eingehende Klärung des Sachverhalts mit Parteiengehör und Recht auf Verteidigung vorauszugehen haben. Ebensowenig wird auf die Frage eingegangen, inwieweit ortsansässige Instanzen, etwa die Mitbischöfe der betreffenden Kirchenprovinz oder die Bischofskonferenz des Landes, zuerst zur Klärung und eventuellen Bereinigung der Angelegenheit aufgefordert werden. Für den Bischof (wie für jedermann in der Kirche) gilt aber, daß sein guter Ruf nicht rechtswidrig angetastet werden darf und daß er ein Anrecht auf eine Beurteilung seiner Angelegenheit nach Recht und Billigkeit hat (can. 220, 221 2).

Der Autor ist Professor für Kirchenrecht an der Universität Wien.

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