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Paragraph 97 - so gewollt?

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Paragraph 97 Strafgesetz- buch - ein Tabuthema? Und nicht nur die Fristenrege- lung. Wer keine Änderung will, muß die Konsequenzen wollen. Oder man muß das Gesetz reformieren.

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Paragraph 97 Strafgesetz- buch - ein Tabuthema? Und nicht nur die Fristenrege- lung. Wer keine Änderung will, muß die Konsequenzen wollen. Oder man muß das Gesetz reformieren.

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Die Proteste waren einhellig und hatten Erfolg. Der für den 8. Okto- ber in der wissenschaftlichen Lan- desakademie für Niederösterreich geplante Vortrag von Helga Kuhse wurde abgesagt. Das Thema: „Tö- tungsverbot und Sterbehilfe - Moralische Fragen der Euthana- sie".

Die Tendenz des Vortrages war absehbar: Kuhse ist Mitarbeiterin jenes australischen „Moralphiloso- phen" Peter Singer, der mit einem „Club 2"-Auftritt im Juli des Vor- jahres (FURCHE 29/1989) für Auf- regung und - über alle Parteigren- zen hinweg - für Empörung gesorgt hat.

Nach Singers „neuer Ethik" wird nicht nur die Tötung behinderter Säuglinge geduldet, sondern sie wird sogar, um das Gesamtglück der Familie zu steigern, propagiert und ethisch gerechtfertigt. Nach Singer hat „das Leben eines schwer behinderten Neugeborenen weni- ger Wert als das Leben eines Schweines, eines Hundes, eines Schimpansen". Was an geborenen Säuglingen erlaubt ist, gilt selbst- verständlich auch vor der Geburt. „Menschliches" Mitleid mit Behin- derten. Das Kriterium, der Willkür anheimgestellt: eine schwere Be- hinderung.

Zwischen dem, was Peter Singer fordert, und dem, was der öster- reichische Gesetzgeber erlaubt, liegt eine minimale Zeitspanne. Der Paragraph 97 Strafgesetzbuch, der breiten Öffentlichkeit nur unter dem Stichwort Fristenregelung bekannt, macht die Abtreibung auch straffrei, „wenn eine ernste Gefahr besteht, daß das Kind gei- stig oder körperlich schwer geschä- digt sein werde". Ohne jede Frist. Das heißt: bis unmittelbar zur Geburt.

Von der Gegnerschaft vieler, die Singers „neue Ethik" empört hat, ist da weit und breit nichts zu bemerken.

Im Gegenteil: Der Paragraph 97 wird tabuisiert. SPÖ, FPÖ und Grüne haben im Wahlkampf jede Änderung ausgeschlossen. Diese Position gegenüber dem behin- derten Leben ist bei der SPÖ be- fremdend, bei den Grünen über- raschend und bei der FPÖ - zu- mindest was die sehr engagierete Helene Partik-Pable betrifft - ver- wunderlich.

Denn eines ist klar: Wer das Ge- setz nicht ändern will, muß wollen, daß vielleicht (!) schwerbehinderte Kinder bis zur Geburt getötet wer- den dürfen. Mit neun Monaten. Ein Beispiel.

Ein anderes: Im Rahmen der Bemühungen um ein Fortpflan- zungshilfegesetz, das die künstli- che Befruchtung regeln soll, besteht zumindest darüber Konsens, daß Leben ausschließlich zur Fortpflan- zung gezeugt werden darf. Weder zu wissenschaftlichen noch zu son- stigen Zwecken. Auch nicht als Organspender. Diese Position wird auch von Staatssekretärin Johanna Dohnal vertreten.

Dieser Position widerspricht aber ihre Haltung, am Paragraph 97 nicht rühren zu wollen. Denn wenn die Abtreibung straffrei „innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach vorher- gehender ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird" schützt nichts den Embryo davor, für andere Zwecke abgetrieben zu werden. Amerikanische Berichte haben diesbezüglich schon für Aufsehen und Aufregung gesorgt.

Damit ist klar: Wer das Gesetz nicht ändern will, muß auch das wollen.

In der irrationalen Atmosphäre des Wahlkampfes wurde mit (Drein-)Schlagworten jedes ver- nünftige Gespräch unterbunden. Vielleicht ist es jetzt möglich, not- wendig sogar.

Die „Aktion Leben" hat einen „Runden Tisch" angeregt, Famili- enministerin Marilies Flemming hat dazu den Familienpolitischen Bei- rat schon eingeladen. Johanna Dohnal hat für die SPÖ die Fest- schreibung der Fristenregelung in einem Koalitionspakt verlangt. Dann sollen wenigstens alle wis- sen, was sie festschreiben. Und Josef Riegler hat für die ÖVP Verbesse- rungen verlangt: materielle und legistische. Die Beratung soll aus- gebaut, der beratende vom abtrei- benden Arzt getrennt werden. Und eine „die Anonymität der Mutter wahrende Statistik über die Zahl und Motive der Abtreibungen" soll eingeführt werden, um überhaupt einmal zu wissen, wo konkrete Hilfsmaßnahmen ansetzen könnten.

Dagegen ist freilich Johanna Dohnal ganz entschieden. Die Ge- fahr, daß die Anonymität verletzt und dann mit den Daten Mißbrauch getrieben werde, sei zu groß.

Dann müßte Dohnal - logisch und konsequent - gegen die Einführung der Abtreibungspüle RU 486 sein. Denn die Anwendung des Präpara- tes ist mit der Verpflichtung ver- bunden, jede Abtreibungsanwen- dung namentlich und im Detail zu dokumentieren.

Wenn also denkbarer Mißbrauch schon vor einer anonymen Statistik zurückschrecken läßt, müßte ihr jede namentli- che ein Horror sein. Wenn aber Dohnal die nament- liche RU 486-Statistik nicht stört, muß sie sich jetzt für die Ablehnung anonymer Daten vom bisherigen Argument verabschieden. So schi- zophren geht es nicht.

Der Gesetzgeber hat mit der Verabschiedung des Strafgesetzbuches eine ganz konkrete Botschaft verbunden: „Es ist un- bestritten, daß der Schwangerschaftsab- bruch weder eine gesell- schaftlich wünschens- werte noch eine medizi- nisch empfehlenswerte Methode der Geburten- kontrolle ist." Das ist ein klarer Auftrag an die Re- gierung. An jede Regie- rung.

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