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Paris steht zum Gemeinsamen Markt

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Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Delors ist kein bequemer Mann. Die wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hat, ließen ihn außerdem gegenüber jeder Kritik -.höchst empfindlich werden.

Sein Unwille über die wenig freundschaftlich erscheinenden Kommentare in europäischen Partnerstaaten und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland veranlaßte ihn unlängst zu der Warnung, daß Frankreich schließlich die Europäische Gemeinschaft verlassen könnte, wenn man es nicht mehr wünsche. Er war allerdings vorsichtig genug, um dafür zu sorgen, daß diese Drohung nicht in die französische Presse gelangte. Dies hinderte allerdings seinen Ministerkollegen Rocard nicht daran, eine derartige Taktik als gefährliches Spiel zu bezeichnen.

Mit Ausnahme der Kommunisten und einer kleinen Minderheit, von Sozialisten hält jedenfalls niemand in Frankreich eine Isolierung des Landes innerhalb oder außerhalb der Europäischen Gemeinschaft für denkbar. Es ist recht bezeichnend, daß sich dieser Tage Paris dem Spruch des Europäischen Gerichtshofs unterwarf und Subventionen an die Textilindustrie in Form einer Mäßigung der Soziallast einstellte sowie auf geplante ähnliche Maßnahmen zugunsten eines Teils des Maschinenbaus verzichtete. Es gibt wenige Präzedenzfälle für die bedingungslose Anerkennung eines europäischen Urteils durch eine Regierung.

Paris ist sich jedenfalls klar darüber, daß die uneingeschränkte Beteiligung am Gemeinsamen Markt den besten Schutz gegen die protektionistischen Verlok- kungen bietet und für die französische Industrie nichts verhängnisvoller wäre als eine Abschirmung gegen die internationale Konkurrenz. Denn dann würde sie zwangsläufig den Anschluß an den technischen Fortschritt verlieren und ihre Leistungsfähigkeit erheblich vermindern.

Nicht zuletzt verlöre die jetzige harte Stabilisierungspolitik ihre Berechtigung. Ihr wichtigstes Ziel, die Wiederherstellung des Gleichgewichts der Zahlungsbilanz, ist schließlich weniger eine nationale als eine europäische Verpflichtung.

Die französische Regierung ist aber auch fest entschlossen, sich in den augenblicklichen Verhandlungen über die Zukunft der Ge meinschaft nicht mit der Reform der Agrarpolitik und der Regelung der Finanzierung des europäischen Haushalts zu begnügen. Darüber hinaus soll die europäische Zusammenarbeit einen neuen Auftrieb erhalten. Nur wenn die Partner hierzu bereit sind, dürfen sie mit französischen Zugeständnissen in den anderen Fragen rechnen.

In diesem Sinne besitzt das in Brüssel vorgelegte französische Memorandum über die industrielle Kooperation fast ultimativen Charakter, zeichnet sich aber aus Rücksicht auf die in der Gemeinschaft überwiegenden Vorstellungen durch eine bewußt liberale Tendenz aus. Die Europäische Kommission soll demnach vor allem private Initiativen ermutigen und fördern, aber möglichst wenig selbst dirigistisch in Erscheinung treten.

Die Ausarbeitung gemeinsamer Forschungsprogramme im Bereich der neuen Technologien bleibt allerdings Sache der Regierungen. Schon lange bestreitet niemand, daß für eine Reihe von Forschungsaufgaben die nationalen Mittel nicht mehr ausreichen und außerdem Doppelgleisigkei- ten vermieden werden müssen, nicht nur weil sie verschwenderisch sind, sondern auch weil sie zu keinem brauchbaren Ergebnis führen.

Hierzu kommt, daß zahlreiche nationale Forschungslaboratorien — seien sie privat oder öffentlich — nicht genügend ausgenützt sind, während für die Schaffung neuer Anlagen eine europäische Koordinierung sinnvoll erscheint. Angestrebt wird demnach eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Forschungsinstituten, um so ein leistungsfähiges europäisches Netz entstehen zu lassen und überflüssige Investitionen zu vermeiden. Die industrielle Auswertung der Ergebnisse einer gemeinsamen industriellen Forschung hätte dann durchaus logisch durch europäische Industriegruppen zu erfolgen.

Es ist zugleich erstaunlich und erfreulich, daß der sozialistischen Regierung Frankreichs die Bildung europäischer multinationaler Gesellschaften vorschwebt.

Die französische Postverwaltung ließ gerade wissen, daß sie ein zur Zeit vorbereitetes neues Radio- Telefonmodell nur dann übernehmen wird, wenn es gemeinsam von zwei europäischen Firmen hergestellt wird, wfeil es sich allein auf diese Weise erfolgreich gegen die internationale Konkurrenz durchzusetzen vermag.

In der Europäisierung des öffentlichen Ausschreibungsverfahrens sieht man einen brauchbaren Weg zur industriellen Kooperation, da es möglich ist, für eine Reihe von Erzeugnissen die Angebote europäischer Gruppen bevorzugt zu berücksichtigen. Die Europäische Kommission soll ihrerseits durch zinsgünstige Kredite und gegebenenfalls auch durch einige Subventionen industrielle Umstrukturierungen über die Grenzen hinweg ermutigen und erleichtern.

Die erste und in den meisten Fällen notwendige Etappe ist aber für Frankreich die deutsch-französische Kooperation, der sich jeweils Firmen anderer Länder anschließen können. Paris stellt daher die Bedingung, daß in diesem Rahmen kein Mitgliedstaat gegen etwaige Beihilfen der Europäischen Kommission ein Einspruchsrecht besitzt.

Die französische Regierung will ferner vermeiden, daß die geplante Erweiterung zu einer Schwächung der Gemeinschaft führt. Die mit Großbritannien und in noch schlimmerem Maße mit Griechenland gemachten Erfahrungen sollen sich auf keinen Fall wiederholen.

Paris lehnt es daher entschieden ab, mit den Beitrittskandidaten unter Zeitdruck zu verhandeln. Es geht nicht nur um die Verteidigung der französischen Landwirtschaft, sondern auch um die Widerstandskraft der europäischen Einrichtungen. Bevor man Spanien und Portugal das Tor öffne, müsse man sich klar darüber geworden sein, unter welchen Bedingungen eine Gemeinschaft mit zwölf Mitgliedern arbeits- und aktionsfähig bleibe.

Eine europäische Kommission von sechzehn Köpfen gilt als unrealistisch. Auch eine Rationalisierung der Tätigkeit des Ministerrats drängt sich auf.

Ohne Zweifel rechnet Paris für die Erweiterung mit ziemlich langen Fristen. Vor allem Spanien soll sich in unzweideutiger Form zur Annahme aller bestehenden Regeln und Gewohnheiten verpflichten. Man ist vorläufig nicht sicher, daß dies wirklich seiner Absicht entspricht.

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