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Parole Donauraum

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Die Zeichen mehren sich. Was vor zehn Jahren von einigen wenigen Denkern formuliert, von der Öffentlichkeit kaum aufgenommen wurde, gewinnt nach und nach Festigkeit und Kontur. Eine internationale Debatte hat eingesetzt; sie steht im Zeichen vorsichtiger Zuversicht. Dichter und Forscher bilden, wie so oft, die Vorhut; sie findet Verbündete unter den Männern der Politik. Die Parole lautet: Mitteleuropa. Sie ist bar jeder falschen Romantik und zielt auf Notwendigkeiten des 21. Jahrhunderts. Sie sucht Antworten auf die Frage: Wie kann eine umfassende ökonomische, ökologische und geistige Zusammenarbeit der Menschen im Donauraum verwirklicht werden?

Beweise für die Vitalität dieser geistigen Bewegung gibt es bereits ohne Zahl. Bücher, Zeitschriften, Symposien, Kongresse tragen behutsam das Baumaterial zu einer einzigen Vision zusammen. Was in Paris Milan Kunde-ra, in Budapest Peter Hanäk und György Konräd, in Triest Claudio Magris, in New York Joseph P. Strelka, in Österreich Zoran Kon-stantinovic und Moritz Csäky (siehe Seite 14) mit der gebotenen Sachlichkeit formulieren, hat mit Nostalgie nichts zu tun. Die alte Monarchie Österreich-Ungarn dient als Studienobjekt, nicht als Bild der Sehnsucht. Es gilt, verknöcherte Vorurteile zu überwinden, veraltete Strukturen aufzubrechen, nach den Möglichkeiten einer Erneuerung zu suchen.

Wenn es jemals ein Gebot der Stunde gegeben hat, so ist es diesmal erfaßbar. Selten waren die historischen Voraussetzungen eines geistigen Strebens mit derartiger Klarheit zu sehen, selten die Ziele so deutlich.

Der seinerzeit verständliche, oft auch notwendige Begriff des nationalen Kleinstaates hat seine Aufgabe erfüllt; neue Dimensionen der Kommunikation und der

Technik fordern eine supranationale Arbeitsteilung. Aufgaben der Energiepolitik, des Umweltschutzes, der neuen technischen Revolution können nur grenzüberschreitend gelöst werden. Die nach 1945 entstandene Teilung in Ost und West wird nicht von der Tagespolitik, sondern vom Leben selbst in Frage gestellt, und eine neue Generation kann nicht begreifen, warum sie aufgrund von lange zurückliegenden Erwägungen daran gehindert werden sollte, den drängenden Forderungen ihrer eigenen Zukunft zu widersprechen.

Das Vertrauen in die ideologischen Heilslehren des 19. Jahrhunderts ist ebenso zusammengebrochen wie die Vorstellung, mit einem grenzenlosen Wachstum herkömmlicher Art könnte die Ökonomie funktionsfähig erhalten und dadurch der Mensch automatisch in einen Zustand des Glücks versetzt werden. Die Drehbühne des Denkens ist in Bewegung geraten; anachronistisch gewordene Bühnenbilder verschwinden; der Nebelvorhang hebt sich, und jenseits der verflogenen Einbildungen und Illusionen ist die Wirklichkeit der Gegenwart zu sehen. In neuer Ausformung, in ihrer potentiellen Wirksamkeit ungebrochen, zeigen sich die geistigen, die ethnischen, die geopolitischen Kräfte des Raumes.

Sie haben bereits in den letzten Jahren Wesentliches bewirkt. Längst besitzen die Wissenschaftler des Donauraumes ihre eigenen Organisationen; zwischen Österreich und Ungarn wurde vieles im neuen Geist geregelt; das neu erwachte Interesse vieler Italiener am Leben in Mitteleuropa kann auch mit Hilfe der Fremdenverkehrs-Statistiken gemessen werden; stille Querverbindungen zwischen tschechoslowakischen, ungarischen, jugoslawischen, polnischen und österreichischen Intellektuellen haben gute Vorarbeit geleistet. Vereinbarungen zwischen Wien und Prag über eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes, der Beschluß, in Krakau - als Kernzelle eines zukünftigen Kulturinstitutes — eine österreichische Bibliothek zu eröffnen, sind Ergebnisse der letzten Tage.

Beschränkte Funktionäre, phantasielose Bürokraten, mit Blindheit geschlagene Ideologen werden in Ost und West nicht verstehen können, daß die regionale Zusammenarbeit im Donauraum friedliche Kräfte freisetzt, ohne dabei den Status quo oder die Idee der Koexistenz zu beeinträchtigen, daß, im Gegenteil, hier in der Tat Koexistenz praktiziert wird, allerdings mit neuen, zeitgemäßen Mitteln. Spätestens nach Vollendung des Rhein-Main-Donaukanals werden auch solche strenge Wächter der Vergangenheit den großen Wandel erkennen müssen. Das Leben ist letztlich stärker als die Dummheit.

Die Regierungen, die Politiker stehen in diesem Sinne unter Zugzwang. In Österreich hat bisher allein Erhard Busek Umrisse einer Donaupolitik skizziert. Einige Äußerungen von Außenminister Leopold Gratz und eine Studie des Abgeordneten Wendelin Ett-mayer lassen ebenfalls manches erhoffen. Damit ist es allerdings nicht getan. Nicht nur die vorhandenen Elemente einer geistigen Disposition, sondern vor allem die politischen Gegebenheiten der aktiven Neutralität fordern eine tätige Teilnahme im mitteleuropäischen Integrationsprozeß. Österreich muß die formenden Kräfte der Zeit erkennen und ihnen zur vollen Entfaltung verhelfen - zum Wohl aller Europäer.

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