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Parteibuch-Republik

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Die heimliche Aufteilung der Republik Österreich in viele rote und schwarze sowie einige kleinere blaue Kuchenstücke bringt vor allem junge Menschen zur Verzweiflung: Der sicher nicht ganz an den Haaren herbeigezogene Eindruck, daß ein „Roter“ im Verwaltungsdienst der schwarz regierten Bundesländer oder in der Handelskammer nicht viel verloren hat und daß sich ein „Schwarzer“ um eine Stelle im Magistrat Wien, bei der Bundesbahn oder in der Arbeiterkammer lieber gar nicht erst bewirbt, ist weit verbreitet.

Der Umstand, daß vor allem die Wahlbeteiligung der Jungwähler in Wien und Niederösterreich überproportional gesunken ist und daß überall von „Verdrossenheit“ mit Staat und Politik die Rede ist, hat gewiß mit der Parteibuch-Wirtschaft zu tun: Es ist einfach nicht zu übersehen, daß in Österreich zwischen den meisten einflußreichen Arbeitsplätzen und der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei ein sehr lebhafter Zusammenhang besteht - im öffentlichen Dienst genauso wie in den staatlich beeinflußten Wirtschaftszweigen, in den Spitälern wie in den Schulen, in den Theatern wie im Rundfunk.

Das Ergebnis dieser Praktiken ist, daß beispielsweise die Verwaltungen der Bundesländer in weit ausgeprägterer Form in der Hand jener Parteien sind, die bei der Landtagswahl die Mehrheit haben. Drastischestes Beispiel: In Niederösterreich, wo nur noch wenige Stimmen-Prozente die beiden Großparteien trennen, gibt es keinen einzigen Bezirkshauptmann und keinen einzigen Abteilungsleiter in der Landesregierung, der nicht der Volkspartei zuzurechnen wäre.

Den niederösterreichischen

Schwarzen können freilich die Wiener Magistratsbeamten das Wasser reichen. Daß Angehörige der ÖVP im Wiener Rathaus ähnliche Attraktionen sind wie Tiere einer aussterbenden Rasse, ist hinlänglich bekannt. Ungewiß ist nur, ob auch der in schwindelnder Höhe angebrachte Rathausmann Mitglied der SPÖ ist, wie Erhard Busek immer wieder vermutet.

In den Zentralausschüssen der Personalvertretung steht es in Niederösterreich 18 : 1 für die ÖVP, in Kärnten 14 : 3 für die SPÖ, in Oberösterreich 17 : 2 für die ÖVP. Lediglich im sozialistisch regierten Burgenland sind die schwarzen Beamten in der Uberzahl: Noch?

Nicht minder triste ist die Lage bei den Lehrern. Hier gibt es in nahezu allen Bundesländern proporzmäßig besetzte Ernennungs-Kommissionen, die nach einem sturen Schlüssel Posten vergeben. In Niederösterreich etwa lautet der paktierte Schlüssel 60 : 40 zugunsten der ÖVP. Freilich ist die Zugehörigkeit zu einer Partei bei Eintritt in den Lehrberuf noch nicht so interessant. Erst wenn es um die Karriere geht, um die Posten der Fachvorstände und Direktoren, kommt das Parteibuch zu Ehren. Zuerst muß die Farbe stimmen, hinterher kommt die menschliche Qualifikation, so scheint es. Dann und wann darf die Farbe blau sein.

Eine erfreuliche Ausnahme ist hier das Land Oberösterreich. Dort hat man sich bemüht, die Lehrer-Ernennung zu „objektivieren“. Die Parteibuchwirtschaft wurde zugunsten eines strengen Punktesystems zurückgedrängt. Schade, daß ein Interesse, dieses Modell anderswo nachzuahmen, so gut wie gar nicht vorhanden ist.

Österreichs Parteibuch-Wirtschaft treibt mitunter komische Blüten: Bei Personalvertretungswahlen kommt es immer wieder vor, daß die vorherrschende Partei weniger Stimmen bekommt, als sie Mitgliedsbücher ausgegeben hat. Die Anonymität der Wahlzelle schützt vor Gesinnungsdruck. Bei den Personalvertretungswahlen in den Arbeiterkammern tauchen regelmäßig ein paar schwarze U-Boote auf, in den schwarzen Bereichen gibt es bei solchen Gelegenheiten stets ein paar

SPÖ-Stimmen von Arbeitnehmern, die eigentlich Mitglieder des ÖAAB sein müßten.

Sieht die Parteien-Wirtschaft in den unteren Rängen noch relativ harmlos aus, so nimmt die Freunderlwirtschaft mit dem Einfluß des jeweils zu besetzenden Postens zu. Meisterhafte Arrangeure auf diesem Gebiet sind die seit 1970 auf Bundesebene allein regierenden Sozialisten. Die Machtausübung in entscheidenden Positionen der Verwaltung und auch der Verstaatlichten Industrie durch Leute ihres Vertrauens haben die Sozialisten durch verschiedene, einander ergänzende Methoden zu sichern versucht:

• Oft ist es gelungen, in Pension gehende „Andersgläubige“ durch Sozialisten zu ersetzen.

• War dieser Weg nicht gangbar, wurde etwa bei Pensionierung eines schwarzen Sektionschefs ein ebenfalls kurz vor der Pensionierung stehender ÖVP-Mann zum Nachfolger gemacht und gleichzeitig ein SPÖ-Mitglied für den zweiten Anlauf in eine gute Startposition gebracht.

• Waren schwarze Vertrauensleute -etwa in der Verstaatlichten Industrie - nicht so schnell loszuwerden, dann begann man die Kompetenzen neu zu verteilen: weniger Macht für den Schwarzen, mehr für den Roten. Die interne Machtverschiebung in den Ministerien funktionierte vielfach so, daß der Minister eine Unzahl persönlicher Referenten zu sich holte und deren Kompetenzen über die der höchsten leitenden Beamten stellte.

Bis 1966 (Ende der großen Koalition) gab es „rote“ und „schwarze Ministerien“ (eigentlich bis 1970, weil die ÖVP nicht eine so „geschickte Hand“ hatte wie seither die SPÖ). Unterricht, Landesverteidigung, Land- und Forstwirtschaft waren beispielsweise traditionell schwarz, Soziales, Inneres und Verkehr rot. Seit 1970 hat sich das geändert. Bei den Wahlen in die Personalvertretung hat die SPÖ in ehemals ÖVP-dominierten Häusern (Bundeskanzleramt, Unterricht, Landwirtschaft) dem ÖAAB schon beachtliche Stimmenanteile abgenommen.

Ein typisches Beispiel dafür, wie man politisch einflußreiche Spitzenpositionen gezielt besetzen kann, ist das Landesverteidigungsministerium: Früher gehörten alle fünf Sektionschefs der ÖVP an oder standen dieser nahe. Heute ist Adolf Kolb der einzige der ÖVP voll zurechenbare Sektionschef. Zu zwei Sektionschefs hat die ÖVP neutrale bis gestörte Beziehungen (Wingelbauer, Spannoc-chi), zwei weitere gehören der SPÖ an (Sailer, Jetzl).

Schade, daß das Stichwort Parteibuch-Wirtschaft zumindest den beiden hauptbetroffenen Großparteien nicht attraktiv als Wahlkampfthema erscheint. Eine beiderseits ausgewogene Parteibuch-Abrüstung würde aber auf breite Sympathien stoßen.

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