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Parteisoldaten & halbe Wahrheiten

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Der Kritik des SPÖ-Parteise-kretärs Heinrich Keller am Richterspruch in der Causa Sinowatz-Worm muß im Namen der Wahrheit widersprochen werden. Insbesondere sein Vorwurf, der Richter habe „unzulässige politische Wertungen vorgenommen“, ist aus rechtlichen Gründen völlig verfehlt. Es ist ein tragender Grundsatz der Strafprozeßordnung, daß der Richter „nicht nach gesetzlichen Beweisregeln“, sondern nach seiner „freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Uberzeugung“ entscheidet (Paragraph 258).

Ein Urteil darüber, ob diese freie Beweiswürdigung inhaltlich richtig war oder nicht, steht ausschließlich dem unabhängigen Richter zweiter Instanz zu.

Auch Kellers Vorwurf, der Richter habe in seiner Urteilsbegründung unnötigerweise eine Verurteilung von Sinowatz vorweggenommen, ist völlig unberechtigt. Ein Urteil, das aufgrund einer Privatklage ergeht, muß auf das Vorbringen des Privatanklägers substantiell eingehen und es würdigen, und der Privatankläger hieß eben Sinowatz. Dieser kann daher auch im laufenden Verfahren gar nicht verurteilt werden, sondern höchstens in einem neuen, in dem er wegen falscher Beweisaussage vor Gericht Beklagter wäre.

Der Richter hat recht, wenn er erklärt, er habe in der Urteilsbegründung nur soweit in Persönlichkeitsrechte eingegriffen, als dies unbedingt erforderlich war. Folgerichtig ist in der Urteilsbegründung auch nicht erwähnt, daß - was aus dem Urteil ableitbar ist — praktisch der gesamte Landesparteivorstand der SPÖ-Burgenland objektiv die Unwahrheit gesagt hat.

In einem Punkt ist Keller freilich recht zu geben: besonders parteitreue Menschen sind selbstverständlich nicht von vornherein mehr oder weniger wahrheitsliebend als andere Zeitgenossen. Gegenteiliges wurde im Urteil auch nicht behauptet.

Aber allzugroße Parteidisziplin macht mitunter blind, sodaß ganz simple Wahrheiten übersehen werden. Zum Beispiel die, daß Kellers Äußerungen genaugenommen eine glatte Vorverurteilung des Beklagten Alfred Worm darstellen. Wie sich das mit der gerade von Keller immer wieder betonten Unschuldsvermutung des Artikel 6 der Menschenrechtskonvention verträgt, wird sich wohl nur der engagierte Parteisekretär, nicht aber der profilierte Jurist Keller erklären können.

So gesehen hat Parteisekretär Keller selbst den Beweis für die dem Richter zu Unrecht unterstellte These erbracht, daß allzugroße Parteitreue und die Wahrheit sich eben nicht gut vertragen.

Wenn sich Fred Sinowatz, der dem Bundespräsidenten „sorglosen Umgang mit der Wahrheit“ vorgeworfen hat, nun seinerseits auf „Gedächtnislücken“ beruft, so ist diese Pikanterie wohl auch für die SPÖ nur mehr Nebensache: Bundespräsident will Sinowatz ja wohl nicht mehr werden.

Das natürliche Spannungsverhältnis zwischen Parteitreue und Wahrheitsliebe war auch im letzten ORF-„Inlandsreport“ (15. Oktober) zu spüren, wo man versuchte, den Richter durch ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat aus der Begründung jenes Urteils, mit dem die gegen ein ausdrückliches Verbot erfolgte Wiederaufführung des Filmes „Gespenster“ sanktioniert wurde, ins „rechte Eck“ zu drängen.

Dabei wurde (un)verschämt verschwiegen, daß dieses Urteil von der Rechtsmittelinstanz vollinhaltlich bestätigt wurde. Das war — in der Sprache des ORF-Generalintendanten - ein schwerer Schlag unter die Gürtellinie.

Der Rechtsstaat hat in den letzten Jahren mehr als genug unter allzugroßer Parteitreue in allen nur möglichen Spielarten gelitten. Durch dieses Urteil hat die übertriebene Parteidisziplin wenigstens einmal verloren. Weitere Niederlagen seien ihr von Herzen gegönnt.

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