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Partisanen oder Hochverräter ?

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Hans Magenschabs Buch über Andreas Hofer, das demnächst im Verlag Sty-ria, Graz, erscheinen wird, bietet einen umfassenden Überblick von bedrängender Aktualität.

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Hans Magenschabs Buch über Andreas Hofer, das demnächst im Verlag Sty-ria, Graz, erscheinen wird, bietet einen umfassenden Überblick von bedrängender Aktualität.

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Ein Blick in die Zeitungsspalten unserer Tage läßt keinen Zweifel aufkommen, warum eine Beschäftigung mit Andreas Hofer und seinen Tirolern heute sinnvoll ist: Der Wirt aus dem Passeiertal repräsentiert die erste militärisch-organisierte Widerstandsbewegung Mitteleuropas, die nationale Befreiungsziele—im Sinne eines tirolerischen Patriotismus — verfolgte; eine Guerillabewegung unter einem Oberbefehlshaber, der zumindest in der zweiten Hälfte des Jahres 1809 auch zivile Befugnisse der Machtausübung in Anspruch nahm; und eine revolutionäre Aktion, die zwar nicht die Gesellschaftsordnung verändern, aber das feudale Legitimitätsprinzip letztlich doch auf den Kopf stellen sollte.

Tirols Selbstbefreiung, und eine solche hat stattgefunden, sowie die Erfolge der Bauern unter Andreas Hofer gegen die bestgerüstete Armee der damaligen Welt hat eine ganz neue Dimension in der europäischen Geschichte eröffnet: die Mobüisierung von „Untertanen" zu einem nationalen Befreiungskampf. Andreas Hofer zwischen Napoleon und Kaiser Franz war aus der Sicht des 19. Jahrhunderts eine ungeheure Kampfansage an das Prinzip des feudalen wie bonapartisti-schen Absolutismus.

Befreiungsbewegung, Guerilla, Partisanenkampf, Revolution und Resistance führen auf dieses Modell zurück. Was in unseren Tagen das Geschehen im Libanon, in Afghanistan und Mittelamerika so bizarr erscheinen läßt, ist die Vergleichbarkeit der Grundsituation. Und so ist es zweifellos auch reizvoll, das Szenarium des Jahres 1809 einmal in der Terminologie des aktuellen Völkerrechts und der heutigen politischen Begriffe nachzuzeichnen.

Demnach war die bayrische Regierung in Tirol nach dem Friedensvertrag von Preßburg „legal", weil sie von allen Vertragsteilen — also auch Österreich — und der überwiegenden Mehrheit der Tiroler zwischen 1805 und 1809 als solche anerkannt wurde.

Die Kriegserklärung Österreichs im April 1809 gegen Bayern bedeutete einen wesentlichen Einschnitt. Heute würde man den Einmarsch der Österreicher in Tirol wohl als „Aggression" bezeichnen. Andreas Hofer und seine Mitkämpfer waren, indem sie sich gegen die Behörden erhoben, „Aufständische", die sich gegenüber dem Königreich Bayern strafrechtlich zu verfolgenden Hochverrats schuldig machten. Heute würde man einwenden, daß sie eventuell Handlungen im Sinne eines „nationalen Befreiungskampfes" setzten.

Die völlige Besetzung Tirols durch österreichische Truppen legalisierte insofern Andreas Hofers Bewegung, als Gewaltakte durch die „Besatzungsmacht" nicht mehr verfolgt wurden.

Das Bild änderte sich, als die Österreicher im Hochsommer 1809 Tirol so gut wie vollständig verließen. Andreas Hofer als „Oberkommandierender" stieß zwar in ein „Machtvakuum" vor, doch kann man nicht ernsthaft davon ausgehen, daß er und seine Kämpfer Völkerrechtssubjekte geworden wären, nachdem sie keine „Gegenregierung" bildeten.

Der Einmarsch der Bayern stellte im Juli sohin eine Inbesitznahme des Landes im Einklang mit der Doktrin von der „Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung" dar. Die Entsendung der Franzosen war keine „Intervention", weil sie ja auf Ersuchen der Bayern gegenüber Napoleon I. hin erfolgte. Die Tiroler unter Waffen begingen jedenfalls „Widerstand gegen die Staatsgewalt" und „Bewaffnete Bandenbildung". Die weiteren Verbindungen mit Österreich waren neuerliche Hochverratsakte.

Der Sieg Hofers am 13. August am Berg Isel änderte die Sachlage neuerlich. Sein Einzug in die Innsbrucker Hofburg als „Regent" bedeutete wohl die Bildung einer „Gegenregierung", die infolge der Macht des Faktischen auch völkerrechtliche Relevanz hatte.

Der Friedensvertrag von Schönbrunn bedeutete, rein juristisch gesehen, für die Tiroler im Grunde nichts. Man hatte ihnen -so würde man heute wohf argumentieren - ja nicht das „Selbstbestimmungsrecht" gegeben, ja sie davon ausgeschlossen. Ihr Recht auf „kollektive Selbstverteidigung" wäre - aus moderner Sicht - also durchaus zu rechtfertigen gewesen.

Die Rückeroberung Tirols durch Bayern und Franzosen bedeutete ab Oktober 1809 zwar den „Verlust der effektiven Herrschaftsausübung" Hofers. Aber sein Widerstand war so gesehen kein Völkerrechtsbruch und im Grunde auch keine Hochverratshandlung. Denn zwischen Österreich einerseits, Bayern und Frankreich andererseits bestand ja kein Kriegszustand mehr, es konnte also auch keine feindliche Macht „begünstigt" werden.

Hingegen ist der im Spätherbst 1809. immer wieder entflammende Kampf nach den diversen Amnestieerklärungen als rein innerstaatlich zu definierende Insurgententätigkeit zu sehen, also als Verstoß gegen das bayrische Strafrecht infolge Bewaffnung, Widerstand, Bandenbildung, Totschlag etc.

Damit erhält der Prozeß in Mantua gegen Hofer im Februar 1810. eine ganz andere Dimension. Die Verurteilung durch ein französisches Kreisgericht war — aus heutiger Sicht-rechtswidrig. Hofer war ja bayrischer Untertan und die Anwendung französischer Kriegsgesetzartikel unzulässig. Ein ziviles bayrisches Strafgericht hätte tätig werden müssen.

Die Anwendung unserer modernen Rechtsbegriffe auf die „Strafsache Hofer" ist natürlich von vielen Wenn und Aber belastet. Vor allem auch durch den Umstand, daß das Völkerrecht auch heute keinesfalls verläßliche Antworten bereithält. Vielmehr ist die Problematik der „Volksbefreiungsbewegungen" unserer Tage ein Beispiel für die Unfähigkeit des internationalen Rechts, mehr als nur theoretische Abstraktionen zu bemühen.

Aber einst wie heute ist doch eines kennzeichnend: daß der nationale Befreiungskampf und Widerstand im Namen einer „Idee" die eigentliche Inspiration der Völker geblieben ist. Die glorifiziertesten Helden der Geschichte waren einstmals und auch in unseren Tagen die Führer heroischer Unternehmen im Dienst der „Freiheit". Sie sind es, die den Mythos über alle Zeiten hinweg begründen.

Auch Andreas Hofer ist zu einem Mythos geworden. Das macht es schwierig, sich mit seiner Person vorurteilsfrei zu beschäftigen.

Aus dem Vorwort zu „Andreas Hofer — Zwischen Napoleon und Kaiser Franz" von Hans Magenschab. Leicht gekürzt.

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