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Partnerschaft statt Hilfsdienst?

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Im Trommelwirbel der Zeitungen und Fernsehkommentatoren über Watergate geht momentan die Außenpolitik der Regierung Nixon unter: selbst C. L. Sulzberger, der angesehene Außenpolitiker der New York Times, warnt, daß die Lähmung der Regierungstätigkeit durch Watergate die Gegner der USA in West- und Ostasien zu riskanten Abenteuern ermuntern könnte. Eine neue OffenstaiBe in Vietnam ei wahrscheinlich, eine Explosion im Nahtnl^teh möglich. Der amerikanische Trieb zur Selbstrerfleischung für die Reinhaltung idealistisch gesehener Prinzipien und Von Demokratie scheint momentan vor nichts haltzumachen.

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Im Trommelwirbel der Zeitungen und Fernsehkommentatoren über Watergate geht momentan die Außenpolitik der Regierung Nixon unter: selbst C. L. Sulzberger, der angesehene Außenpolitiker der New York Times, warnt, daß die Lähmung der Regierungstätigkeit durch Watergate die Gegner der USA in West- und Ostasien zu riskanten Abenteuern ermuntern könnte. Eine neue OffenstaiBe in Vietnam ei wahrscheinlich, eine Explosion im Nahtnl^teh möglich. Der amerikanische Trieb zur Selbstrerfleischung für die Reinhaltung idealistisch gesehener Prinzipien und Von Demokratie scheint momentan vor nichts haltzumachen.

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In dieser Atmosphäre allgemeiner Unsicherheit lancierte Präsident Nixon durch seinen außenpolitischen Berater eine Initiative, deren Auswirkungen noch lange fühlbar sein werden, wenn Watergate längst vergessen ist — und Kissinger präsentierte den Rahmen einer neuen Atlantikcharta, basierend auf Partnerschaft; der deutsche Bundeskanzler Brandt hatte bei seinem Staatsbesuch weriige Tage später Gelegenheit, als erster Europäer zu diesem Konzept Stellung zu nehmen.

Als General Marshall vor 26 Jahren in seiner berühmten Harvard-Rede das Konzept des Marshallplanes umriß, hatte er nicht nur den wirtschaftlichen Grundstein zur Einigung Europas gelegt, sondern auch Teile der ursprünglichen Atlantikcharta gerettet, in der Roseveit und Churchill im Jahre 1941 ihre Kriegs- und Nachkriegsziele niedergelegt hatten.

Wenn auch die Nachkriegsentwicklung Prinzipien wie das politische und nationale Selbstbestimmungsrecht der Völker für Osteuropa zur Karikatur verzerrten, wurden diese Grundsätze wenigstens für Westeuropa gerettet, zusammen mit den Idealen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit trotz Wettrüstens und kaltem Krieg. Roosevelt und Churchill verstanden, daß die Menschen nur durch große Konzepte zusammengeführt werden können, denen sie ihre individuellen Anstrengungen unterordnen mußten.

Aus der Notlage des Westens entstand der Zwang zur Vereinigung, mit der amerikanischen Wirtschaftshilfe als Bindemittel.

Der Aufstieg aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges ging nicht ohne Rückschläge für die Idee der Europäischen Einigung vor sich, die rieh vor allem am militärischen Abwehrsektor manifestierten. Noch immer wird das freie Europa von amerikanischen Mannschaften und Waffen verteidigt, obwohl Frank-

reich das gemeinsame NATO-Kon-zept durchlöchert hat. Aber man versteht hier sehr wohl, daß Jahrhunderte nationalistischer Geschichte nicht in wenigen Jahren aus bloßer Vernunft und Überlegung überwunden werden können.

Aber auch hier, in den USA, hat man sich an die verschiedenen europäischen nationalen Einheiten gewöhnt. Schließlich besteht die „Amerikanische Nation“ im wesentlichen aus europäischen Emigranten, die in den Idealen des Nationalstaates aufgewachsen sind. Das Bild des „alten Europa“ ist daher in Amerika viel nationalistischer, als es die Gegenwart in Europa reflektiert.

In den sechziger Jahren sind die Vereinigten Staaten durch ihre Großmachtpolitik ärmer geworden. Kriege und globale Hilfsaktionen haben die wirtschaftlichen Kräfte und Energien über Gebühr beansprucht, Während in Europa eine Stunde Null schlug, die verbunden mit einem neuen Produktionsapparat frische Kräfte und Initiativen frei machte. Aus dieser Entwicklung entstand in den USA eine Einstellung zu Europa, die einerseits von den Europäern die Realisierung der Idealvorstellung vom geeinten Europa so schnell wie möglich forderte, anderseits jeden Rückschlag mit höhnischen Kommentaren bedachte. Unisono aber wurde auch jeder Schritt nach vorwärts mit einem „caveat“ vor den ungünstigeren Konkurrenzverhältnissen beantwortet.

Das „Ihr werdet euch ja niemals einigen können“ steht also im Widerspruch zu dem „Wir haben euch ja geholfen, das müßt ihr uns ewig danken“.

Diese Ungereimtheiten hüben und drüben (bekanntlich gibt es — historisch gesehen — keine „Dankbarkeit“ — führte zu einem langsamen Auseinanderleben. Der Atlantik scheint immer größer zu werden. Die USA verlangen den Abbau von Han-

delsschranken und drohen mit dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte. Uneinigkeiten über Wäh-rungs- und Geldpolitik liegen in der Natur dieser komplizierten Materie, belasten jedoch das Verhältnis zusätzlich.

Eine neue Initiative zur ideellen Überbückung dieser Spannungen war daher notwendig. Nixon sieht sie in einem neuen atlantischen Rahmen. Seine Initiative kommt im richtigen Zeitpunkt; .vor mehreren Staatsbesuchen des Präsidenten in europäischen Hauptstädten und vor dem Beginn verschiedener komplizierter handels- und zollpolitischer Verhandlungen. Gerade Nixon, der Pragmatiker, weiß, wie wichtig es ist, komplexe Detailverhandlungen einem größeren Konzept unterzuordnen,

Kissinger, der Baumeister dieser Initiative, ist genug Europäer, um bei seinem Vorsehlag nicht zu konkret zu werden. Er weiß, daß Europa jegliche amerikanische Initiative, die seine Einigung berührt, als Pa-tronisierurug empfindet. Er versichert die Europäer daher einer objektiven amerikanischen Haltung bei den kommenden handelspolitischen Gesprächen, demnach einer Unterordnung unter ein Konzept der atlantischen Partnerschaft. Er verspricht die Belassung amerikanischer Streitkräfte in Europa — obwohl Kissinger natürlich nicht für den Kongreß sprechen kann: Er unterstreicht schließlich, daß Europas Interessen nicht bei den kommenden Großmächten geopfert werden sollen. Diese Bemerkung ist jedoch nach beiden Seiten gerichtet. Man hat in den USA, auch wenn das nicht ausdrücklich ausgesprochen wurde, manche Ostinitiative der Bundesrepublik mit Stirnrunzeln bedacht. Manche Unmutsäußerungen wurden zwar weitergegeben, waren aber so vorsichtig formuliert, daß die deutsche Bundesregierung sie der Bevölkerung sogar als Alibi weitergeben konnte.

Was die amerikanische militärische Präsenz in Europa betrifft, so Ist die amerikanische Zusicherung nicht selbstlos. Nixon hat immer wieder betont, daß die Abrüstungsgespräche mit der Sowjetunion nur von einer Position der Stärke aus geführt werden können. Ein einseitiger Rückzug der-US-Truppen aus Europa würde die taktische Stellung der Amerikaner unmöglich machen. Dieser Logik hat sich bis jetzt auch der Kongreß angeschlossen.

Da schließlich die handelspolitischen Schwierigkeiten mit Europa nach den Abwertungsoperationen des Dollars weniger akut sind als jene mit Japan, sieht das neue Atlantikkonzept eine Einbeziehung Japans vor, obwohl geographisch dafür keinerlei Motivierung gegeben ist. Japan ist jedoch ein wachsender Faktor im Wirtschaftsleben der freien Welt — und gelingt es, die japanischen Interessen unter einen atlantischen Hut zu bringen, so würde das die Allianz wesentlich stärken.

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