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Pascha-Politik

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Die Türkei hat ihre Haltung in der Zypernfrage und der Auseinandersetzung um das Ägäis-Erdöl erneut verschärft. Bei Ministerpräsident Demirel und seinem ganz undiplomatisch harten Außenminister Caglayangil sind sowohl der jugoslawische Staatschef Tito auf Staatsbesuch mit einem Vermittlungsvorschlag zugunsten von Nikosia und Athen, wie UNO-Generalsekretär Waldheim beim Versuch zur Verlängerung des Mandats seiner Zyperntruppe ohne Grundsatzdiskussion, in Ankara ganz einfach abgeblitzt.

Eine solche großtürkisch-osmani-sche „Pascha-Politik“ war von dem Doppelgespann Demirel-Caglayangil schon während ihrer ersten gemeinsamen Regierungszeit vor rund einem Jahrzehnt betrieben worden. Damals allerdings noch ganz friedliebend bei Erkundungs- und Freundschaftsmissionen in alle einstmals der Hohen Pforte untertänigen Länder, von Albanien bis zum Irak. Die brutal-abenteuerliche Zypernin-vasion ihres innenpolitischen Linksrivalen Ecevit von 1974 und dessen Handgriff nach dem von den Griechen vor der türkischen Küste gefundenen Erdöl bot den beiden Restauratoren der guten, alten Türkenherrlichkeit bei ihrer Wiederkunft in Ankara nun auf einmal geradezu ideale Voraussetzungen.

In der alten Sultansstadt Istanbul am Bosporus sind alle diese Sehnsüchte am deutlichsten zu spüren. Nationalismus und Fortschrittsgläubigkeit, aus denen Kemal Atatürk in der Zwischenkriegszeit seine neue, europäische Türkei zu formen versuchte, sind inzwischen im Lager der kemalistischen „Republikaner“ in Linksextremismus ohne Kopf und Ziel gemündet. In verschiedenen Istanbuler Vierteln, wie Uyüb oder Sisli, liefern diese extremistischen Kampfgruppen der blau uniformierten Polizei regelmäßig Feuergefechte.

Die zur Zeit in der Türkei an der Macht befindlichen „Antikemalisten“ alter Schule hatten sich lange nur durch betonte Treue zum islamischen Erbe und wehmütige Rückblicke auf die Herrlichkeit und Machtfülle der Osmanen hervortun können. Heute haben sie auf Zypern alten „Reichsboden“ zurückgewonnen und liebäugeln schon mit „Mü-dili“, wie sie das heute griechische Lesbos mit seinem alten türkischen Namen von vor 1912 nennen.

Die in Istanbul aus den Tagen des alten, internationalen Konstantinopel zurückgebliebenen Minderheiten, Armenier, Juden und vor allem Griechen, wissen von dem Dünkel neuer türkischer Größe ein bitteres Lied zu singen. Ihre illegale Auswanderung bat in den letzten zwei Jahren Ausmaße angenommen, die viele Gassen und Geschäftsstraßen der Levantinerviertel am Goldenen Horn, in Beyoglu und Pera völlig zu veröden droht. In den 37 griechischen Volks- und sechs Oberschulen dieser einzigen türkischen Weltstadt lernen nur noch wenige Kinder, die armenische Zentrallehranstalt drüben, jenseits der Meerenge, in Üskü-dar, steht unter Polizeiaufsicht, seit sich die Überfälle armenischer Terrorgruppen auf türkische Bötschaften häufen; und die lange berühmten Talmud-Thora-Schulen von Instan-bui haben alle Attraktivität in der jüdisch-mediterranen Welt eingebüßt.

Selbst in der ersten Klasse der Schiffe, die hinaus ins Marmarameer zu den „Adalar“, den Prinzeninseln, dampfen, wagen diese bedrängten „Nicht-Türken“ ihre wenigstens weiter erscheinenden Zeitungen nicht offen hervorzukramen. Sie lesen den „Chronos“, „Husaper“ oder „Ladino“ eingelegt in das Großformat von „Hürriyet“ oder „Cum-hüriyet“. Auf der ersten Insel, daher auch auf griechisch „Proti“ genannt, waren noch' vor wenigen Jahren nichts als Armenier zu Hause, von denen heute nur wenige Hundert zurückgeblieben sind. In ihren Villen hat die Stadtverwaltung Neuankömmlinge aus Anatolien untergebracht, fanatische Muslime mit blinder Anhänglichkeit an Demirel und seinen restaurativen Weg. Ähnlich steht es auf der folgenden „Judeninsel“ Burgaz und drüben bei den Griechen auf dem doppelsatteligen Heybeli-ada._ Fast alle byzantinischen Klöster sind enteignet und in Militärschulen umgewandelt worden.

Wenigstens ist es hier noch nicht so schlimm wie jenseits der Dardanellen auf Imbros und Tenedos, die früher einmal ein besonderes Autonomiestatut besessen haben. Der rein griechischen Bevölkerung sind türkische „Agrargefängnisse“ mit .halbfreien Häftlingen in den Nacken gesetzt worden, die sich zu Geißeln der Einwohner entwickelt haben.

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