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Pathos der Verzweiflung

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Es fällt im Moment selbst einem unaufmerksamen Beobachter nicht schwer, sich kritisch über den Zustand dieser Republik und der in ihr üblichen Diskussionskultur zu äußern. Wenn sich diese Chance auch viele nicht entgehen lassen, so befaßt sich die Kritik in wesentlichen Punkten doch nur mit den Symptomen einer Krise.

Selbst die Kritik an der sogenannten österreichischen Lebenslüge nach 1945 folgt eingefahrenen Denkstrukturen und mündet allenfalls in die verbale Bereitschaft der beiden Großparteien, des Untergangs der Ersten Republik gemeinsam anläßlich des 50. Jahrestages zu gedenken.

Ohne bestimmten Kurs treibt diese Republik jeweils auf Gedenktage zu und stellt mit Erstaunen fest, daß weder die inländische Bevölkerung zu engagiertem Bekenntnis bereit, noch das Ausland von den Bemühungen Österreichs, österreichisches Selbstverständnis auf eine ehrliche Basis zu stellen, überzeugt ist.

Die offiziellen Vorbereitungen auf das Gedenken des 50. Jahrestages der Auslöschung Österreichs im März 1938 sollten Gelegenheit bieten, die offensichtliche Unfähigkeit der Republik, ihrer Geschichte in angemessener Form zu gedenken, entgegenzuwirken.

Dabei kann es nicht so sehr um offizielle Festveranstaltungen und Truppenparaden gehen, sondern darum, daß die Republik Österreich für sich selbst unter Beweis stellt, daß sie in der Lage ist, auch schwierige Jahreszahlen ihrer Geschichte weder beschwichtigend noch mit einem verspäteten Pathos der Verzweiflung zu begehen.

Die Zweite Republik hat in ihrer Geschichte wiederholt Probleme mit ihren Gedenktagen gehabt. Es sei nur an den mühsamen Prozeß erinnert, der im Anschluß an den sogenannten Tag der Fahne im Jahre 1966 schließlich zu der Entscheidung führte, den 26. Oktober zum österreichischen Nationalfeiertag zu erklären.

Unklar bleibt bis zum heutigen Tag, was denn nun eigentlich die Vertreter dieser Republik mit ihrer Idee verfolgen, als Hauptereignis dieses 26. Oktobers seit einigen Jahren nationale „Wandertage” zu veranstalten, die sich wohl weder in einer Steigerung des gesundheitlichen Wohlbefindens der Bevölkerung niederschlagen noch sonderlich die österreichische Eigenständigkeit gegenüber anderen Staaten und Nationen unterstreichen.

Wenn man nun nach den Gründen für diesen ungelenken Umgang mit feierlichen Anlässen fragt, so ist sicherlich auf manche Besonderheiten des österreichischen Selbstverständnisses hinzuweisen.

Die bis vor wenigen Jahren permanente und ungebrochene Erfolgsgeschichte „Österreich” hat individuell wie kollektiv Fragen der kulturellen Traditionen und der geistigen Herkunft an den Rand gedrängt. Die kulturpolitische Schattenseite der gesellschaftlichen Erfolge nach 1945 manifestiert sich im allzu bemühten Umgang mit den feierlichen Anlässen der Republik.

Nun mag man einwenden, daß diese Art des Leidens an den eigenen Erfolgen wohl zu akzeptieren ist. Schließlich mißt sich das staatsbürgerliche Wohl in erster Linie an den wirtschaftlichen Erfolgen und an dem Grad der gesellschaftlichen Zufriedenheit.

Trotzdem ist die Ideenlosigkeit der staatstragenden Kräfte zum Thema österreichisches Selbstverständnis nicht nur erschrek-kend, sondern auch gefährlich.

Immer dann, wenn an der glatten Oberfläche des funktionierenden Gemeinwesens im Gefolge von Gedenktagen Risse auftreten, zeigt sich die geringe Belastbarkeit intellektueller Auseinandersetzungen. Lagerdenken und politisches Kalkül treten an die Stelle von zwischenzeitlich lauthals verkündeter Vergangenheitsbewältigung.

Selbst wer sich um den nationalen Konsens bemüht, läuft Gefahr, an seiner eigenen Inszenierung allzuviel Gefallen zu finden.Der März 1988 sollte allerdings nicht dem Wohle der sogenannten Imagekampagne geopfert werden.

Beginnen wir unsere Vorbereitungen doch damit, eine einfache Erkenntnis zu akzeptieren. „Der kleinstaatliche Republikanismus hat keine Pauken und Trompeten”, formuliert Wolfgang Mantl.

Akzeptieren wir des weiteren, daß die Zweite Republik bereits eine Tradition von rein äußerlichen, jedoch inhaltslosen Manifestationen ihrer Selbstdarstellung kennt, die bei'den einen hämische Ironie und bei den anderen tiefes Unbehagen hervorrufen.

Nach wie vor gilt Walter Jam-bors Frage „Wie leer ist Österreich?”, mit der er 1969 auf die staatsbürgerliche Unterentwicklung in Österreich hinweisen wollte.

Auch wenn diese Leere mit den Worten vieler Festreden ausgefüllt werden wird, so gibt es leider noch keine Anzeichen dafür, daß es in den kommenden Jubiläen gelingen wird, zeitgeschichtliche Forschungen voranzutreiben und die österreichische Identität auf eine breitere Basis zu stellen. Ein Ende der Parallelaktionen wäre wohl angebracht.

An der Oberfläche ist alles recht patriotisch. Bei Anwesenheit des Bundespräsidenten wird die Bundeshymne abgespielt. Aber irgendwie bleibt die Bevölkerung davon weitgehend unberührt. Sie geht an den rot-weiß-roten Fahnen vorüber, nickt ihrem Staat freundlich zu, folgt ihren Parteien mit mehr oder weniger Freude, solange sie sich von ihnen noch etwas erwarten kann, und sieht im Staat die Obrigkeit, der man allenfalls zu gehorchen hat, für die man sich aber nicht verantwortlich fühlt.

Vielleicht ist dies der Preis, den wir dafür zu zahlen haben, daß in einem Land der permanenten Verspätung trotz verzögerter Nationsdiskussion, unvollkommener Demokratie und unvollendeter Republik zumindest der Alltag funktioniert. Für das Gedächtnis bleibt keine Zeit.

Vor diesem Hintergrund finden alljährlich die Nationalfeiertagsinszenierungen statt, vor diesem Hintergrund werden wohl auch die Gedenkfeiern im März 1988 stattfinden. Mein Unbehagen wächst weiter.

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