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Patriarchen als Befehlsempfänger ?

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Wurden die bescheidenen Erwartungen, die seitens der „linierten" an das vor genau 20 Jahren promulgierte Ostkirchendekret des Konzils geknüpft wurden, erfüllt?

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Wurden die bescheidenen Erwartungen, die seitens der „linierten" an das vor genau 20 Jahren promulgierte Ostkirchendekret des Konzils geknüpft wurden, erfüllt?

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Das Dekret über die katholischen Ostkirchen bereitete den Vätern des II. Vatikanischen Konzils einige Mühe, bevor es Papst Paul VI. am 21. November promulgieren konnte. Auch wenn das Dekret — und dies nicht bloß aus einer ostkirchlichen Sicht — manche bedauerlichen Mängel aufweist und sich sicherlich nicht durch einen Maximalismus auszeichnet, so bedeutete es doch gegenüber dem Ersten Vaticanum einen ganz erheblichen Fortschritt. Diesmal hörte man auf die Interventionen der östlichen Vertreter, obwohl die Hierarchen der mit Rom unierten Ostkirchen nur rund fünf Prozent aller Konzilsväter ausmachten. Manche ihrer Voten gingen in die Konzilstexte ein. Allerdings verfügten die katholischen Ostkirchen auch über überragende Persönlichkeiten (wie zum Beispiel den melkiti-schen Patriarchen Maximos IV. Saygh) deren Stimmen Gewicht besaßen.

Programmatisch heißt es im ersten Satz unseres Konzilsdekrets: „Die Ostkirchen mit ihren Einrichtungen und liturgischen Bräuchen, ihren Uberlieferungen und ihrer christlichen Lebensordnung sind in der katholischen Kirche hochgeschätzt" (§1). Zumindest in der Praxis der lateinischen Kirche war bis dahin eher das Gegenteil der Fall gewesen. Es waren meist nur Außenseiter, die sich um die Kenntnis der östlichen Traditionen verdient machten.

Inzwischen sind 20 Jahre seit der Promulgation des Dekrets vergangen. Welche Resultate sind zu verzeichnen? Inwieweit hat sich die positive Neueinschätzung östlicher Traditionen auch innerhalb der lateinischen Kirche durchzusetzen vermocht?

Zu diesen Fragen kann ganz generell angemerkt werden, daß selbst die bescheidenen Erwartungen der katholischen Ostkirchen, welche an diesen Text geknüpft waren, in weiten Teilen unerfüllt geblieben sind, auch wenn da und dort positive Ansätze existieren.

Die unierten Kirchen wurden — einmal mehr — das Opfer der Zeitumstände. Sie hatten im Konzil Interesse für die ostkirchlichen Uberlieferungen zu wecken gewußt und wurden paradoxerweise ein Opfer dieses neuerwachten Interesses. Denn im ökumenischen Frühling mit der Orthodoxie, den das Konzil hervorbrachte, erschienen die katholischen Ostkirchen, die sogenannten Unierten, plötzlich als Hindernis. Sie waren von orthodoxer Seite stets nur als „Abgefallene" und „Renegaten" eingestuft worden, mit denen man nichts zu tun haben wollte, Ihre Existenz belastete demnach die ökumenischen Beziehungen. Also waren die Unierten nicht mehr gefragt.

Was immer man für sie im Sinne des Ostkirchendekrets tat (und das war meist wenig genug), geschah unter der Voraussetzung, dadurch die Ökumene nicht zu belasten. Und während man die orthodoxen Gemeinden, die auf Grund der Bevölkerungsmigration in der abendländischen Diaspora entstanden waren, zu Recht und durchaus ökumenisch unterstützte, „vergaß" man die eigenen unierten Diasporachristen. Auch diese sollten zwar ihre eigene Tradition befolgen dürfen, aber viele lateinische Bischöfe empfinden noch immer ostkirchliche Gemeinden in ihrem lateinischen Sprengel als .einen unerwünschten Fremdkörper oder als ein exotisches Übel, besonders, wenn sie auch noch der lateinischen Jurisdiktion entzogen sind.

Schon 1917 hatte Benedikt XV. bestimmt, daß zumindest diejenigen, welche durch ihr Amt oder ihren apostolischen Dienst in engere Berührung mit den Ostkirchen und ihren Gläubigen kommen, sich „in der Kenntnis und Ausübung ostkirchlicher Gebräuche, in ostkirchlicher Ordnung, Lehre, Geschichte und charakterlicher Eigenart gründlich unterrichten lassen". Das Ostkirchendekret schärfte nicht nur diese Anordnung erneut ein, sondern forderte in § 4 für Klerus und Laien eine „Glaubensunterweisung über die verschiedenen Riten und ihre Bestimmungen". Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache.

An vielen Seminarien beschränkt sich die „gründliche Belehrung" in der Regel auf einen sogenannten „dies orientalis" mit Zelebration einer östlichen Liturgie. Die Information der Laien überläßt man der Privatinitiative einzelner oder irgendwelcher frommer Vereine. Von einer offiziell geförderten Unterweisung in ostkirchlicher Spiritualität kann kaum die Rede sein. Dementsprechend sind denn auch die Kenntnisse über die Ostkirchen selbst beim Klerus (wenn überhaupt) meist nur rudimentär vorhanden.

Nach dem Wortsinn des Dekrets handelt es sich bei den katholischen Ostkirchen um autonome Teilkirchen mit einem Patriarchen oder Großerzbischof an der Spitze, die der „Hirtenführung" des römischen Papstes unterstellt sind. Aber Rom hatte bis in jüngste Zeit stets erhebliche Mühe, die Würde seiner katholischen Patriarchen anzuerkennen. Während man den orthodoxen Patriarchen mit aller Ehrerbietung begegnete, wurden die katholischen Patriarchen von der römischen Kurie wie untergeordnete Befehlsempfänger behandelt. Sie mußten dauernd um ihre angestammten und verbrieften Rechte kämpfen.

Von der dekretierten „Hochschätzung" der katholischen Ostkirchen und ihren Traditionen ist bisher von der Spitze bis zur Basis meist nicht viel zu spüren gewesen. Muß man tatsächlich ein „getrennter Bruder" seir, um als Orientale im Westen respektiert zu werden? Dabei schauen gerade diese Orientalen sehr aufmerksam, wie es den Unierten in römischer Gemeinschaft ergeht, denn sie können daran ermessen, was sie im Falle der Wiedervereinigung unter Umständen selber erwartet.

Erst in jüngster Zeit hat sich die römische Haltung gegenüber den Unierten wieder etwas gebessert. Die Ökumene hat leider nicht gehalten, was sie zu versprechen schien, und so kommen die Unierten wieder mehr zu Ehren. Doch solche Abhängigkeit von einem negativen Ökumenebild ist im Grunde genommen fatal. Das Ostkirchendekret hat in diesem Punkte gerade den entgegengesetzten Akzent betont. Es wollte in den katholischen Ostchristen eine Brücke der Verständigung zu den getrennten Ostkirchen sehen, um dadurch die Einheit zu fördern, nicht zu behindern (vgl. § 24). Doch die Unierten können diese Dienstfunktion schwerlich erfüllen, solange man sie ins Abseits rückt und als „quantite ne-gligeable" behandelt.

20 Jahre nach Erscheinen des Ostkirchendekrets bleibt noch immer die Aufgabe, dieses in die Tat umzusetzen. Und auch heute noch besitzt der Ausspruch des unlängst verstorbenen ukrainischen Großerzbischofs Josef Sli-pyj, den er einst vor der römischen Bischofssynode tat, seine volle Berechtigung: „Meine Brüder, habt Erbarmen mit uns, die wir Orientalen in der katholischen Kirche sind."

Der Autor ist Ostreferent am Institut für weltanschauliche Fragen in Zürich.

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