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Patrioten können auf „Nummer Sicher" gehen

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„Bestrahlte Lebensmittel", „Zusatzstoffe", „Hormonfleisch", „Lebensmittelimitate": Begriffe, die für heimische Konsumenten immer wieder Anlaß zu Kontroversen sind, wenn es um das Thema EG geht. Hat man sich doch in Österreich an die lieb gewordene Vorstellung gewöhnt, daß die Bevölkerung durch das heimische Lebensmittelrecht geschützt wird.

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„Bestrahlte Lebensmittel", „Zusatzstoffe", „Hormonfleisch", „Lebensmittelimitate": Begriffe, die für heimische Konsumenten immer wieder Anlaß zu Kontroversen sind, wenn es um das Thema EG geht. Hat man sich doch in Österreich an die lieb gewordene Vorstellung gewöhnt, daß die Bevölkerung durch das heimische Lebensmittelrecht geschützt wird.

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Im Gegensatz zur österreichischen „Schutzphilosophie" vertritt das EG-Recht vor allem die „Informationsphilosophie". Der mündige Bürger soll selbst entscheiden, welche Nahrungsmittel er verzehren will, welchen Zusatzstoffen er sich ausliefert, welche Form der Bestrahlung er für seine Speisen toleriert.

Die Auswirkungen der unterschiedlichen Rechtspraxis sind leicht nachvollziehbar: Die österreichische Lebensmittelpolitik orientiert sich an relativ strengen Produktions- und Zulassungsbestimmungen, was zu einem hohen qualitativen und gesundheitlichen Standard führt, doch wird damit die Produktvielfalt und die Innovationsfähigkeit etwas eingeschränkt. Die Kennzeichnung der einzelnen Lebensmittel muß nicht jene Detailfreudigkeit wie in der EG haben, da die hohen Standards in der Nahrungsmittelerzeugung gesucht werden.

Die EG legt das Hauptgewicht auf die „Deklaration des Inhalts", dafür sind die Be- und Einschränkungen auf dem Produktionssektor nicht so gravierend. Das heißt in der Praxis: Eine Reihe von Lebensmitteln, die in der EG auf dem Markt sind, dürfen nach der heutigen Gesetzeslage in Österreich nicht verkauft werden.

Bei einem Beitritt Österreichs zur EG wird sich das Warenangebot ändern, denn für jedes Mitglied gilt der Grundsatz: „Ein Erzeugnis, das in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden ist, darf überall in der Gemeinschaft ungehindert verkauft werden." Dieses Prinzip beruht auf einem Entscheid des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 1979. Einschränkungen gibt es nur in jenen Bereichen, die durch einheitliche EG-Bestimmungen geregelt sind.

Zwar kann Österreich sein Lebensmittelgesetz, das über den Nahrungsund Genußmittelbereich hinaus reicht, da es auch für kosmetische Produkte und Gebrauchsgegenstände gilt, bei einem Beitritt zur EG oder zum EWR weiterhin beibehalten, doch nur für die heimische Produktion anwenden.

Ein haariges Probleme kommt mit der Bestrahlung von Lebensmitteln auf Österreich zu. Es gibt keine allgemein verbindliche EG-Richtlinie zum Thema Bestrahlung, das Europäische Parlament wie auch die Bundesrepublik Deutschland lehnen die Bestrahlung von Lebensmitteln grundsätzlich ab, doch in Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Niederlande und Spanien ist sie gestattet. Paragraph 14 des österreichischen Lebensmittelgesetzes verbietet, Lebensmittel, Verzehrstoffe oder Zusatzstoffe in Verkehr zu bringen, die mit ionisierenden Strahlen behandelt wurden. Im EWR ist das nationale Importverbot aufrecht zu erhalten, im Fall eines EG-Beitritts kommt das „Prinzip der gegenseitigen Anerkennung" zur Anwendung. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Bestrahlte Lebensmittel sind nicht radioaktiv. Die Bestrahlung dient der Zerstörung von Mikroorganismen, Schädlingen wie Insekten und Schimmelpilzen. Die „kalte Sterilisierung" (Bestrahlung macht keinen Temperaturanstieg notwendig) führt zur Verlängerung der Haltbarkeit und zur Verlangsamung des Reifungsprozesses. So wird etwa das Austreiben von Kartoffeln und Zwiebeln verhindert, bei Trockensuppen wird die Kochzeit verkürzt, die Konsistenz von Trockenfrüchten wird verbessert. Damit ergibt sich für den Konsumenten häufig das Aussehen im Frischezustand, der tatsächlich nicht mehr gegeben ist.

Da es bisher keine einheitliche EG-Richtlinie überdie Bestrahlungen von Lebensmitteln gibt, müßte etwa der österreichische Konsument in Erfahrung bringen, welche Nahrungsmittel in bestimmten Ländern bestrahlt werden, um beim Kauf auf das Herkunftsland zu achten.

Ähnlich problematisch erweisen sich Lebensmittelimitate. Im zunehmenden Maße werden Nahrungsmittel wie Butter, Käse oder Fleischprodukte nachgeahmt, indem bestimmte Milchbestandteile, meist Milchfett, durch pflanzliche ersetzt werden. Da die meisten Europäer ohnehin zu viel Fett essen, sind die Imitate im Sinne einer Reform des Emährungsange-bots interessant.

Großbritannien und Irland sind in der Herstellung und im Verkauf von Lebensmittelimitaten führend. 1978 kamen in Großbritannien die ersten Mischfette auf den Markt, bis 1988 hatten sie einen Anteil von rund 20 Prozent am Streichfettmarkt erobert. Imitate von Milchpulver und Sahne, sowie Sojamilch werden in Großbritannien ebenfalls rege gekauft.

Wegweisend dürften sich erneut die USA erweisen: Wegen der liberalen Gesetzgebung waren bereits 1982 30 Prozent aller verkauften „Milchprodukte" Imitate, die Streichfette zu 72 Prozent, die Sahne zu 50 Prozent, Trockenmilch 15 Prozent, Käse fünf und Eiscreme 1,7 Prozent.

Mitverantwortlich für den Verkaufserfolg sind günstige Preise, hohe Spannen für den Handel und wachsender Anteil der Fast-Food-Industrie.

Das bedeutet für Europa: Ein Teil oer Lebensmittelimitate wird über das Angebot an Reform- und Diätkost den Weg zum Konsumenten finden, der andere über die Fertig- beziehungsweise Halbfertigprodukte in den Regalen.

Der mündige Konsument ist voll gefordert: Anhand der Beschriftungen - Nummern und Kürzeln - muß er erkennen, was bestrahlt, was imitiert, was geschmacksverstärkt oder sonst angereichert worden ist.

Für die Gastronomie sind die Würfel bereits gefallen, die EG-Kommission hat entschieden: Die Frage der ausreichenden Kennzeichnung von Produkten in der Gemeinschaftsverpflegung sei unerheblich, da eine Kennzeichnung in Restaurants weder üblich noch vorgeschrieben ist. Entweder schmecke dem Gast die angebotene Küche, dann kommt er wieder, oder schmecke ihm nicht, dann werde der Gastwirt bald die Folgen seiner Auswahl spüren.

Der Konsument kann nur beharrlich den Gastwirt fragen, was er in seiner Küche verwendet. Ein Thema, das auch Werksküchen, Schulen, Kindergärten, Pflegeheime und Spitäler betreffen wird.

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