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Patron Stalin

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Die These des Historikers Kayserlingk, wonach die Moskauer Deklaration über die Hinfälligkeit des Anschlusses bloß ein Stück Kriegspropaganda war, ist gewiß eine kleine Bombe, ein zeitgeschichtlicher Spätzünder. Doch die Behauptung, von österreichischer Mitverantwortung sei darin nicht die Rede gewesen, stimmt, falls sie Kayserlingk so aufgestellt haben sollte, nicht.

Die Deklaration hält vielmehr ausdrücklich fest, daß Österreich „für die Beteiligung am Kriege auf Seiten Hitlerdeutschlands Verantwortung trägt, der es nicht entgehen kann" - ein Passus, der nicht ins Bild einer reinen Propagandaerfindung paßt und nahelegt, diese könnte schon während der Moskauer Dreimächtegespräche eine weiterreichende politische Dimension bekommen haben.

Fest steht, daß die Sowjetunion sofort nach der Befreiung Wiens entschiedene Schritte zur Wiederherstellung eines unabhängigen Österreich setzte und dabei österreichischen Politikern der drei Parteien (ÖVP, SPÖ, KPÖ) ein hohes Maß von Handlungsfreiheit gewährte.

Am 8. April erreichte die Rote Armee den Ring, am 12. April überquerte sie den Donaukanal, bereits am 28. April hatten die Wiener die vom Provisorischen Staatskanzler Karl Renner und Adolf Schärf für die Sozialisten, Leopold Kunschak für die Volkspartei und Johann Koplenig für die Kommunisten unterzeichnete Proklamation der österreichischen Unabhängigkeit mit der Liste der Provisorischen Staatsregierung in Händen. Die Parteiführer proklamieren Österreichs Unabhängigkeit „angesichts der Tatsache, daß die nationalsozialistische Reichsregierung Adolf Hitlers kraft dieser völligen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Annexion des Landes das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sirin-und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, den kein Österreicher jemals gewollt hat, jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instand gesetzt war, zur Bekriegung von Völkern, gegen die kein wah-rerÖsterreicherjemalsGe-fühle der Feindschaft oder des Hasses gehegt hat."

Zugleich bestätigen sie mit Sätzen, die auch sprachl ich als Fremdkörper wirken, Österreichs Verantwortung, „der es nicht entgehen kann". Schärf berichtet in „Österreichs Erneuerung 1945-1955" (Wien 1955), daß „bei der Besprechung der Unabhängigkeitserklärung in der Wohnung Renners... überraschenderweise Fischer die Aufnahme eines Hinweises auf diese Bestimmung der Moskauer Deklaration" forderte und mit Schärf in die Redaktion des „Neuen Österreich" fuhr, „wo er nach Einsicht in eine Abschrift der Deklaration die erwähnten Sätze in die Unabhängigkeitserklärung einfügte".

Über die Absichten Großbritanniens und der USA, Österreich nach dem Krieg betreffend, ist gewiß nicht das letzte Historikerwort gesprochen.

Stalins Absicht, Österreichs Eigenstaatlichkeit wieder herzustellen, ist evident. Sollte er der entscheidende Patron dieser Wiederherstellung gewesen sein, wäre dies kein Geburtsfehlerdieses Staates - aber wahrlich kein Ruhmesblatt für die westlichen Alliierten.

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