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„Patron unseres schwierigen Jahrhunderts"

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Vor genau 50 Jahren ging der katholische Pater Maksymilian Kolbe für einen mitgefangenen Familienvater in denTod, vor etwa 49 Jahren starb der jüdische Pädagoge Janusz Korczak (ein Beitrag über ihn folgt) freiwillig mit den ihm anvertrauten Kindern - angesichts überbordender Brutalität und Unmenschlichkeit sind ihre Opfergänge aktueller denn je.

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Vor genau 50 Jahren ging der katholische Pater Maksymilian Kolbe für einen mitgefangenen Familienvater in denTod, vor etwa 49 Jahren starb der jüdische Pädagoge Janusz Korczak (ein Beitrag über ihn folgt) freiwillig mit den ihm anvertrauten Kindern - angesichts überbordender Brutalität und Unmenschlichkeit sind ihre Opfergänge aktueller denn je.

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In seinem letzten Brief an die Mutter schrieb Häftling Nr. 16.670 aus dem Konzentrationslager Auschwitz: „Sei, liebe Mutter, ruhig über mich und meine Gesundheit, weil der liebe Gott ist in jedem Orte und denkt mit großer Liebe über alle und alles." Zwei Monate später, am 14. August 1941, starb der Verfasser des Briefes: Franziskaner-Pater Maksymilian Kolbe.

Der am 8. Jänner 1894 in Zdunska-Wola geborene Maksymilian Maria (eigentlich Raimund) Kolbe war der Sohn von Webern, die zusammen eine kleine Werkstatt im Geburtsort des Sohnes betrieben. Sie übersiedelten später nach Pabianjce bei Lodz. Nach dem Besuch der Volksschule ermöglichte der Apotheker des Ortes, der die herausragende Intelligenz des jungen Kolbe erkannte, demKnaben durch Nachhilfe die Aufnahme in eine Handelsschule.

Missionstage der Franziskaner veranlaßten den 13jährigen, mit seinem um zwei Jahre älteren Bruder in ein Seminar in Leopoldi, Galizien, damals Bestandteil der österreichisch-ungarischen Monarchie, einzutreten, was ihm einen humanistischen Schulabschluß ermöglichte. 1910 trat er als Bruder Maksymilian das Noviziat an, legte ein Jahr später das erste Gelübde ab und wurde 1912 mit anderen Seminaristen nach Rom zum Studium der Philosophie und Theologie an das Internationale Seraphische Kolleg entsandt.

An der Universität Gregoriana promovierte er 1915 zum Doktor der Philosophie, das anschließende Theologiestudium beendete er 1919. Ein Jahr zuvor war er zum Priester geweiht worden. Nach der Promotion als Theologe kehrte er nach Polen zurück. Von der Hinrichtung seines Vaters als gefangener Pilsudski-Le-gionär durch die Russen hatte er erst kurz zuvor erfahren.

Kolbe, der bereits in Rom die marianische Apostolatsvereinigung „Militia (Immaculatae" (Miliz der Unbefleckten) gegründet hatte, setzte in Krakau die Arbeit für diese Gründung fort. 1927 verlegte er den Sitz nach Niepokalanöw und gründete eine große Presseeinrichtung. Rasch gewann er Anhänger.

Überliefert ist nach dem Zeugnis der Mutter, daß bereits der Zehnjährige einen Traum gehabt haben soll, in dem ihm die Gottesmutter erschienen sei und zwei Kränze gezeigt habe: „Sie sah mich ganz lieb an und fragte: ,Welchen willst du? Der weiße Kranz bedeutet, daß du die Reinheit bewahren wirst. Der rote Kranz bedeutet, daß du als Märtyrer stirbst.' Da habe ich der Gottesmutter gesagt: ,Ich wähle alle beide.'"

Die Verehrung der Gottesmutter ist nicht nur Triebfeder seines Handelns, sondern für die Mitbrüder auch Grund zur Klage; Bruder Alfons, ebenfalls Mönch in dem von Maksymilian gegründeten Minori-tenkloster Niepokalanöw vor den Toren Warschaus, fragte: „Wozu immer, wortwörtlich immer so: ,Geht zu Maria, und wenn zu Jesus, dann mit ihr?" Andere nannten Kolbe „langweilige Marmelade", weil er in allen Gesprächen immer wieder hartnäckig zu seinem Hauptthema des Lebens zurückkam: zur Immaculata.

Papst Paul VI. deutete im Seligsprechungsprozeß 1971 das Wirken Kolbes im christologischen Sinn. Kinga Strzelecka, Ur-sulinenschwester und Verfasserin der offiziösen Kolbe-Biographie, meint: „In der christlichen Askese und Mystik gibt es keine Liebe zum Leiden. Es gibt nur eine Liebe zum leidenden Herrn. Von daher werden also Leben und Tod Maksymi-lians in gerade diesen Strom der Leidensmystik umgeschmolzen, das heißt, trotz seiner Marianität war seine Frömmigkeit im Grunde christozen-trisch."

Kolbe begnügte sich nicht mit der Gründung der Klosterstadt Niepokalanöw (Stadt der Immaculata - sein Männerkloster war das größte Polens), er entwickelte nicht nurein blühendes Verlagsuntemehmen - die Zeitschrift „Ryerz Niepokalanej" (Ritter der Unbefleckten) erreichte 1929 die Auflage von 150.000, sondern er wollte seine Idee über die gesamte Erde verbreiten. 1930 gründete er in Nagasaki (Japan) eine Anstalt gleicher Art und träumte von einer Mission in China.

1936 kehrte er nach Polen zurück, im letzten Friedensjahr überschritt die Auflage des „Ryerz" die Millionengrenze. Seit 1935 erschien daneben auch die Tageszeitung „Maly Dzien-nik" (Kleine Zeitung), die an Werktagen eine Auflage von 150.000, an Feiertagen 250.000 erreichte und bald zu den meistgelesenen Blättern Polens gehörte.

Interessant die Mischung aus franziskanischer Armut und technischer Perfektion, die einen Menschen als Triebfeder voraussetzt, der Managerqualitäten mitbringt. Nicht übersehen werden sollte in diesem Zusammenhang, daß Kolbe die Zeitschriften einerseits als Sprachrohr der Marienverehrung sah, andererseits durchaus als Instrument des Kampfes gegen Juden, Kommunisten und Freimaurer begriff, in denen er Feinde des Glaubens zu erkennen wähnte.

Kriegsausbruch und Besetzung Polens führten am 19. September 1939 auch zur Auflösung der Klosterstadt durch deutsche Polizei. Kolbe wurde zum erstenmal aus seinem Kloster geholt - anstelle von zwei Mitbrü-dem, die dafür z*r Krankenpflege zurückbleiben sollten. Am 8. Dezember wurde er noch einmal freigelassen.

Der November 1940 brachte ihm sogar die Erlaubnis für die Heraugabe einer weiteren Nummer seiner Zeitschrift „Ryerz Niepokalanej", über die er geschrieben hatte: „Im geflickten Habit, in geflickten Schuhen, aber in einem Flugzeug neuesten Typs, wenn das zur Erlösung und Heiligung einer größeren Zahl von Seelen notwendig ist."

Im Dezember 1940 besuchte ein junger Pater Maksymilian Kolbe in Niepokalanöw und zeichnete später die Worte seines Gastgebers auf: „Europa hat sich weit von Gott entfernt, es war notwendig, daß es diese Erfahrung machte. Wenn Schuldige leiden, dann ist es eine Buße. Nur die Leiden Unschuldiger sind ein wahres Versöhnungsopfer."

17. Februar 1941. Kolbe wird erneut von der Gestapo verhaftet. Der schwer Lungenkranke wird zunächst in das berüchtigte Warschauer Gefängnis, den Pawiak, gebracht. Am 24. Mai 1941 wird er im Viehwagen in das Konzentrationslager Auschwitz eingeliefert. Hier erwartet ihn das Schicksal Zehntausender anderer: Schwerste Arbeit, Prügel, Demütigungen und erneute Erkrankung bei fortschreitendem Kräfteverfall. Kolbe wurde dem Kommando des „blutigen Krott" zugeteilt und halbtot geschlagen.

Mithäftling Jözef Stemler berichtete später, daß er eines Nachts zu Kolbe geschlichen sei. Voll des Hasses habe er sich mit dem Priester unterhalten, doch Kolbe habe ihn mit den Worten beschwichtigt: „Der Haß ist keine schöpferische Kraft, schöpferische Kraft ist die Liebe. Es bedarf unserer großen Opfer, um ein ruhiges und glückliches Leben für die zu erkaufen, die nach uns sein werden."

Ein anderer Zeuge, Tadeusz Joa-chimowski, berichtete: „Maksymilian saß in der Ecke, im Kreise kleiner, sich abwechselnder Gruppen, erteilte Rat und sprach Mut zu, damit sie nicht zusammenbrächen, sondern sich gegenseitig hälfen. Sie sollten bedenken: Gott lebt, und die Geschehnisse dieser Welt laufen nach seinem Willen ab."

Im Juli 1941 gelingt einem Mithäftling aus dem Block 14 des Todeslagers die Flucht. Nach einem langen Appell in sengender Hitze wählen die Bewacher zehn Häftlinge zum Verhungern in der Todeszelle. Vergasung mit Zyklon-B war noch nicht eingeführt. Als der41jährige Francis-zek Gajowniczek hörte, er sei einer der zehn, stieß er einen lauten Schrei aus: „Meine Kinder, meine Frau!"

Da trat Maksymilian Kolbe vor. „Was will das polnische Schwein?", fragte der Lagerkommandant. Der Mönch stand, wie die Vorschrift verlangte, stramm vor ihm, die Mütze in der Hand: „Ich bin ein polnischer katholischer Priester. Ich bin alt und will für ihn sterben, denn er hat Frau und Kinder."

Der Kommandant machte eine zustimmende Handbewegung und der Dolmetscher strich von seiner Liste die Nummer 5.659 und ersetzte sie durch eine andere: 16.670. Barfuß und nackt stiegen 8ie zehn die Treppe in das Kellergewölbe hinab. In einer kleinen Zementzelle wurden sie zusammengepfercht. Aus dem Bau hallten Schreie und Röcheln.

Der überlebende Lagerdolmetscher Bruno Borgowiec schrieb am 27. Dezember 1945: „Dem Gebet haben sich die Gefangenen aus den Nachbarzellen angeschlossen... Es war wie in einer Kirche, Pater Kolbe führte das Gebet, die Häftlinge antworteten im Chor. Sie waren so ins Gebet vertieft, daß sie die Ankunft der SS-Männer, die zu einer Inspektion kamen, nicht hörten. Erst nach lautem Schreien der SS-Männer verstummten die Stimmen.

Nach dem Öffnen der Zelle weinten die Unglücklichen laut und bettelten um ein Stück Brot und Wasser, was sie nicht bekamen. Drängte einer, der noch genug Kraft hatte, an die Tür, trat ihn ein SS-Mann in den Bauch, so daß er auf den Zementboden fiel und starb, oder er wurde erschossen. Pater Kolbe blieb tapfer, bat um nichts und klagte nicht, er tröstete die anderen..."

Nachdem in den folgenden 14 Tagen sechs Häftlinge gestorben waren, wollte man auf den Tod der restlichen vier nicht mehr warten. Am 14. August 1941 wurden die Verbliebenen, darunter Maksymilian Kolbe, durch Phenolinjektionen ermordet. Ein Krimineller namens Böck, Leiter der Krankenstube, verabreichte die Todesspritzen. Borgowiec schrieb: ,J?ater Kolbe reichte betend selbst dem Henker den Arm."

Der Opfertod Kolbes galt bald als leuchtendes Beispiel der Nächstenliebe. Am 16. Oktober 1971 erfolgte die Seligsprechung, am 10. Oktober 1982 die Heiligsprechung. Papst Johannes Paul IL: „Der heilige Maksymilian Maria ist der Patron unseres schwierigen Jahrhunderts." 1979 kam Papst Johannes Paul II. nach Auschwitz, um vor der Todeszelle Kolbes zu beten:

„So komme ich also und beuge mein Knie auf diesem Golgotha unserer Zeit. An diesem Ort schrecklicher Qual... hat Pater Maksymilian einen geistigen Sieg errungen, der dem Sieg Christi ähnlich ist, indem er freiwillig den Tod im Hungerbunker auf sich nahm - für einen Bruder. Dieser Bruder lebt noch heute in Polen."

Man kann in Maksymilian Maria Kolbe den Märtyrer der Konzentrationslager und derGulags sehen,doch sollte man nicht vergessen, daß für einen Menschen, der so im Leben stand wie er, sich plötzlich das transzendente Reich öffnete. Nicht die Frage „Wie entwickle ich nach dem Ende des Krieges mein Werk weiter, das von weltweiter Bedeutung ist?" war für ihn wichtig, sondern: „Wie kann ich einem einzelnen Menschen helfen?"

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