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Patt in der Westsahara

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Bittere Niederlagen mußten die Marokkaner in der Westsahara gegen die Wüstenguerillas der FPOLISARIO einstecken. Jetzt zogen sie sich hinter einen Befestigungswall zurück, den sie 600 Kilometer lang um die wirtschaftlichen Zentren zogen. Den Rest kontrollieren Saharauis.

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Bittere Niederlagen mußten die Marokkaner in der Westsahara gegen die Wüstenguerillas der FPOLISARIO einstecken. Jetzt zogen sie sich hinter einen Befestigungswall zurück, den sie 600 Kilometer lang um die wirtschaftlichen Zentren zogen. Den Rest kontrollieren Saharauis.

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Die zwei Landrover, einer mit unseren Journalistenkollegen, der andere unsere militärische Begleiteskorte mit fünf vermummten Wüstenkriegern, sind schon zwei Kilometer vor uns irgendwo zwischen den bizarren Mauerruinen untergetaucht. Wie die beiden Fahrzeuge zurückholen? Funkgeräte gibt es keine, Hupen nützt nichts mehr.

Unser Begleiter weiß schnellen, wenn auch unkonventionellen

Rat. Er holt das hinter dem Fahrer verstaute Kalaschnikow-Schnellfeuergewehr hervor und jagt eine Salve in die Luft. Die Schüsse holen unsere Begleiter zurück.

Seit es richtig hell geworden ist, sind wir unterwegs. Wir, das sind acht österreichische Journalisten und unsere Begleiter von der Befreiungsbewegung „Frente POLI- SARIO”, die uns zu einer Fahrt vom algerischen Tindouf aus in die befreiten Gebiete der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) geladen haben.

Inzwischen haben wir den „sicheren” algerischen Boden verlassen, befinden uns unweit der Stadt Mahbes, also auf dem umkämpften Gebiet der ehemaligen spanischen Westsahara. Freilich, gekämpft wird hier bei Mahbes seit Oktober 1979 nicht mehr, seit dieses ehemalige Wüstenfort der spanischen Fremdenlegion, das die Marokkaner zu einem militärischen Stützpunkt ausbauten, nach mehreren Sturmläufen von der FPOLISARIO erobert wurde.

Die Inspektionstour durch das Schlachtfeld von Mahbes kann beginnen: Projektile, Geschoßhülsen, Blindgänger, Kriegsmaterial aller Art - zerstört, verrostet, vom Sand umweht. Ja, und tote Soldaten, in der Schlacht gefallene Marokkaner, deren sterbliche Überreste der trockene Wüstensand zum Teil mumifiziert hat.

Im Hintergrund die Ruinen von Mahbes, ausgebrannte Armeefahrzeuge, die das Wüstenklima zu bizarren Stahlskeletten hat werden lassen.

Mahbes, Lebouirat in Südmarokko, Echediria: An allen Kampf stätten dieses Wüstenkrieges, an die wir hingeleitet werden, dasselbe Bild der Zerstörung und Verwesung. Wer geglaubt hat, dieser Wüstenkrieg bestünde nur aus vereinzelten Scharmützeln, wird beim Lokalaugenschein der Schlachtfelder eines Besseren belehrt. Hier tobte, tobt ein grausa- samer Krieg, der Hunderte, ja Tausende Opfer fordert.

Seit 1937 kämpft die FPOLISARIO (= Volksfront für die Befreiung von Saguia el Hambra und Rio de Oro) um die Westsahara: erst gegen die spanischen Kolonialherren; dann, 1975/76, zogen die Spanier sich aus dem 266.000 (nach anderen Quellen 284.000) Quadratkilometer großen Gebiet zurück.

Obwohl sowohl die UNO wie der Internationale Gerichtshof in Den Haag die Selbstverwaltung für die Westsahara vorgeschlagen hatten, trat Spanien am 14. November 1975 im Abkommen von Madrid das Gebiet an Marokko und Mauretanien ab. Für die FPOLISARIO begann eine neue Phase des Befreiungskampfes: gegen Mauretanier und Marokkaner.

1979 schloß Mauretanien mit der FPOLISARIO einen Friedensvertrag, nachdem der Kampf gegen die saharauischen Wüstenguerillas das Land wirtschaftlich ausgeblutet hatte. Die Marokkaner übernahmen daraufhin auch die mauretanischen Positionen.

Doch die Soldaten König Hassans verloren gegen Kämpfer der FPOLISARIO, die von Algerien und Libyen immer besser ausgerüstet wurden und die die Beutewaffen ihrer Gegner zu handhaben lernten, Schlacht um Schlacht Trotz ihres modernen westlichen Kriegsgerätes hatten die Marokkaner in ihren abgelegenen Wüstengarnisonen gegen die wie Skorpione kämpfenden Saharauis wenig Chancen: Sie kennen die Wüste wie niemand sonst, tragen ihre Angriffe blitzschnell vor und verschwinden ebenso schnell wieder in der trostlosen Einöde.

Marokkos König Hassan zog eine Lehre aus seinen Niederlagen gegen die FPOLISARIO. Worauf es ihm in dieser Kriegsphase in erster Linie ankommen dürfte, ist die Ausbeutung der Phosphatstätten von Bou Craa. Um die wichtigsten Städte im sogenannten „nützlichen Dreieck” der Westsahara, nämlich Smara, Bou Craa und El Aaiun ließ er deswegen zwischen 1979 und 1982 einen 600 Kilometer langen, mit einem elektronischen Warnsystem bestückten Verteidigungswall bau- eh, hinter den sich die marokkanische Armee zurückzog. Eine andere Mauer ließ er um die Hafenstadt Dakhla an der Atlantikküste bauen, die sich ebenfalls noch in marokkanischer Hand befindet.

Die FPOLISARIO kontrolliert jetzt 90 Prozent der Westsahara. Die wirtschaftlich interessanten restlichen zehn Prozent aber kon trollieren die Marokkaner, geschützt von der „Hassan-Mauer”, wie die Leute von der FPOLISARIO das Verteidigungsbollwerk ihrer Gegner respektlos bezeichnen.

Zugute kommt den Marokkanern außerdem ihre Luftüberlegenheit. Aber selbst die ist nicht so eindeutig, wie der Abschuß eines Mirage F-l-Kampfflugzeuges vor drei Wochen zeigte. Voller Stolz führten uns die FPOLISA- RIO-Kämpfer die Trümmer dieser Maschine 50 Kilometer südöstlich von Smara vor, die sie nach eigenen Angaben mit Fliegerabwehrkanonen östlicher Bauart vom Himmel geholt hatten.

Nach einem rund einjährigen, einseitig erklärten Waffenstillstand, der wenigstens auf diplomatischer Ebene das leidige Westsahara-Problem weiterbringen sollte, nahm die FPOLISARIO den Kampf im Juli wieder auf.

Auf breiter Front griffen die Wüstenkrieger an mehreren Stellen die „Hassan-Mauer” an, operierten auch hinter den feindlichen Linien gegen die Stadt Lem- seyd in Südmarokko und zerstörten sie vollständig, ebenso wie zahlreiches Kriegsmaterial.

Eigene Verlustangaben sind von der FPOLISARIO nicht zu erfahren. Nur sind diese leicht auszumalen, wenn man etwa an die zahlreichen Minengürtel denkt, die die Marokkaner um ihre Mauer gelegt haben und gegen die die Guerillas jetzt anrennen müssen.

Sicher scheint deshalb: Auch auf der Seite der saharauischen Kämpfer gab und gibt es viele Opfer. Und wenn auch viele dieser Wüstensöhne das Kämpfer- und Kriegertum im Blut haben, muß die FPOLISARIO dennoch auf eiserne Disziplin bestehen und das Feuer des Befreiungskrieges ständig angeheizt lassen.

Die Durchmilitarisierung und Indoktrinierung wird gerade in den saharauischen Flüchtlingslagern rund um Tindouf überdeutlich, obwohl dort überwiegend nur Kinder, Frauen und Greise leben.

Aber der Großteil der Saharauis nimmt offensichtlich alles in Kauf, um wieder in die Westsahara zurückkehren zu können. Nicht von ungefähr lautet ihre Parole: „Das ganze Vaterland oder das Martyrium.”

Keine Lösung in Sicht

Auf der anderen Seite müssen sich die marokkanischen Soldaten als Kanonenfutter für ihren König Vorkommen. Gewiß, sie alle träumten 1975 mit Hassan bereitwillig den Traum vom Großmarokko. Jetzt hat die meisten Marokkaner aber offensichtlich die Realität wieder eingeholt: ein Krieg, der Unsummen Geld kostet und auch Marokko wirtschaftlich auszubluten droht; Trausende von Gefallenen; ein Gegner, der in der Wüste unfaßbar, unschlagbar ist und nicht aufgeben will.

Dennoch scheint es zur Zeit keinen Ausweg aus dem militärischen und diplomatischen Patt in der Westsahara zu geben. Daß die auf 20.000 geschätzten Kämpfer der FPOLISARIO die über 50.000 marokkanischen Soldaten auch aus dem von der Mauer geschützten „nützlichen Dreieck” vertreiben können, scheint eher unwahrscheinlich.

Und was das diplomatische Patt anbetrifft: König Hassan hat das Schicksal der Monarchie und sein persönliches derart mit der West- sahara-Frage verknüpft, daß er seine Ansprüche auf das Gebiet kaum ohne einen gewaltigen Gesichtsverlust aufgeben kann.

Zu befürchten ist ein Weiterschwelen des Konfliktes, ja sogar ein Anschwellen—vor allem dann, wenn sich die USA noch stärker auf der Seite Marokkos engagieren, auf der anderen Seite dafür Algerien, Libyen und in Zukunft möglicherweise die Sowjetunion ihre Waffenfüllhörner für die FPOLISARIO noch viel weiter als bis jetzt öffnen …

Ein Bericht über die österreichische Hilfe an die Saharauis folgt.

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