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„Pax syriana" im Libanon

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Im Libanon ist Ruhe eingekehrt -aber kein Friede. Das freiheitsliebende Land, einst Schweiz des Vorderen Orients genannt, steht unter syrischer Kuratel. Der Westen schweigt.

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Im Libanon ist Ruhe eingekehrt -aber kein Friede. Das freiheitsliebende Land, einst Schweiz des Vorderen Orients genannt, steht unter syrischer Kuratel. Der Westen schweigt.

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„Im Vergleich zum vergangenen Jahr hat sich die Situation, was das Alltagsleben anbelangt, auffallend verbessert: Schulen funktionieren, in Beirut gibt es kaum mehr Kontrollen. Man kann sich viel freier bewegen", berichtet Karin Kneissl, Nah-Ost-Referentin im Außenministerium nach einem Besuch im Libanon. Ungelöst bleiben die großen Probleme des Landes: „Von einem Kriegsende ist meiner Ansicht nach nicht zu sprechen. Syrien und Israel haben kein Interesse an einem freien Libanon."

Von Freiheit kann in diesem kleinen Land des Vorderen Orients tatsächlich keine Rede sein. Denn der am 22. Mai mit Syrien abgeschlossene Freundschaftspakt brachte eine de facto Einverleibung durch Syrien, das 80 Prozent des Libanons besetzt hält. Einem freiheitsliebenden Volk wurde die „Pax syriana" verordnet.

Sicher, die Menschen können aufatmen, denn seit fast 20 Jahren hatten sie unter einem blutigen Krieg zu leiden. 1967 wurden Tausende geflüchtete Palästinenser im Libanon angesiedelt. Sie bildeten einen Staat im Staat, organisierten sich militärisch.

1975 folgen die ersten bewaffneten Konflikte zwischen Libanesen und Palästinensern. 1978 schalten sich die Syrer ein und es kommt zur israelischen Invasion im Süden des Landes, 1982 zu seinerendgültigen Besetzung. Im Norden etablieren sich die Syrer.

Auch die religiöse Frage spielte eine Rolle in den Konflikten in diesem Staat, in dem ein ausgeklügeltes System der Postenbesetzung für eine ausgewogene Machtverteilung zwischen Christen und Muslimen gesorgt hatte: 1983und 1986 kam es zu schweren Massakern an Christen im Libanon, der bisher einzigen freien christlichen Enklave im von Muslimen beherrschten Vorderen Orient.

1988 wird General Michel Aoun provisorischer Chef der Regierung. Er vereint die libanesische Armee, christliche und muslimische Truppen-; teile und ruft zum Befreiungskrieg auf, ist bei der Bevölkerung beliebt. Um seinem Vorgehen die Legalität zu entziehen, berufen die Syrer 1989 einen Teil des seit vielen Jahren nicht erneuerten Parlaments nach Taif ein. Es wählt den pro-syrischen Christen Elias Hraoui zum Präsidenten. Er wird zum Statthalter Syriens. 1989 und 1990 folgen mörderische Kämpfe. Die Bilanz des Grauens: 150.000 Todesopfer, 800.000 Flüchtlinge seit Beginn des Krieges (der armenisch-katholische Patriarch schätzt etwa, daß seine Gemeinde seit 1975 sich von 250.000 auf 100.000 Mitglieder verringert hat), zahllose Waisen, beschädigte Häuser und Einrichtungen...

Im Zuge der Vorbereitungen auf den Golfkrieg verstärken die Syrer ihre Angriffe. General Aoun flüchtet in die französische Botschaft, die ihm Asyl gewährt. Die Armee wird dem Präsidenten Hraoui, somit indirekt den Syrern unterstellt. Der Freundschaftspakt sieht vor, daß die Ausbildung der libanesischen Armee zukünftig in Syrien stattfindet.

Kulturelle Einebnung

Die Situation der Christen ist heute prekär. „Sie haben keine tatsächliche politische Vertretung mehr", stellt Kneissl fest. An der Glaubensausübung werden die Christen allerdings nicht behindert. Aber sie sorgen sich wegen der Langfrist wirkungen der syrischen Präsenz auf ihre kulturelle Identität. Unter Druck gerät das Pri-vat-Schulsystem. Hier droht ebenso Gleichschaltung wie im Pressewesen. Es verstärkt sich auch der Eindruck, daß Syrien über den Geheimdienst stärker Einfluß nimmt. Ein Land, das Jahrzehnte um Freiheit gekämpft hat, wird an die Kandare genommen. Es droht ein Aushungern der christlichen Kultur.

Der Westen, der sich für den Erdölstaat Kuweit stark gemacht hat. schweigt - ein Schweigegeld für Syriens Beteiligung am Golfkrieg. Nicht schweigen will Papst Johannes Paul II. Nach Gesprächen mit den vier Patriarchen der orientalisch-katholischen Kirchen des Libanon Ende Mai will er eine Sondersynode für den Libanon einberufen. Ihr Hauptziel sei die nationale Versöhnung, stellte Nas-rallah Sfeir, Oberhaupt der Maroni-ten, nach den Gesprächen fest. Aber es gehe auch darum, endlich die zahlreichen, vom Sicherheitsrat beschlossenen Resolutionen umzusetzen.

Der Libanon sollte nicht als syrische Provinz von der Landkarte verschwinden.

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