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Gustav Mahler und sein Werk sind während der letzten zwanzig Jahre so interessant und populär geworden, daß auch ein kleinerer Verlag es wagen kann, ohne besonderen Anlaß, also nicht zu einem „runden“ Geburtsoder Todesjahr, ein großformatiges Buch herauszugeben - und als Autoren neben einigen bekannten auch mehrere wenig bekannte einzuladen. Auch dieser Band wird, wie vor einigen Jahren die Aufsehen erregende Bildbiographie „Wagner“ (in der Wiener Universal-Edition), mit einem Vorwort von Pierre Boulez eingeleitet, der sich vom musikalischen Revolutionär nicht nur zu einem hervorragenden Dirigenten älterer Partituren, sondern auch zu einem verständnisvollen Interpreten des Lebens und Schaffens anderer schöpferischer Musiker entwickelt hat.

Auf wenigen Seiten faßt er alles Wesentliche, was an Kritischem und Lobendem über Mahlers Musik gesagt und geschrieben wurde, zusammen und kommt, von verschiedenen Negativa unbeeinflußt, zu dem Schluß: „Die Weite und die Komplexität der Geste, ebenso wie die Verschiedenartigkeit und Intensität in den Stufen der Erfindung- dies macht Mahler aktuell; dies macht ihn unentbehrlich für die heutige Reflexion über die Zukunft der Musik.“

Das ist in der Tat ein sehr wesentlicher Gesichtspunkt, und als „Zeitgenossen der Zukunft“ hat bereits 1969 Kurt Blaukopf im Untertitel seiner Monographie Gustav Mahler bezeichnet. Wenn wir neben dieses Buch von Blaukopf noch dessen „Mahler in zeitgenössischen Bildern und Texten“ legen, bleibt für die Autoren der sieben Kapitel des vorliegenden Werkes nicht mehr viel Neues zu entdecken. Doch die Themen sind dankbar, und die geschickt zusammengefügten Einzelstudien lesen sich gut, sind informativ und unterhaltend. Hilde Spiel zeichnet ein Kulturpanorama vom Wien zur Zeit Gustav Mahlers, Henry-Louis de La Grange berichtet über Mahlers Weg nach Wien, nicht nur zum Pult, sondern auch zum Direktorensessel der Wiener Hofoper. Damit hatte sich ein Jugendtraum Mahlers erfüllt, aber das geschah nicht ohne eigenes Dazutun, nicht ohne Diplomatie und gut genützte JIilfe seiner Freunde (eine Schlüsselfigur bei diesem Manöver war die mit einem hohen Beamten, Hofrat von Wlassack, befreundete Gesangspädagogin Rosa Papier - übrigens die Mutter des langjährigen Salzburger Mozarteum- und Festspieldirektors Bernhard Paumgartner).

De La Grange schrieb auch das wohl interessanteste Kapitel dieses Buches: „Gustav Mahlers persönliche Wiener Biographie“, vor allem über Mahlers weitgespannten Freundeskreis. Am nächsten standen ihm die Roses, die Spieglers, Bruno Walter und der Philosoph Lipiner. Durch die Heirat mit Alma Schindler, Tochter und Stieftochter von Malern, kam der frischgebackene Hofopemdirektor auch mit den Mitgliedern der Sezession in Berührung. Mit Alfred Roller, dem großen Bühnenkünstler seiner Inszenierungen, verband Mahler schon seit mehreren Jahren eine echte Freundschaft. Nun lernte er auch Gerhart Hauptmann kennen, und beide waren voneinander sehr beeindruckt. Das Verhältnis zu Richard Strauss war, wie nicht anders zu erwarten, ambivalent, aber man dirigierte nicht ungern und nicht selten die Werke des großen Kollegen. Viel schwieriger gestaltete sich das Verhältnis zu Pfitzner, der sich ja sein Leben lang mit allen möglichen Leuten, Kollegen und anderen

Künstlern, anlegte. Aber zu Mahler war Alma die kluge Vermittlerin.

Die Frauen in Mahlers Leben, bevor Alma die Alleinherrschaft antrat, dürfen nicht vergessen werden. In Ham- berug schadete ihm sehr die Trennung von der beliebten Anna von Mildenburg. In Wien verband ihn vorübergehend mehr als nur Freundschaft mit den Sängerinnen Selma Kurz und der großartigen Maria Gutheil-Schoder. Jedoch auch fürMahler den Künstler- den Komponisten, den Dirigenten und Operndirektor - waren die Wiener Jahre von 1897 bis 1907 die wichtigsten seines Lebens. Die administrative Arbeit bereitete ihm viel Mühe und Ärger, vor allem aber stahl ihm die Oper seine Zeit, die er doch unbedingt fürs Komponieren benötigte. Das konnte er während der ganzen zehn Jahre seiner Direktionstätigkeit nur im Urlaub. Daher war dieser für ihn nicht nur die damals so beliebte - und auch gesunde - „Sommerfrische“ irgendwo auf dem Land, sondern Mahler benötigte einen abgeschiedenen, vor allem völlig lärmfreien Ort - und einen solchen fand er zunächst in Steinbach am Attersee, später in Maiemigg am Wörthersee, zuletzt in einer großen Villa bei To- blach in Tirol. Über Mahlers „Sommerfrischen“, wo sämtliche Kompositionen, die er nach der 4. Symphonie geschaffen hat, entstanden sind, schrieb Gottfried Scholz, seine Tätigkeit an der Wiener Hofoper, die ja schon zu einer klassischen Story geworden ist, schildert Marcel Prawy. Sigrid Wiesmann, die auch die gesamte Redaktion dieses bilderreichen Bandes besorgte, berichtet über Mahlers Verhältnis zu den Wiener Philharmonikern.

GUSTAV MAHLER IN WIEN, Reiser-Verlag, Stuttgart, 168 Seiten, öS 523,60.

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