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Peitsche Allahs im Sudan

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Khartum: Auf dem Platz zwischen dem sudanesischen Präsidentenpalais und der Hauptpost drängt sich eine gröhlende Menge. Sie beklatscht, wie Pfarrer Josef Manara das geistliche Gewand vom Leib gerissen wird und 25 Peitschenhiebe auf seinen entblößten Leib niederklatschen. Für jede Flasche Meß wein, die bei ihm gefunden wurde, einen blutigen Striemen. Der Prokurator, zu deutsch „Versorger", der katholischen Bischofskonferenz des Sudan ist erstes prominentes Opfer einer frenetischen Hexenjagd auf Alkoholsünder.

Der ganze Spuk hatte in der „Demokratischen Republik Sudan" im Herbst 1983 eingesetzt. Er richtet sich im Rahmen einer primitiven Wiedereinführung des mittelalterlichen islamischen Strafrechts, die nichts vom Geist des Islam erfaßt hat, in erster Linie gegen die schwarzen und christlichen Bewohner des Südsudan. Diese sollen eingeschüchtert, über die Grenzen gejagt oder gar „dezimiert" werden.

Hingegen fördert die Zentralregierung jetzt die Zunahme der is-lamisierten und arabisierten Bevölkerung des Nordens jetzt durch Mutter-Orden in Gold, Silber und Bronze.

Auch sonst treibt die Re-Isla-misierung made in Sudan, die allerdings Einflüsse des puritanischen Wahhabismus aus Saudi-Arabien erkennen läßt, recht seltsame Blüten: So den „islamischen Zahnarzt", der nach dem Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn" den Verurteilten zur Strafe Zähne zieht oder Löcher bohrt. Er ist ein harmloser Kollege des Scharfrichters, der jetzt in allen sudanesischen Städten als Hände- und Kopfabhacker amtiert.

Nicht nur die Weltöffentlichkeit registriert das alles mit Grausen und Empörung. Im Sudan selbst haben die wirklich frommen Muslime von der Amirgania-Bruderschaft von Anfang an gegen diesen unmenschlichen Rückfall in finstere Zeiten der islamischen Geschichte Stellung bezogen.

Für die rund drei Millionen Christen im Südsudan ist die Einführung des islamischen Strafrechts, der 1982 die Aufhebung ihrer Regionalautonomie vorausgegangen war, erst recht eine Unterdrückungsmaßnahme. Nach zwölf Friedensjahren tobt dort im Busch daher wieder der schon einmal nach dem Abzug der Engländer 1956 ausgebrochene Bürgerkrieg.

Auch Äthiopien, unter Kaiser Haue Selassie 1972 Vermittler der Selbstverwaltungslösung für Sudans afrikanische Christen und Animisten — sie machen fast 40 Prozent der Gesamtbevölkerung aus — an den Quellflüssen des Nil hat seine Truppen an der Grenze mobilisiert.

In der Hauptstadt Khartum wird Agenten aus dem expansionistischen Nachbarland im Westen, aus dem Libyen von Oberst Ghaddaf i, die Schuld an der neuen Unrast gegeben. Das trifft aber nur für die kleine, kommunistisch-weltrevolutionäre Splittergruppe unter den schwarzen Aufständischen zu, für die Revolutionäre Armee des Südsudan".

Hauptsächlich ist aber der seit Mai 1969 an der Macht befindliche sudanesische Diktator Dschafar an-Numeiri für den neuen Krieg in den Nilsümpfen — dem sogenannten Sudd —, in Steppe und Busch durch seine Islamisie-rungspolitik des Südens selbst verantwortlich.

Ihm und seinen Hintermännern in der arabischen und leider auch der westlichen Welt geht es aber nur vordergründig um Religion. Was dahinter steckt sind ganz massive wirtschaftliche Interessen an Wasser, Erdöl und den Agrarreserven von Südsudan.

Die schwarzen Völker am Weißen Nil, vor allem die Dinka und Schilluk, waren mit den Arabern und dem Islam erst vor wenig über hundert Jahren in Berührung gekommen. Wesentlich früher erreichte sie die christliche Mission, aus der Daniel Comboni oder die Österreicher Ryllo und Knoblecher unvergessen bleiben.

Doch bald lernten die Südsudanesen die Araber umso gründlicher als Sklavenjäger und -händ-ler kennen. Ganze Stämme wurden auf die Menschenmärkte von Berber, Kairo und Dschedda verschleppt.

Jene Schwarzen, die den Islam angenommen hatten, empörten sich zwischen 1880 und 1900 gegen die Unterdrückung durch Araber und Türken unter Führung des „Mahdi", einer messianischen Führergestalt. Christen und Glaubensboten hatten in diesem fundamentalistischen Gottesreich im Chomeini-Stil aber erst recht zu leiden.

So besetzten zur Jahrhundertwende die Engländer den Sudan. Die katholische Mission gelangte über 50 Jahre lang zu neuer Blüte, die anglikanische und evangelische Verkündigung lag mit ihr in friedlichem Wetteifer.

Zwischen 1956 und 1972 versuchte das junge nationalarabische Regime von Khartum die Völker des Südens zu assimilieren. Die Religion spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle; auch die Ausweisung aller ausländischen Missionare erfolgte unter nationalistischen und nicht unter kirchenfeindlichen Vorzeichen.

Der Frieden von 1972 wurde aus Khartum schon nach wenigen Jahren wieder untergraben. Der Bau des Dschongoli-Kanals quer durch die Sümpfe zwischen Juba und Malakal droht die meisten südsudanesischen Stämme — wie Abdel Nassers Assuan-Stausee die lange christlichen Nubier — um ihren Lebens- und Freiheitsraum zu bringen.

Nach der neuen Rechtslage sind die schwarzen „Heiden" jetzt überhaupt vogelfrei, während die Christen zu gerade noch geduldeten Bürgern zweiter Klasse gemacht wurden. Das hat den — von den USA ausgerüsteten — militärischen Sonderkommandos Nu-meiris freie Hand, bei ihren Säuberungsaktionen im Busch gegeben.

Das letzte Massaker an Flüchtlingen, die über den Akobo nach Äthiopien zu schwimmen versuchten, wurde als „Partisanengefecht" getarnt.

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