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Peking: Europa ist Angelpunkt

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Nach kurzer, freundlicher Begrüßung lädt der Vizepremier die Besucher ein, ein Podium zu betreten: der Fotograf wartet schon. Aus unseren Köpfen wird alsbald eine ausladende chinesische Bergföhre wachsen: der offizielle Hintergrund für das offizielle Gästefoto.

Dann holt uns der stellvertretende Regierungschef in seinen riesigen Empfangsraum, wo schon der heiße Tee wartet. Der Gastgeber steckt sich eine Zigarette an, läßt den Besuchern feuchte Handtücher zur Erfrischung reichen. Die Atmosphäre ist busi-nesslike.

Zwei Tage vor unserem Besuch waren wir gebeten worden, schriftlich Fragen einzureichen. Aber Geng Biao dürfte sie kaum durchgesehen haben. Er kündigt eine „allgemeine Beantwortung“ an und verweist uns hinsichtlich der Details an die Presseabteilung.

Dann holt er zu einer zweistündigen, von einem Dolmetsch in perfektes Deutsch übertragenen Lagebewertung aus, an deren Ende die unumstößliche Gewißheit steht: Die Führung der Volksrepublik China denkt heute nicht primär in ideologischen, marxistischen Kategorien, sondern in der klassischen Betrachtungsweise einer politischen Großmacht, die ihre noch vorhandenen wirtschaftlichen Schwächen freimütig zugibt, mit allen Mitteln aber ihre militärischen Mängel zu verdecken sucht.

Nur die UdSSR und die USA, beginnt er, hätten heute die Fähigkeit, einen Weltkrieg vom Zaun zu brechen. An Hand zahlreicher aus dem Gedächtnis vorgetragener Statistiken wird nachgewiesen: Moskau gibt erheblich mehr für Rüstungszwecke aus als Washington, das „seit mindestens 15 Jahren eine relativ defensive Politik betreibt“. Drei Viertel der Sowjet-Streitkräfte stehen dem Westen gegenüber: der obligate Wink mit dem Eisbären-Zaunpfahl!

Kuba wird als Werkzeug der Sowjetunion in Afrika geschildert, müsse sich diese Rolle aber mit Libyen und der DDR teilen, die bereits „mindestens 5000 Militärberater im Ausland stehen hat“. Die Sowjets schicken sich nach chinesischer Auffassung an, in Libyen auch Atomwaffen zu stationieren. In Afghanistan habe Moskau eine ihm genehme Regierung installiert, in Iran suche es seinen Vorteil zu wahren, gegen einen Nahostfrieden habe es die arabische „Verweigerungsfront“ organisiert, die innenpolitischen Problemfeuer in Indien versuche es zu schüren.

„Das Ziel aller dieser sowjetischen Bemühungen ist klan sich Zugänge zu Erdöl und strategisch wichtigen Rohstoffen zur verschaffen.“ Vor allem eines aber sei unbestreitbar:

„Wenn die Sowjetunion Europa unter ihre Kontrolle bringt, ist das eine Gefahr für die ganze Welt. Eine Kontrolle Europas ist die Voraussetzung für eine Vorherrschaft über die ganze Welt.“

In Asien versuche die Sowjetunion, sich Vietnam als „Kuba des Fernen

Ostens“ zu halten. Gegen die Hegemoniepläne Vietnams habe die Großmacht USA „lange Zeit sehr weich reagiert“. Nach der Eroberung Kampucheas (Kambodschas) durch Vietnam habe deshalb China zu einem „Gegenangriff zur Selbstverteidigung“ ausholen müssen, der aber von vornherein als begrenzter Krieg konzipiert gewesen und daher ohne Luftwaffe ausgefochten worden sei.

Daß China über 20 Milliarden Dollar Hilfe in Vietnam investiert und (ein ganz ungeschminktes Einbe-kenntnis) tausende Soldaten zur Unterstützung des Freiheitskampfes gegen die USA beigestellt habe und dennoch als Dank dafür die Ausweisung chinesischstämmiger Vietnamesen erleben mußte, sollte nach Meinung Geng Biaos den Amerikanern eine Lehre sein, den Vietnamesen nicht einen einzigen Dollar Wiederaufbauhilfe zur Verfügung zu stellen.

Der Vizepremier gibt zu, daß das Regime Pol Pots in Kampuchea „eine Politik machte, die auch uns nicht gefiel, aber das darf nicht ein Grund für eine vietnamesische Invasion sein“. Deshalb werde die rechtmäßige Regierung Pol Potvon China weiterhin unterstützt - von Thailand übrigens auch.

Daß Vietnam über eine Million seiner eigenen Staatsbürger, die chinesischer Abstammung sind, bereits vertrieben habe, sei eine „Tat von Räubern und Halunken“. In der Volksrepublik China hätten bereits über 250.000 solcher Flüchtlinge Aufnahme gefunden.

Das Thema Taiwan streift er nur mit einem einzigen Satz: Die Insel sei „bis heute nicht in den Schoß des Mutterlandes zurückgekehrt“. Der Schoß will vorläufig warten. Wie lange, soll Geheimnis bleiben.

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