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Peking hat seine fünfte Kolonne wiederentdeckt

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Am 9. Juni erklärte der Chef des neuaktivierten Amtes für Auslandschinesen, Liao Tscheng-tschi, anläßlich der Einweihung einer Universität in Kwangtschon (Kanton), die Gesamtzahl der im Ausland residierenden Chinesen übersteige die 40 Millionen. Das ist das Doppelte der bisher im Ausland angestellten Schätzungen. Zum ersten Mal seit 1953 gab ein hoher Beamter der Volksrepublik überhaupt eine derartige Zahl bekannt.

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Am 9. Juni erklärte der Chef des neuaktivierten Amtes für Auslandschinesen, Liao Tscheng-tschi, anläßlich der Einweihung einer Universität in Kwangtschon (Kanton), die Gesamtzahl der im Ausland residierenden Chinesen übersteige die 40 Millionen. Das ist das Doppelte der bisher im Ausland angestellten Schätzungen. Zum ersten Mal seit 1953 gab ein hoher Beamter der Volksrepublik überhaupt eine derartige Zahl bekannt.

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Das deutet darauf hin, daß Peking, das seit dem Fall der xenophoben Viererbande eine energische Modernisierung betreibt, sich in vermehrtem Maße an seine Rassengenossen im Ausland wendet, um ihre Kenntnisse,' TäKhte und Ihr Kapital für den Aufbau im Mutterland zu verwenden. Der Konflikt mit Vietnam, der knapp vor der Androhung eines Krieges steht, muß in diesem Zusammenhang als deutliches Zeichen Pekings an die Regierungen Südostasiens gewertet werden, daß von jetzt an die Volksrepublik mehr als bisher auf den Schutz der Auslandschinesen bedacht sein wird.

Von den 1,5 Millionen Chinesen in Vietnam sind bereits über 100.000 ins Mutterland zurückgekehrt. Der Exodus soll in nächster Zeit auf das Dreifache anwachsen. Ohne auf angebotene Verhandlungen einzugehen, erklärte Peking, es werde zwei Schiffe für den Transport einsetzen. Gleichzeitig aber halten drei sowjetische Kriegsschiffe in philippinischen Gewässern Flottenmanöver ab. Außerdem sollen die Sowjets die gewaltige, von den Amerikanern stark ausgebaute Flottenbasis von Cam Ranh in Vietnam belegt und eine gegen China gerichtete Raketenbasis in Mong Cai, hart an der zur Volksrepublik, mit modernen Waffensystemen ausgebaut haben.

Diese Zuspitzung der Spannungen zwischen den ehemaligen Genossen lehrt auch die anderen Staaten der Region das Fürchten. Schließlich sind die Chinesen eine schwer zu assimilierende Minderheit in allen benachbarten Staaten, obwohl die Einwanderung seit Jahrhunderten erfolgt. In Thailand sind die Chinesen mit zehn Prozent der 44 Millionen zählenden Bevölkerung die stärkste Minderheit, zudem wird angenommen, daß ein Drittel der thailändischen Bevölkerung chinesisches Blut in den Adern fließen hat, auch Angehörige der hohen Aristokratie. Auch auf den Philippinen sind viele Familien der Elite - selbst der Präsident - mit Chinesen blutsverwandt. In Malaysia stellen sie gar 35 Prozent der Bevölkerung. Indonesien entging vor 17 Jahren nur knapp einem von der chinesischen Minderheit angezettelten Putsch. In der Folge wurden Tausende Chinesen ermordet, inhaftiert oder in ihrer Geschäftstätigkeit behindert.

In Singapur und Honkong schufen die fleißigen und genügsamen Chinesen die zwei wichtigsten Finanzzentren Asiens. Sje beherrschen aber auch anderswo weitgehend die Wirtschaft und Industrie. Ihr Einfluß reicht bis Kalkutta, wo sich etwa 10.000 Chinesen seit dem Krieg von 1962 zwischen China und Indien in einer schwierigen Situation zu behaupten versuchen.

Die Haltung der Volksrepublik zu ihren ausländischen Rassengenossen war zunächst eher ablehnend, denn zumeist gehörten diese, der von den Kommunisten bekämpften Bourgeoisie an. Doch stammen auch viele Gue-rilleros in Südostasien aus den chinesischen Ghettos. Die Furcht vor kommunistischer Infiltration der chinesischen Bevölkerung ist auch der Hauptgrund, daß Indonesien und Singapur bisher keine diplomatischen Beziehungen mit Peking unterhalten.

Taiwan war viel mehr darauf bedacht, gute Beziehungen mit den Auslandschinesen zu pflegen. Es offeriert ihnen auch jetzt noch Pässe und nimmt sie jederzeit auf. Die rapide Wirtschaftsentwicklung der Insel wäre ohne ihre Investitionen auch kaum möglich gewesen. Die Volksrepublik versuchte Auslandschinesen ebenfalls zur Heimkehr zu bewegen. Im Hochgefühl des Stolzes über den Sieg von 1949 zogen auch tatsächlich etwa eine halbe Million vor allem junger Chinesen ins Mutterland zurück, und den Rückwanderern wurden Privilegien aller Art eingeräumt. In der Kulturrevolution aber wurden sie und ihre Familien als Sympathisanten der Bourgeoisie verdächtigt und verfolgt. Heute jedoch sind die 400 Millionen Dollar, die Auslandschinesen alljährlich an ihre Angehörigen in der Heimat schicken, eine wichtige Devisenquelle für die Volksrepublik.

Erst auf dem Volkskongreß im Februar dieses Jahres wurde deutlich, daß Peking sich vermehrt der Auslandschinesen annehmen will. Ihre Vertreter wurden zum vorbereitenden Kongreß offiziell eingeladen, das Amt für ihre Betreuung reaktiviert. Eine potentielle fünfte Kolonne könnte sich so im südostasiatischen Raum heranbilden, in dem der Dritte Weltkrieg bereits im Gange zu sein scheint. Zwar werden auch in Kambodscha die 500.000 Chinesen vom grausamen Regime verfolgt, weit schlimmer als in Vietnam, hier jedoch schweigt Peking zugunsten seines Bundesgenossen.

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